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# taz.de -- Studierenden-Streik in Frankreich: Gespalten gegen die Reform
> An der Universität Paris-Nanterre begann die französische 68er-Bewegung.
> Jetzt wird dort erneut gestreikt. Nicht allen gefällt das.
Bild: Gegen Privatisierung und Selektivität: Studierende protestieren in Paris…
NANTERRE taz | Stück für Stück wurde er eingenommen, der Campus der
Universität Paris-Nanterre. Schritt für Schritt die Grenze verschoben
zwischen denen, die normalerweise die Kontrolle haben, und denen, die hier
ihre Rechte verteidigen wollen. Anfang letzter Woche war es nur ein
Gebäude, das plötzlich besetzt, verbarrikadiert und mit neuen Graffitis und
Transparenten geschmückt war. Hinzu kam ein weiteres, in dem die ganze
Woche kein Unterricht stattfinden konnte. Bis am Morgen des 16. April das
gesamte Uni-Gelände blockiert war. Der Zugang zu jedem Gebäude versperrt,
die Eingänge von innen mit Stühlen verriegelt, von außen mit großen
Müllcontainern zugestellt. Die ankommenden Studierenden tummeln sich vor
ihren Fakultäten, teils euphorisch, teils wütend, viele ratlos.
Der Zeitpunkt der Blockade ist gut gewählt. Eigentlich sollten an diesem
Montag, dem Beginn der letzten Semesterwoche, die Examen beginnen. Doch es
gibt Wichtigeres als Klausuren, finden viele Studierende und andere
Mitglieder der Universität. Die Gruppe „Nanterre im Kampf gegen die
Selektion und die Studierendenreform“ protestiert mit der Besetzung ihrer
Universität, wie derzeit viele andere Bündnisse in Frankreich, gegen die
Reformpolitik von Staatspräsident Emmanuel Macron.
Dessen Regierung plant ein neues Hochschulgesetz, das den Universitäten
erlauben soll, künftig Studierende auszuwählen, etwa nach
Motivationsschreiben und Noten mehrerer Schuljahre. Dadurch würden
Schüler*innen, die ohnehin schon privilegiert seien, bevorzugt, und
Bewerber*innen sozial benachteiligter Familien der Hochschulzugang
erschwert werden, so die Kritik.
„Das Bildungssystem in Frankreich ist schon jetzt sehr selektiv und die
Reformen würden noch mehr Menschen ausschließen“, sagt die Politikstudentin
Eleonore. Sie hat die Blockade am Morgen mitorganisiert. Doch die
Mobilisation war wohl auch so erfolgreich, weil sich die Fronten zwischen
Gegner*innen und Befürworter*innen verhärten. Als vergangen Woche das erste
Gebäude besetzt wurde, hatte Direktor Jean-François Balaudé hundert
Polizist*innen der Bereitschaftspolizei CRS Zugang zum Campus gewährt.
Sieben Demonstrierende wurden festgenommen. „Nun möchte die Uni einfach zum
Alltag übergehen und so tun, als hätte es diesen Einsatz nie gegeben“,
empört sich Philosophiestudent Maximilien. „Der Kampf heute heißt auch zu
verhindern, dass das nicht passiert.“
## Solidarisch mit dem öffentlichen Dienst
Das sehen nicht alle Studierenden so. Viele sind wütend über das
eigenmächtige Vorgehen ihrer Kommiliton*innen und darüber, dass einige
Klausuren nun ausfallen. „Ich habe dafür gelernt!“, sagt Arthur, der
Wirtschaftswissenschaften studiert. „Ich bin auch für die Selektion, denn
dadurch würde unser Diplom einen angemessenen Wert erhalten.“
Die Pro-Blockade-Fraktion betrachtet sich als Teil einer noch umfassenderen
Bewegung gegen die Regierung Macron. So sind an diesem Tag zwei Mitarbeiter
der Bahn gekommen, die schon seit Wochen wegen der geplanten Privatisierung
bestreikt wird. Luc, ein Doktorand der Literaturwissenschaften, glaubt,
dass die Uni-Blockade ohne die Eisenbahner gar nicht möglich sei. „Unser
Protest würde sofort zusammenbrechen. Die Privatisierung und die Selektion
an den Unis, das sind natürlich verschiedene Dinge, aber die Logik ist
dieselbe.“ Macron wolle die Bahn wie auch die Hochschulen in
kapitalistische Unternehmen verwandeln. Europäische Wettbewerbsfähigkeit
lautet das Stichwort. Und die Logik des Protests? Solidarität, erklärt
Eleonore. „Es geht hier um unser soziales System, dazu gehört der
öffentliche Dienst genauso wie die Bildung.“
Für die Zuspitzung der Proteste gibt es wohl kaum einen passenderen
Schauplatz als den Campus Nanterre. Genau hier begann vor 50 Jahren die
französische 68er-Bewegung. Doch heute ist die Studierendenschaft
hinsichtlich des „gemeinsamen“ Kampfes gespalten, der Ausgang ungewiss.
Einige Dozent*innen haben sich solidarisch erklärt und lassen ihre
Studierenden ohne Klausur bestehen. Viele andere wissen nicht, ob oder wann
sie nachschreiben können und ob es sich lohnt für die restliche Woche zu
lernen. Die Bibliothek, am Montag eines der wenigen geöffneten Gebäude, ist
gegen Mittag dann trotzdem bis auf den letzten Platz besetzt.
17 Apr 2018
## AUTOREN
Louisa Theresa Braun
## TAGS
Schwerpunkt 1968
Streik
Schwerpunkt Frankreich
Studierende
Hochschule
Schwerpunkt Frankreich
Streik
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Streik
Arbeitskampf
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