| # taz.de -- 68er-Proteste in Spanien: Der Keim für eine radikale Linke | |
| > Jaime Pastor war einer der wichtigsten Studentenführer jener Zeit. Auch | |
| > wenn der Kontext ein anderer ist, sagt er, habe Podemos heute viel mit | |
| > 1968 gemein. | |
| Bild: 18. Mai, Madrid. Es regnet Flugblätter an der Uni | |
| Am 18. Mai 1968 kommen in der Fakultät für Politik- und | |
| Wirtschaftswissenschaften der Madrider Universität Complutense über 6.000 | |
| Studenten zusammen. Raimón, Liedermacher aus der Nähe von Valencia, gibt | |
| ein Konzert. Einer seiner Texte geht so: „Gegen den Wind, das Gesicht gegen | |
| den Wind, das Herz gegen den Wind (…) auf der Suche nach Licht, auf der | |
| Suche nach Frieden …“ | |
| Raimón tritt im riesigen Lichthof des Gebäudes auf. Die Studenten drängen | |
| sich, auch auf den Treppen und Galerien. An den Brüstungen hängen | |
| Transparente „für Volksdemokratie“, „gegen die Oligarchie“, in „Soli… | |
| mit Vietnam“. Ein Demonstrationszug nach dem Konzert wird von der | |
| berittenen Polizei zusammengeknüppelt. | |
| „Das erregte am meisten Aufmerksamkeit. Aber an der Uni kochte es schon | |
| lange“, erinnert sich Jaime Pastor. Der heute 71-jährige pensionierte | |
| Soziologieprofessor wird 1968 zum Studentenvertreter an der Politik- und | |
| Wirtschaftsfakultät gewählt. Er ist einer der wichtigsten Studentenführer | |
| jener rebellischen Zeit. | |
| Vier Jahre ist er da schon in Madrid. „Freiheit vom Elternhaus“, | |
| „Selbstfindung“ – Stichworte, die ihm zu seiner ersten Zeit dort einfalle… | |
| Pastor ist katholisch geprägt, er hat sich zuerst in einer Studentengruppe | |
| der Jesuiten engagiert. Später tritt er der Front der Volksbefreiung bei, | |
| die den Ideen von Ernesto Che Guevara nahesteht und Verbindung mit | |
| Sozialisten in Frankreich und Italien unterhält. | |
| Im Studienjahr 1966/67 gründet er mit anderen die Demokratische | |
| Studentengewerkschaft. „Wir haben zuvor die staatliche | |
| Studentenorganisation zu Fall gebracht, indem wir die Delegiertenwahlen | |
| boykottierten“, erinnert sich Pastor. Sie rufen Vollversammlungen ein, | |
| setzen freie Wahlen an. Pastor wird gewählt. „Die Philosophiefakultät und | |
| die Studierenden an den Theater-, Kino- und Kunsthochschulen taten das | |
| Gleiche“, sagt er. Und nach ihnen noch viele mehr im ganzen Land. | |
| „Die Dekane versuchten zu verhindern, dass die Polizei in die Gebäude | |
| eindrang. Meist mit Erfolg“, sagt Pastor, der aber auch von einem breiten | |
| Spitzelnetz unter den Studenten und von zahlreichen Verhaftungen und | |
| Verhören erzählt. Auch ihn erwischte es mehrmals. | |
| „Dann verloren die Dekane zusehends die Kontrolle.“ Von Januar bis März | |
| 1968 war die Politik- und Wirtschaftsfakultät geschlossen. Im Januar 1969 | |
| stürmen Studenten in Barcelona das Rektorat, verbrennen Fahnen und | |
| zerstören eine Büste des Diktators Francisco Franco. | |
| Die Studentenbewegung wird immer größer, die Untergrundgewerkschaft CCOO in | |
| den Fabriken immer erfolgreicher. Die Regierung erlässt ein „Dekret gegen | |
| Banditentum und Terrorismus“. Fortan wird, wer eine Versammlung leitet, von | |
| der Militärjustiz verfolgt. So auch Pastor, der abtaucht. Knapp entkommt er | |
| seiner Verhaftung und flieht im Januar 1969 mit seiner ebenfalls zur | |
| Fahndung ausgeschriebenen Partnerin nach Paris. „Das war nur wenige Tage | |
| nach dem Tod von Enrique Ruano“, sagt Pastor. Ruano war wie Pastor | |
| Studentenführer und Mitglied der FLP. Er stürzte aus dem Fenster eines | |
| Gebäudes, in das ihn die politische Polizei verschleppt hatte. | |
| 1973 kommt Pastor mit falschen, französischen Papieren nach Spanien zurück. | |
| Er nennt sich Allain Bardel und ist in den Vorstand der neu entstandenen | |
| Revolutionären Kommunistischen Liga gewählt worden. Pastor nimmt seinen | |
| eigentlichen Namen erst nach einer Amnestie 1976 wieder an, ein Jahr nach | |
| Francos Tod. | |
| „Die 68er-Generation in Spanien ist sicher nicht so groß wie die in anderen | |
| Ländern. Aber die Studentenrevolte war der Keim für neue soziale Bewegungen | |
| und für eine radikale Linke“, sagt Pastor, der bis heute Trotzkist ist. Er | |
| denkt dabei an die Frauen- und Umweltbewegung und an die starke | |
| Mobilisierung gegen die Nato. | |
| Pastor gehört dem ersten Regionalvorstand von Podemos an, der Partei, die | |
| sich aus der Empörtenbewegung von 2011 gegründet hat. Auch wenn der Kontext | |
| ein völlig anderer ist, habe die viel mit 1968 gemein, findet er. „Das sind | |
| die Antis: Antikapitalismus, Antiimperialismus und vor allem das | |
| Antiautoritäre.“ Pastor vermutet aber, dass vor allem jene 68er-Begriffe | |
| Bestand haben werden, die mit auto- beginnen: autonomía, autoorganisación | |
| (Selbstverwaltung) und autodeterminación (Selbstbestimmung). „Sowohl auf | |
| individueller als auch auf kollektiver Ebene“, sagt Jaime Pastor. | |
| 10 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Reiner Wandler | |
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