# taz.de -- Streik in Sicht: Der Aufstand der Hilfskräfte | |
> Unmut bei Berlins studentischen Hilfskräften: Nur die Hälfte der 7.000 | |
> Angestellten können mit ihrem Lohn ihren Lebensunterhalt finanzieren. | |
Bild: Ohne Hilfskräfte geht auch an der Humboldt-Uni nichts | |
Normalerweise arbeitet sich Philip Telios in dunklen Archiven durch alte | |
Texte. Er arbeitet als studentische Hilfskraft im Sonderforschungsbereich | |
„Transformation der Antike“ an der Humboldt Universität, eine Arbeit | |
abseits der Öffentlichkeit. Doch im nächsten Monat wird der 26-jährige | |
Nachwuchsakademiker auf die Straßen gehen – für eine bessere Bezahlung und | |
einen neuen Tarifvertrag. Und auch die Teilnahme an einem Streik kann er | |
sich vorstellen. Eine neue Umfrage zeigt jetzt: Telios ist nicht allein, | |
der Unmut und die Protestbereitschaft unter den studentischen Hilfskräften | |
wächst, denn für die Hälfte der Hilfskräfte reicht der Job nicht um den | |
Lebensunterhalt zu finanzieren. | |
Über 7.000 studentische Hilfskräfte arbeiten an den Berliner Universitäten. | |
Als Zuarbeiter in Forschungsprojekten, bei ProfessorInnen, als Tutoren in | |
der Lehre, als Service-MitarbeiterInnen in Bibliotheken, im EDV Bereich und | |
auch in den Sekretariaten. Sie halten den Unibetrieb am Laufen. | |
Die „Arbeit mit Quellen“ sei „ein toller Einblick in den | |
Wissenschaftsbetrieb“ sagt Telios. Für viele sei der Job ein „Sprungbrett�… | |
für eine akademische Karriere, doch letztlich seien die Hilfskräfte auch | |
Arbeitnehmer sagt der Masterstudent. | |
Seit 15 Jahren hat es keine Gehaltserhöhung mehr gegeben und so hätten das | |
immer teurer werdende Semesterticket, steigende Mieten und | |
Lebenshaltungskosten zu einem „Kaufkraftverlust von 20-30 Prozent“ geführt, | |
wie die Mitglieder der „Tarifinitiative TVStud“ errechnet haben. Zusammen | |
mit den Gewerkschaften Ver.di und GEW wollen Telios und andere Hilfskräfte | |
in den nächsten Monaten einen neuen Tarifvertrag und eine Lohnerhöhung | |
erstreiten. | |
Dabei geht es den studentischen Hilfskräften in Berlin im bundesweiten | |
Vergleich relativ gut. Berlin ist das einzige Bundesland in dem es seit | |
1986 – erkämpft durch einen wochenlangen Studierendenstreik – einen | |
Tarifvertrag gibt, der die Arbeitsbedingungen der „Hiwis“ regelt. 10,98 | |
Euro pro Stunde sieht der für die studentischen Mitarbeiter die in der | |
Regel 40 Stunden im Monat arbeiten vor. | |
Bis 2001 war der Tarifvertrag für studentische Mitarbeiter an den im | |
Öffentlichen Dienst gekoppelt. Die studentischen Hilfskräfte profitierten | |
von damit verbundenen regelmäßigen Lohnerhöhungen. Seit 2001 gab es keine | |
Lohnerhöhung mehr. Das Weihnachtsgeld wurde 2004 gestrichen. In der letzten | |
Tarifrunde 2011 gab es kein Ergebnis, auch weil die studentischen | |
Hilfskräfte sich wenig protestbereit zeigten. | |
Deswegen hat die Tarifinitiative TVStud zunächst im Januar und Februar eine | |
Umfrage zur Protestbereitschaft und sozialen Lage der studentischen | |
Beschäftigten durchgeführt, deren Ergebnisse der taz bereits vorliegen und | |
die am heutigen Montag offiziell vorgestellt werden. Sie zeigt: 87% der | |
Hilfskräfte wollen einen höheren Stundenlohn, im Durchschnitt deckt ihr | |
Gehalt nur 50% ihres Lebensunterhalts ab. Etwas weniger wichtig sind den | |
Hilfskräften offenbar andere Forderungen wie Weihnachtsgeld oder ein | |
