# taz.de -- Imkerhype in der Großstadt: Summ, summ, systemrelevant | |
> Hilfe, die Bienen sterben! Aber hilft es wirklich, wenn wir uns jetzt | |
> alle einen Bienenstock in den Garten oder aufs Dach stellen? | |
Bild: Nicht zum Spaß hier: Biene sammelt Pollen | |
Blühende Lavendelfelder in Slowenien. Mittendrin im lila Meer eine Frau mit | |
Strohhut auf dem Kopf, darunter langes, dunkles Haar. An beiden Händen | |
trägt sie eigenartige, türkisfarbene Handschuhe, an denen jeweils vier | |
lange Holzstäbe befestigt sind, mit grün-weißen Federn an den Spitzen. Mit | |
diesen „Bestäubungswerkzeugen“ streicht [1][Polonca Lovsin], eine | |
Künstlerin aus Ljubljana, konzentriert, fast zärtlich über die | |
Lavendelblüten. Lovsin „befruchtet“ in ihrem Kunstprojekt „Be a Bee“ | |
Pflanzen mit der Hand. „Meine Kunst ist die humorvolle Antwort auf eine | |
ernste Sache“, sagt Lovsin. Wenn die Insekten ausgestorben sind, müssen wir | |
für die biologische Vielfalt der Natur wohl selbst Hand anlegen: Insekten | |
sind verantwortlich für Bestäubung – und damit für die Fortpflanzung der | |
meisten Wildpflanzen. | |
Viele unserer Hauptnahrungsmittel gäbe es ohne Insekten nicht. Und die | |
Insekten selbst sind Nahrungsmittel für Vögel, Frösche und kleine | |
Wildtiere. Käfer wiederum sorgen durch Kompostierung für die Veredelung des | |
Bodens. Wie es scheint, sind Insekten systemrelevant. Aber sie werden | |
weniger, drohen gar auszusterben – bekannt ist vor allem das Schicksal der | |
Bienen. | |
Als hauptverantwortlich für das Sterben gilt die industrielle | |
Landwirtschaft mit ihren gigantischen Monokulturen – spezialisierte | |
Wildbienenarten laufen so Gefahr, aufgrund des eintönigen Nahrungsangebots | |
zu verhungern. Zudem setzten die Landwirte unterschiedliche Gifte zum | |
Schutz ihrer Nutzpflanzen ein. Neonicotinoide zum Beispiel sind synthetisch | |
hergestellte Insektizide. Ein Nervengift, das unter dem Verdacht steht, die | |
Orientierung der Honigbiene zu stören. Die Biene findet nicht mehr zum | |
Stock zurück, aufgrund des geschwächten Immunsystems wird sie zum Opfer von | |
Krankheiten und Parasiten. | |
Der Tod von Honigbiene und Wildbiene ist keine Absicht, sondern „nur“ eine | |
Nebenwirkung der Schädlingsbekämpfung. Doch nachdem der Bundestag Mitte | |
März dieses Jahres einen Antrag der Grünen für ein Freilandverbot für | |
Neonicotinoide abgelehnt hat, bleibt nun die Frage: Was können die | |
BürgerInnen für die Insekten tun, „von unten“? Welche Pflanzen helfen | |
Bienen und Schmetterlingen im Garten oder auf dem Balkon? Müssen wir jetzt | |
gar alle zu HobbyimkerInnen werden, um die Bienen zu retten? Längst zieht | |
es die Bienen ja zu den Menschen, in die Städte. Während auf dem Land | |
Artenvielfalt und Lebensräume verschwinden, finden die Bienen in Hamburg | |
oder Stuttgart immer etwas Blühendes auf Balkonen oder im Schrebergarten. | |
Melanie von Orlow ist eine, die sich kümmert. Sie ist promovierte Biologin. | |
Die kleine Frau mit den kurzen, dunkelbonden Haaren steht in einem dicken | |
grauen Wollmantel vor einem Bienenstock ihrer kleinen Imkerei im Norden von | |
Berlin. Träge summen ein paar Honigbienen vor ihm herum, es ist noch zu | |
kalt für sie an diesem Märztag. „Ab 10 Grad geht’s los“ sagt Melanie von | |
Orlow. Frühblüher wie Krokusse oder Weiden sind gute Nektarstarthilfen für | |
die frühe Wildbiene, „auf dem Balkon sind Wechselkästen mit Krokussen | |
super. Oder die Blaue Muskari“, empfiehlt von Orlow. Keine Hilfe für | |
Bestäuber ist hingegen die Zuchtform der Tulpe. | |
Neben dem Bienenstock, der sogenannten „Beute“, hat Melanie von Orlow eine | |
