| # taz.de -- Rüstungsgeschäfte in Berlin: Die versteckte Industrie | |
| > Rüstungsindustrie? Nicht in Berlin. Doch die Stadt bleibt ein Zentrum des | |
| > Waffenhandels. Die Hauptversammlung von Rheinmetall steht nun an. | |
| Bild: Schornstein der Schwartzkopff-Werke in Wildau bei Berlin | |
| Berlin taz | Diese Kriege sind doch nicht für uns. Die sind für Rheinmetall | |
| oder wen auch immer.“ Nilüfer Koç hebt resigniert die Schultern. Die | |
| Ko-Vorsitzende des Kurdistan-Nationalkongresses beantwortet an diesem Abend | |
| im Kreuzberger Club SO36 geduldig Fragen zum Kampf der Kurdinnen und Kurden | |
| im Norden Syriens. Eingeklemmt zwischen islamistischen Milizen und der | |
| türkischen Armee seien sie Spielball der Interessen von Regional- und | |
| Großmächten, analysiert Koç nüchtern. „58 Tage hat Afrin widerstanden. 58 | |
| Tage einer demokratischen Gemeinschaft gegen die staatliche Macht der | |
| Welt.“ Hinter ihr ist ein durchgestrichener Panzer auf die Wand projiziert, | |
| „Rheinmetall raus!“ steht darüber. | |
| Die Interventionistische Linke hat im Rahmen der Aktionstage gegen die | |
| Hauptversammlung des Waffenherstellers am 8. Mai zu der Veranstaltung | |
| eingeladen. Koç ist hier, um zu erzählen, was mit den Waffen geschieht. Sie | |
| erzählt vom Krieg. | |
| Krieg ist woanders. Nicht hier, nicht in Berlin. Hier sind nur die blank | |
| geputzten Glasfassaden gesichtsloser Gewerbegebiete, die heute Business | |
| Parks heißen, sterile Büroflure, diskrete Hotellobbies mit Bar und | |
| Restaurant. Hier gibt es überwucherte Industrieanlagen, daneben ein paar | |
| Schornsteine, die seit Jahrzehnten keinen Rauch mehr ausstoßen – aber | |
| Krieg? Der ist weit weg. | |
| 73 Jahre ist es her, dass die Panzer der Roten Armee durch Brandenburg und | |
| Berlin rollten, um den verbrecherischen Krieg des faschistischen | |
| Deutschlands zu beenden. 73 Jahre, in denen Millionen Menschen auf der | |
| ganzen Welt in neuen bewaffneten Konflikten getötet, verletzt, verstümmelt | |
| wurden; Konflikte, mit Waffen versorgt nicht zuletzt durch deutsche Firmen, | |
| die nach dem letzten großen Gefecht vor der eigenen Haustür kaum Zeit | |
| vergehen ließen, um wieder groß ins Geschäft einzusteigen. In süd- und | |
| westdeutschen Dörfern und Kleinstädten produzieren sie Waffen, Panzer, | |
| Flugzeugteile. Sterile, automatisierte Werkshallen bestimmen dort das Bild, | |
| unauffällige Zweckbauten, in denen auch Küchengeräte oder Baumaschinen | |
| hergestellt werden könnten. | |
| In Berlin finden sich die Player der Rüstungsindustrie zumeist nur noch in | |
| Verbindungsbüros, nahe an den politischen Entscheidern, an den Botschaften | |
| der besten Kunden aus aller Welt. Thales Deutschland zum Beispiel, die | |
| einen kurzen Spaziergang vom Auswärtigen Amt entfernt residieren, und deren | |
| technologische Kompetenzen nach Firmenangaben von „50 Seestreitkräften der | |
| Welt“ zum „Aufspüren, Identifizieren und Neutralisieren von Bedrohungen“ | |
| genutzt werden. | |
| In Steglitz, in Sichtweite der Stadtgrenze, zwischen Autohäusern und | |
| Anglervereinen, in einem unscheinbaren weißen Viergeschosser, findet sich | |
| die Hauptstadtdependence des Thales-Partners und | |
| Metallverarbeitungsunternehmens Diehl. Dessen Jahresbericht ziert der | |
| Leitspruch: „Wir sehnen uns nach Frieden und Sicherheit“. Ein Hit der | |
| Diehl’schen Defence-Sparte (Jahresumsatz 2016: 435 Millionen Euro) ist | |
| „Munition, die sich selbst lenkt“. | |
| ## Drei Milliarden Umsatz | |
| Im Palais am Pariser Platz direkt neben dem Brandenburger Tor hat einer der | |