gleicher Urlaubsanspruch wie bei den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst. | |
70 beziehungsweise 60% der Hilfskräfte finden das als wichtig oder sehr | |
wichtig. Und: 40% der Befragten gaben an für einen neuen Tarifvertrag auch | |
streiken zu wollen oder sich in die Protestorganisation einbringen zu | |
wollen. Doch die Umfrage unter 2.000 Hilfskräften zeigt auch das nur 12% in | |
einer Gewerkschaft organisiert sind. | |
Das seien „noch zu wenige“ um „in der Auseinandersetzung | |
durchsetzungsfähig“ zu sein, sagt Mathias Neiss, Gewerkschaftssekretär von | |
Ver.di. 1.000 neue Mitglieder als Kampagnenziel hat sich die Initiative | |
deswegen gesetzt. Die Umfrage zeigt: Ein Drittel der Befragten Hilfskräfte | |
kann sich vorstellen in die Gewerkschaft einzutreten, etwa 40% sind sich | |
unsicher, ein Drittel lehnt die gewerkschaftliche Organisierung ab. Die | |
Umfrage sei auf „großes Interesse“ gestoßen, jetzt müssten „Interessen… | |
zu Mitgliedern oder Beteiligten“ werden sagt Neiss. | |
Um das zu erreichen wurden vor einem halben Jahr „Aktivengruppen“ an allen | |
Berliner Universitäten gegründet. Telios und andere Hilfskräfte haben Flyer | |
verteilt, an Infoständen Kaffee ausgeschenkt, Transparente gemalt und eine | |
Fotoaktion gestartet. „Wir haben auch Leute von der Udk, der HTW und der | |
Beuth-Hochschule mit dabei“ sagt Telios. | |
Unter dem Motto „Party like its 1986“ wurde kürzlich der 30-jährige | |
Geburtstag des Tarifvertrags gefeiert. Diese Woche sollen weitere | |
Hilfskräfte angesprochen werden. Anfang Mai soll es eine Demo geben. Der | |
Zeitpunkt sei günstig ist sich Telios sicher, der auf die Senatswahlen und | |
einen neuen Senat hofft: „Grüne und Linkspartei haben unsere Forderungen in | |
ihr Wahlkampfprogramm aufgenommen“. Zudem müssen ab Anfang 2017 die | |
Hochschulverträge neu verhandelt werden. | |
Ob und wann gestreikt wird ist noch ungewiss. „Wir werden nur in | |
Verhandlungen treten wenn wir stark genug sind und nicht nur kosmetische | |
Verbesserungen erreichen“ sagt Neiss. Ab 1.500 Gewerkschaftsmitgliedern | |
könne der Unibetrieb im Streikfall wirkungsvoll gestört werden, schätzt der | |
Gewerkschaftssekretär. Er hofft auch auf die Unterstützung durch andere | |
Studierende und weitere Beschäftigte der Universitäten. | |
Etwas bewirkt hat der neue Aktivismus der Hilfskräfte bereits: Im März 2015 | |
befand das Kuratorium der Technischen Universität ein neuer Tarifvertrag | |
sei „wünschenswert“, auch der Akademische Senat der Humboldt Universität | |
sprach sich Ende Januar für eine bessere Bezahlung der Hilfskräfte aus. Die | |
Universitäten befänden sich „in einem Wettbewerb mit Unternehmen in der | |
Stadt“ die „höhere Gehälter“ böten. Die Ausschreibungsfristen für | |
Hilfskraftstellen müssten „in zunehmendem Maße verlängert werden“ weil | |
„keine geeigneten BewerberInnen zur Verfügung stehen“, hieß es. Als | |
nächstes will die Initiative nun in den Gremien der Freien Universität für | |
ihre Ziele werben. Man könne „sich derzeit nicht zum Thema äußern“ hieß… | |
dazu nur am Freitag aus den Pressestellen der Berliner Universitäten. In | |
der nächsten Woche soll es aber offenbar ein Gespräch zwischen den | |
Hochschulen geben. | |
24 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Moritz Wichmann | |
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