Kräuterspirale angelegt. Bisher sieht man zwar nur feuchte Erde, Steine und | |
braune Stängel, schon bald aber werden Insekten auf der Kräuterspirale | |
Nektar finden – und zwischen den Steinen Nistplätze. „Gut besucht ist | |
Majoran. Zitronenmelisse riecht gut und Salbei ist eine ausgesprochene | |
Hummelpflanze“, sagt Melanie von Orlow. Insekten, so erzählt sie, mögen es | |
unordentlich: Die Imkerin lässt ihren Rasen vom Elfenkrokus erobern, „der | |
verbreitet sich wie wild und bietet Nektar an“. Auch rät sie, die | |
verblühten Stängel von Goldrute und Kugeldistel „einfach mal stehen zu | |
lassen“. Insekten nutzten die markhaltigen Strunke gern als Nisthilfe. | |
## Regionale Saaten | |
Hinter dem Haus hat von Orlow auf einem Stück Rasen eine kleine Blumenwiese | |
aus regionalen Saaten angelegt. „Ich bin schon ganz gespannt auf die | |
Besucher“, sagt sie. Blumenwiesen sehen nicht nur gut aus, sondern halten | |
als intaktes Ökosystem ein reichhaltiges Nahrungsangebot vor: „Ich bin | |
Lobbyistin“, sagt Melanie von Orlow. Für Bienen, Wespen, Hummeln und | |
Hornissen. Allesamt Hautflügler, sogenannte „Hymenoptera“. Ihr erstes | |
Hummelnest, erzählt sie lächelnd, hatte sie als Kind im Sandkasten | |
entdeckt. Heute ist sie 47 Jahre alt und aktiv in der Bundesarbeitsgruppe | |
[2][Hymenoptera] des Naturschutzbundes (Nabu). Dort hilft sie zum Beispiel | |
bei der Umsetzung von Insektennestern in Wohngebieten – und sie möchte dazu | |
beitragen, entomologisches Wissen publik zu machen. | |
Hergestellt wird dieses Wissen zum Beispiel von Benedikt Polaczek. Er ist | |
60 Jahre alt und Imkermeister der Freien Universität Berlin, Fachbereich | |
Veterinärmedizin. Vom Fenster seines Büros, das sich in einem kleinen | |
Häuschen auf dem Campus befindet, blickt man auf knorrige Obstbäume – und | |
Bienenbeuten. Polaczek erzählt, dass es inzwischen zehn Bienenvölker pro | |
Quadratkilometer in Berlin gebe. Das ist ordentlich, aber „wir haben noch | |
Platz für gute Imker“, sagt er. | |
Allerdings, sagt Polaczek, sei Imkern ein verantwortungsvolles Hobby: | |
Honigbienen können ohne Imker nicht überleben, und auch auf ihre | |
Mitmenschen müssen Bienenhalter Rücksicht nehmen. Oft würde der Eindruck | |
erweckt, dass man Bienenvölker so problemlos wie Blumenkästen halten könne | |
– „unverantwortlich“, meint Polaczek, denn „Bienen sind wilde Tiere“.… | |
müssten Imker ihre Bienen beim Veterinäramt anmelden – und gegebenenfalls | |
den Vermieter informieren. | |
Honigbienen können sich in kurzer Zeit explosionsartig vermehren – und den | |
Hobbyimker dann komplett überfordern. „Die Menschen kennen sich nicht mit | |
der Biologie der Bienen aus“, sagt Polaczek. So mancher erkennt dann zum | |
Beispiel einen Befall mit der berüchtigten Varroamilbe nicht. Ein | |
Parasit, der die Brut im Bienenstock zerstört – und unentdeckt auf andere, | |
gesunde Völker übergreifen kann. | |
Je größer die Imkerdichte, desto größer auch die Gefahr von Parasitenbefall | |
und Ausbreitung von Krankheiten. Auch der Mensch kann in Mitleidenschaft | |
gezogen werden: Stadtimkernde sollten auf Nachbarn Rücksicht nehmen und | |
keine aggressiven Bienenarten nutzen. Polaczek empfiehlt die Kärntner | |
Biene, eine friedliche Art, die auch noch ordentlich bestäubt. Und trotz | |
aller Probleme freut er sich über die zahlreichen neuen Imker: „Der Imker | |
kämpft um die Honigbiene, also um saubere Natur.“ | |
## Organisierte Neuimker | |
Benedikt Polaczek rät den Neuimkern jedoch, sich zu organisieren und | |
fortzubilden, anstatt es nur auf die eigene Faust zu versuchen und sich auf | |
das Internet zu verlassen. Denn falsch zu machen gäbe es einiges. Nicht in | |