| größten deutschen Rüstungsproduzenten sein repräsentatives Büro – der, um | |
| den es im SO36 geht: Rheinmetall. Mehr als 3 Milliarden Euro Umsatz machte | |
| die Militärtechnik des Unternehmens im vergangenen Jahr. Das vielleicht | |
| bekannteste Produkt der Panzerschmiede ist der Leopard 2. | |
| Jan van Aken, früher Bundestagsabgeordneter der Linkspartei und Spezialist | |
| für Rüstungskontrolle, verweist im Gespräch mit Nilüfer Koç noch auf den | |
| eigentlichen Profitbeschleuniger der Düsseldorfer Waffenwerke: Munition. | |
| „Da gehen die Umsätze hoch. Munition ist in Kriegen halt | |
| Verbrauchsmaterial.“ Das muss ständig nachgekauft werden, wenn in Afrin | |
| geschossen wird. | |
| Ausgerechnet am 8. Mai, dem Jahrestag der Kapitulation Deutschlands vor den | |
| Alliierten, will Rheinmetall in Berlin seine Jahreshauptversammlung | |
| abhalten. Die Bilanzen glänzen – Waffen sind gefragt, die Investition in | |
| die Produzenten ist eine lohnende Geldanlage. Der Aktienkurs des | |
| Unternehmens hat sich in den vergangenen drei Jahren mehr als verdoppelt. | |
| Wo die Produkte ihrer Firma zum Einsatz kommen, mag der | |
| Aktionärsversammlung gleichgültig sein. Dass sie möglichst weltweit | |
| verkauft werden, ist Garantie ihrer Dividenden. | |
| Wo ihr Geschäft bisweilen endet, könnten die Aktionäre in den Annalen der | |
| Rheinmetall selbst nachlesen. „1945 – Kriegsende und Produktionsverbot | |
| durch Militärregierung“, heißt es dort knapp. Als integraler Teil der | |
| Militarisierung des Deutschen Reiches hatte Rheinmetall zwischenzeitlich | |
| seinen Firmensitz von Düsseldorf nach Berlin verlegt und war schließlich | |
| verstaatlicht und in die „Reichswerke Hermann Göring“ integriert worden. | |
| 600.000 Menschen wurden dort für die deutsche Kriegswirtschaft als | |
| Zwangsarbeiter versklavt. Versuche der Rheinmetall, in den frühen 1950er | |
| Jahren in der zivilen Wirtschaft der BRD Fuß zu fassen, waren wenig | |
| erfolgreich. Erst nach der neuerlichen Privatisierung und der Aufnahme der | |
| Rüstungsproduktion im Zuge der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik | |
| klingelte die Kasse wieder. | |
| Nur in Berlin und seinem Umland konnte Rheinmetall keine Produktionsstätten | |
| mehr unterhalten – und das nicht nur wegen der sowjetischen Besatzung in | |
| den Ostbezirken und der Gründung der DDR. Unmittelbar nach Kriegsende | |
| übertrug die französische Militärverwaltung das Rheinmetall-Werk in Tegel | |
| einem anderen Exponenten der Schwerindustrie und früheren Nutznießer des | |
| Zwangsarbeitssystems: den Schwartzkopff-Werken, deren Hauptsitz in der | |
| sowjetischen Besatzungszone nahe dem Nordbahnhof lag. Dazu kam ein gut | |
| erhaltenes Werk in Wildau vor den Toren Königs Wusterhausens, das später in | |
| der DDR unter anderem Linotype-Setzmaschinen produzierte. | |
| Von der stählernen Vergangenheit der Wildauer Fabrik erzählen die mächtige | |
| Schlote am alten Werksgelände. Die Gegenwart und Zukunft des Ortes als | |
| Standort der Rüstungswirtschaft jedoch liegt versteckter am Rand des | |
| Areals. | |
| Schwerindustrie ist in Berlin und den umliegenden Landkreisen eher spärlich | |
| gesät. Längst vorbei sind die Tage der regionalen Branchenriesen AEG und | |
| Borsig. Auch die großen Kombinate sind mit der DDR untergegangen. Lediglich | |
| Siemens unterhält noch Produktionsstätten in der Stadt seiner Gründung, | |
| wenn auch beileibe nicht im früheren Umfang. Was geblieben ist, sind die | |
| steinernen Monumente der Industriellen Revolution, soweit sie nicht im | |
| Zweiten Weltkrieg zerstört oder später abgerissen wurden. | |
| ## Lokomotiven und Torpedos | |
