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# taz.de -- Debatte Arbeit im Alter: Milchschäumen mit 67
> Immer mehr Leute jenseits der 60 arbeiten, auch noch im Rentenalter. Ist
> das nun gut oder schlecht? Kommt drauf an. Das soziale Gefälle ist groß.
Bild: Manche Leute nehmen an der „Latte art“ teil, andere verdienen sich mi…
Heute zählt sich Isolde G., 67 Jahre alt, zu den Glückspilzen, obwohl es
früher nicht danach aussah. Ihr ganzes Leben lang hat sie gearbeitet,
zuerst als Köchin, dann als Erzieherin. Sie ist gesund geblieben. Heute
erhält sie eine Rente von 1.400 Euro. Und hat vor Kurzem noch einen
Teilzeitjob im Cafe einer Freundin angenommen, als Tresenkraft und
Kaffeezubereiterin. Damit erreicht sie ein Einkommen von insgesamt 1.900
Euro netto im Monat. „So gut wie jetzt ging es mir noch nie“, sagt die
Berlinerin.
G. ist ein positives Beispiel für eine neue Vielfalt an Lebensmodellen der
über 60-Jährigen. „Lebensmodelle“– das klingt nach Selbstgestaltung, na…
Freiwilligkeit. Eigentlich aber handelt es sich um höchst unterschiedliche
Lebenslagen, die viel mit Glück oder Pech, mit Krankheit und Gesundheit,
mit Arbeitslosigkeit, vielleicht einer Scheidung, zu tun haben. All dies
entscheidet über die spätere materielle Situation – und die Frage stellt
sich, inwieweit die Politik die sozialen Gefälle abmildern soll und kann
oder nicht.
Materiell am besten geht es Leuten mit auskömmlicher Rente oder Pension,
die vielleicht sogar geerbt haben. Einige davon sind noch erwerbstätig.
Man arbeitet dann nicht aus Not, sondern um aktiv zu bleiben, unter
Menschen zu sein.
Anders sieht es aus bei Personen mit Minirente, die vielleicht eine lange
Familienphase, eine Scheidung erlebt haben, die Teilzeit arbeiteten, die
nicht auskommen mit dem Altersruhegeld. In der Pflege reduzieren viele
ältere Frauen ihre Arbeitszeit, weil die Belastung so groß ist. Das
schmälert die Rente. Im Alter müssen sich diese [1][KleinrentnerInnen etwas
hinzuverdienen], falls sie das schaffen.
## FrührentnerInnen haben es schwer
Heikel ist die Lage der gesundheitlich Eingeschränkten, die in Frührente
gehen und dann von einer geringen Erwerbsminderungsrente leben müssen. Wer
zwischendurch lange arbeitslos war oder als Kleinselbstständiger nicht
eingezahlt hat in die Rentenkasse, kann später auf einem Einkommensniveau
in Höhe der Grundsicherung landen.
Fast eine Million Menschen im Alter zwischen 65 bis 74 Jahren sind in
Deutschland erwerbstätig, so das Statistische Bundesamt. Das ist jeder
Neunte in dieser Altersgruppe. Der Anteil hat sich in zehn Jahren
verdoppelt. Auch im Deutschen Alterssurvey kommen die Forscher zu dem
Schluss, dass die Erwerbstätigkeit im Rentenalter vor allem von zwei
Gruppen geprägt ist, einmal gut aufgestellten Selbstständigen oder
ehemaligen BeamtInnen, andererseits MinirentnerInnen, denen ohne den Job
die Altersarmut droht.
Es gibt zwei Trends, die gegeneinanderlaufen. Einerseits hat sich der
Arbeitsmarkt für die Älteren verbessert, aufgrund des Nachwuchsmangels sind
die Betriebe bemüht, die Älteren länger zu halten. Die Erwerbsquote auch
unter den 60- bis 64-Jährigen ist gestiegen. Wer im Rentenalter noch einen
Job sucht, profitiert überdies von der guten Konjunktur.
Andererseits wurden die Alterssicherungssysteme in den vergangenen Jahren
massiv abgebaut, das Rentenniveau abgesenkt, das Rentenzugangsalter erhöht,
die Altersteilzeit abgeschafft. Der Weg in eine frühe Rente ohne große
Einbußen ist weitgehend verbaut.
## Verletzlichkeit des Alters
Die Älteren geraten in eine neue Gemengelage aus Chancen und Risiken. Über
das materielle Wohlergehen entscheiden dabei auch Faktoren und
Lebensereignisse, auf die man wenig Einfluss hatte. Diese Verletzlichkeit
des Alters macht Angst und Wut, weil sie im Widerspruch steht zum
gesellschaftlichen Versprechen, dass jeder sein Leben selbst gestalten kann
und dafür verantwortlich ist. Die Gesundheit gewinnt als Faktor an
Bedeutung. Während vor 20 Jahren Beschäftigte mit oder ohne gesundheitliche
Probleme Mitte oder Ende 50 in den Vorruhestand gehen konnten, arbeiten die
Gesunden heute bis zur normalen Rente durch. Den Kranken gelingt dies
nicht. Ihnen bleibt die Erwerbsminderungsrente oder Hartz IV.
Das wirft Gerechtigkeitsfragen auf, erst recht, wenn die gesundheitlichen
Schwächen aus der Arbeitsbelastung resultieren. Unter den 55- bis
65-Jährigen sind 80 Prozent der Akademiker noch erwerbstätig, aber nur 66
Prozent der Leute mit Berufsausbildung und 48 Prozent der Menschen ohne
formale Qualifikation. Nicht selten haben die gesundheitlich Angeschlagenen
früher im Beruf ein körperliches oder seelisches Opfer gebracht, für das es
nun keine Entschädigung gibt.
Diese Konstellation findet sich in den Bauberufen, aber auch in der Pflege
und im gesamten sozialen Bereich, wo die Frühverrentungsraten hoch sind. In
Österreich gibt es eine „Schwerarbeitspension“, bei der unter anderem
Nachtarbeit, ein hoher Kalorienverbrauch in einer Berufstätigkeit,
Pflegetätigkeit berücksichtigt werden. Diese Abgrenzungen sind schwierig.
Was sollte die Politik abfedern? Es wäre nicht gerecht, das Rentenniveau
für alle wieder anzuheben – die Jüngeren müssten dann auch für die gut
gestellten Rentner mehr bezahlen. Aber man könnte differenzieren. Wer in
belastenden Berufen, etwa in der Pflege, seine Arbeitszeit jenseits des 55.
Lebensjahres reduziert, sollte für diese Phase wenigstens die
Rentenbeiträge bezuschusst bekommen wie bei einer Vollzeittätigkeit. Das
neue Programm mit bezahlten Jobs für Langzeitarbeitslose, das die Groko
plant, sollte vor allem Menschen über 55 Jahren mit gesundheitlichen
Einschränkungen zugutekommen. Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente
sind bereits beschlossen. Auch eine Aufstockung für KleinrentnerInnen mit
langer Berufsbiografie wäre ein richtiges Signal.
Wie stark ein soziales Netz ist oder nicht, zeigt sich nicht zuletzt an der
Altenpolitik, das sieht man an anderen Ländern. Über die neue Vielfalt der
Lebensmodelle für die Generation 60plus kann man sich auch freuen. Aber
nur, wenn die Angst vor dem Absturz nicht überhand nimmt.
18 Apr 2018
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## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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