jedem Schrebergarten könne man Bienen halten und auch Dächer sollten nicht | |
zu hoch sein, denn „die Biene muss die Pollen ja noch nach oben tragen!“. | |
Und knallt im Sommer die Sonne auf das Dach und die Beuten, so sei dies | |
schlicht Tierquälerei. Imkermeister Polaczek seufzt: „Ich wünsche mir, dass | |
nicht jedes Hotel Bienen auf dem Dach hält – das Wichtigste ist sowieso, | |
dass Imker ein Herz für Bienen haben“, sagt er. Er findet aber, dass in | |
jedem Fall jeder heimischen Honig essen soll. | |
Der promovierte Biologe Christoph Saure hingegen macht sich vor allem | |
Sorgen um die Wildbienen. „Beim Bienensterben denken fast alle an die | |
Honigbiene. Die Honigbiene ist aber ein Haustier, ohne Imker gäbe es in | |
Deutschland wahrscheinlich keine Honigbienen mehr.“ In Deutschland gibt es | |
rund 580 Bienenarten. Die Honigbiene ist nur eine davon, alle anderen sind | |
Wildbienen. Saure, 58, hat sich mit seinem Einmannbüro für tierökologische | |
Studien selbstständig gemacht und ist Experte für Wildbienen. Die meisten | |
leben solitär, als Einsiedler also, und nicht in großen, arbeitsteiligen | |
Völkern. Sie sind oft spezialisiert auf bestimmte Nahrungspflanzen und | |
haben daher, Stichwort Monokultur, keine Auswahlmöglichkeit. „Wenn die | |
Pflanzen verblüht oder nicht vorhanden sind, stirbt die lokale Population“, | |
sagt Christoph Saure. Auf Effizienz gezüchtete Honigbienen dagegen können | |
fast an allen Blüten Pollen und Nektar sammeln. | |
Saure konstatiert eine Nahrungskonkurrenz zwischen den Arten. „Nicht immer | |
und überall“, aber wenn Raps, Linde und Robinie verblüht sind, sammeln | |
Honigbienen auch in der für Wildbienen so wichtigen Krautschicht – ein | |
Problem für die Nahrungsspezialisten unter den Wildbienen. „In | |
Naturschutzgebieten haben Honigbienen nichts zu suchen!“, betont daher | |
Christoph Saure. Auch wenn es diesbezüglich eine klare gesetzliche Regelung | |
gibt, hat Saure schon Beuten von Wanderimkern mit Massen von Honigbienen am | |
Rand von Schutzgebieten gesehen. Er wünscht sich, dass Imker im Umkreis von | |
drei Kilometern von Wildbienengebieten keine Honigbienen aufstellen. | |
Den Wildbienen geht es schlecht. Schon seit geraumer Zeit sind auf dem Land | |
die Lebensräume aufgrund von Flurbereinigung weitestgehend zerstört. Mit | |
mehrjährigen Blühstreifen soll dort nun in der Feldflur Struktur | |
zurückgeholt werden. Gleichzeitig werden in den Städten die letzten | |
Brachflächen infolge von Verdichtung zugebaut. | |
Beste Lebensräume für Wildbienen aber sind blütenreiche, trockene Flächen. | |
Wer Wildbienen und Insekten helfen will, sollte im Garten schwach | |
bewachsene Stellen in der Sonne schaffen, an denen sie ihre Nester bauen | |
können. Eine gute Nisthilfe für Wildbienen ist altes, morsches Holz mit | |
Löchern. Insektenhotels seien für Wildbienen als Nisthilfen jedoch oft | |
ungeeignet, weil die meisten Solitärbienenarten auf dem Boden nisten. Auch | |
Saure ist kein Fan des Imkerhypes in der Großstadt: „Mehr als 6.000 | |
Bienenvölker in Berlin sind zu viel. Auf jedes Hausdach, jeden | |
Diplomatengarten ein Bienenvolk, das ist momentan hip, hat aber mit | |
Naturschutz und ökologischer Vielfalt nichts zu tun.“ | |
Mag auch mancher Stadtimker eher ahnungslos sein, so helfen sie doch dem | |
Fortbestand der Honigbiene. Die Wildbiene bekommt beim Überlebenskampf | |
nicht so viel Unterstützung. | |
18 Apr 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.lovsin.org/eng/ | |
[2] https://www.hymenoptera.de/ | |
## AUTOREN | |
Natalie Stöterau | |
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