| Ein besonders gut erhaltenes Ensemble sind die früheren Schwartzkopff-Werke | |
| in Wildau. Nur eine Dreiviertelstunde mit der S-Bahn von der | |
| Friedrichstraße entfernt, überragen hier die Schornsteine der alten Fabrik | |
| aus dem Dahmetal heraus den von der letzten Eiszeit geformten Übergang zur | |
| höher gelegenen Teltowplatte. | |
| Auf dem Gelände selbst finden sich zum Teil aufwendig restaurierte | |
| Fabrikbauten aus hellroten Klinkern, in geraden Reihen entlang | |
| gepflasterter Straßen, in die Schienenstränge eingelassen sind. Direkt am | |
| S-Bahnhof ist in Hallen und Verwaltungsgebäuden am südlichen Ende der Werke | |
| die Technische Hochschule Wildau untergebracht. Eine Schwartzkopffstraße | |
| führt entlang an weiteren niedrigeren Gebäuden, alle aus den gleichen | |
| Ziegeln gemauert, mit großzügiger Giebelgestaltung; Bauten aus einer Zeit, | |
| in der die Schwerindustrie sich selber in Kathedralen verewigen musste. | |
| Die Hallen werden heute genutzt von einer Gießerei, einem | |
| Berufsbildungsträger, verschiedenen Kleinwerkstätten und | |
| Freizeiteinrichtungen. Informationstafeln vor den Eingängen der | |
| Hochschulgebäude erinnern an die Geschichte des Industriestandortes. | |
| Schwartzkopff baute hier Lokomotiven – und Rüstungsgüter. Ins | |
| Waffengeschäft stieg das Unternehmen nicht erst unter dem Druck der | |
| Kriegswirtschaft der Nazis ein. Bereits seit 1876 entwickelte Schwartzkopff | |
| als erste deutsche Firma Torpedos, in der Anfangszeit vermutlich auf | |
| Grundlage in Großbritannien gestohlener Konstruktionspläne. Im Zweiten | |
| Weltkrieg wurde die Produktion auf eine Vielzahl an Rüstungsgütern | |
| erweitert, darunter Minenwerfer, Flugzeugteile und Geschützrohre. | |
| In der Kreuzberger Oranienstraße im SO36 berichtet Nilüfer Koç von der | |
| Situation in Afrin: von den vielleicht 50.000 in der Stadt verbliebenen | |
| Menschen, von den Flüchtlingen, von den verschleppten jungen Frauen, den | |
| Repressalien gegen Jesiden und Aleviten. „Es ist wirklich krank, aber das | |
| passiert dort“, sagt sie. An Jan van Aken geht die Frage, welche deutschen | |
| Waffen in der Türkei im Einsatz sind. Seine Antwort: „Eigentlich alles.“ | |
| Mehrere Hundert Leopardpanzer, Raketen, Munition, Torpedos zählt van Aken | |
| zusammen und ergänzt: „Dazu kommt die Lizenzproduktion deutscher | |
| Kleinwaffen wie das G3 und die MP5 von Heckler und Koch.“ | |
| Vom Gelände der Schwartzkopff-Werke führt eine steile Treppe hinauf auf | |
| den Hügel, der so dicht bewachsen ist, dass nur die weit voneinander | |
| entfernten Schornsteine die Dimension des Werksgeländes erahnen lassen. | |
| ## 6.000 Zwangsarbeiter | |
| Hier oben standen in den letzten Kriegsjahren Baracken: Unterkünfte für | |
| Zwangsarbeiter. 6.000 waren es, die jeden Tag hinunter in die Werkshallen | |
| stiegen und für den Endsieg ihrer Peiniger von Schwartzkopff und Wehrmacht | |
| schuften sollten. Von Gras, Sträuchern und Bäumen überwuchert ist dieser | |
| Ort heute. Einzelne Fundamente lassen sich noch ausmachen, undefinierbare | |
| Betonbrocken unbekannten Alters liegen an der Abbruchkante. Garagenanlagen | |
| schließen sich auf dem Plateau an und eine Schwimmhalle – das Wildorado. | |
| Auf dem Parkplatz vor der Halle findet sich eine zu zwei Dritteln von einer | |
| Hecke umschlossene Ecke. Darin steht, mit einem vertrockneten Blumenstrauß | |
| davor, ein schlichter Stein, ein Relief von Koffern darauf: „Zum Gedenken | |
| an Tausende Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene.“ | |
| Sanfter als über die Treppe geht es eine Straße wieder hinab ins Tal, | |
| direkt zum Zentrum für Luft und Raumfahrt. In dem unspektakulären | |
| Gewerbegebiet am nördlichen Rand der Schwartzkopff-Werke siedeln Start-ups | |
| der Hochtechnologiebranche, die wenigsten im Waffengeschäft. Doch wo | |
| Luftfahrttechnik ist, sind militärische Anwendungen nicht weit. Und so | |
| finden sich unter den Mietern gleich zwei Ingenieursbüros, die ihre | |
| Mitarbeiter auch an Rüstungshersteller verleihen und mit der entsprechenden | |
| Erfahrung werben: Delta System Solutions und Ferchau Engineering. Daneben | |
| steht die Halle der FTT Deutschland, die Gasturbinen entwickelt und testet | |
| – für zivile und militärische Anwendungen. | |
| Eine ähnliche Spezialisierung hat Anecom, zu deren Referenzkunden GTRE | |
| Bangalore gehört, die praktisch ausschließlich für das indische Militär | |
| arbeitet. Ein paar Türen weiter sitzt RS-UAS, eine Firma, die unter anderem | |
| Luftüberwachungssysteme entwickelt. Zu den Interessenten für eine in Wildau | |
| entworfene Drohne gehört nach Angaben des Unternehmens das Emirat Katar, | |
| dessen absolutistischer Herrscherfamilie in der Vergangenheit wiederholt | |
| die weltweite Unterstützung islamistischer Terroristen vorgeworfen wurde. | |
| Von Umsätzen, vergleichbar mit denen der Branchenführer wie Diehl und | |
| Rheinmetall oder auch dem historischen Nachbarn Schwartzkopff, können all | |
| diese Firmen nur träumen. Die Kunden aber ähneln sich. | |
| ## Türkei größter Abnehmer | |
| „Die Türkei ist einer der größten Abnehmer deutscher Rüstungsgüter“, | |
| erklärt Jan van Aken in Kreuzberg. Die Branche müht sich redlich, | |
| Ausfuhrbestimmungen zu umgehen. Van Aken berichtet von Werkskäufen im | |
| Ausland, die nicht genehmigungspflichtig sind. Rheinmetall umgehe so die | |
| deutschen Exportbeschränkungen mit einer Bombenfabrik auf Sardinien und | |
| Werken eines aufgekauften Waffenherstellers in Südafrika. Teil der | |
| Vermeidungsstrategie ist auch die Entsendung von Ingenieuren, deren | |
| Know-how ebenfalls ohne Anträge und Genehmigungen um den halben Erdball | |
| verkauft wird. | |
| Dass die Bundesregierungen, egal welcher Koalitionen, nie ernsthaft an der | |
| Beendigung des Geschäfts mit Waffen und Munition interessiert waren, | |
| erklärt van Aken so: „Es gibt zwei Gründe für den Waffenexport. Der eine | |
| ist rein ökonomisch. Der andere aber ist, dass der Export Teil der | |
| Außenpolitik ist. Wenn ein Land, das gerade unser Partner ist, bestimmte | |
| Waffen kaufen will, dann liefern wir.“ Politische Landschaftspflege mit | |
| tödlichem Werkzeug also. | |
| Um ihr Investment müssen sich die Aktionäre der Rheinmetall vorerst also | |
| keine Sorgen machen. Das Wachstum ist stabil, auch wenn | |
| Unternehmenssprecher bisweilen die „restriktive Exportpolitik“ der | |
| Bundesregierung beklagen. Allein die aus der Migrations- und Fluchtbewegung | |
| der vergangenen Jahre gerechtfertigte expansive Grenzsicherung der | |
| Europäischen Union bis tief in den afrikanischen Kontinent hinein schafft | |
| neuen Bedarf und öffnet neue Märkte. | |
| Dazu will die EU in ihrem aktuellen Haushaltsentwurf von 2021 bis 2027 die | |
| jährlichen Ausgaben für den Haushaltsposten „Migration und Grenzmanagement�… | |
| beginnend bei 3 Milliarden auf letztlich fast 5 Milliarden Euro jährlich | |
| festlegen. | |
| „Die Aussichten sind nicht rosig, wenn alle aufrüsten. Das ist nie ein | |
| gutes Zeichen“, warnt Koç. Sie weiß nur einen Ausweg: „Wenn Rheinmetall | |
| Waffen exportiert, müssen wir eben Solidarität exportieren.“ | |
| 5 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniél Kretschmar | |
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