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# taz.de -- Eskalation bei Protesten in Frankreich: Polizei geht gegen Studente…
> Nach den Ereignissen vom Mai 1968 galt es als Tabu, die Staatsgewalt zu
> rufen, wenn Studierende protestieren. Jetzt greifen Unis wieder zur
> Härte.
Bild: Berufung auf 1968: Protestierende Studenten in Paris
PARIS taz | Die französische Regierung scheint auf die Proteste gegen eine
Hochschulreform an zahlreichen Fakultäten keine andere Antwort zu haben als
polizeiliche Repression. An der Universität Nanterre ließ der
Hochschulpräsident Jean-François Balaudé am Montag ein starkes Aufgebot der
Bereitschaftspolizei CRS kommen, um eine Versammlung von ein paar Dutzend
Studierenden in einem Hörsaal zu verhindern. Die Studierenden in Frankreich
protestieren derzeit gegen die geplanten neuen Zugangsregeln zu den
Hochschulen. Kritiker sehen darin die Gefahr neuer Elitenbildung.
Nanterre am westlichen Stadtrand von Paris ist ein Symbol. Dort hatte am
22. März die Studentenrevolte begonnen, die in Frankreich nach der
Eskalation mit Straßenkämpfen im Pariser Quartier Latin als „Mai 68“ in d…
Geschichte einging. Seit diesen historischen Tagen galt es als Tabu, die
Polizei zu holen, wenn Studierende gegen Regierungsvorhaben den Aufstand
probte.
Balaudé, der sich nach Angaben aus universitätsinternen Kreisen „nur für
die Forschung interessiert, aber nicht für die Studierenden“, hat nun
dieses Tabu gebrochen. Rund hundert Polizisten der Bereitschaftspolizei CRS
gingen am Montag gegen lautstark Protestierende vor und nahm dabei sieben
Personen wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ fest.
Dieses Vorgehen hat die Bewegung erst recht in Gang gebracht: Am Dienstag
war die Uni Nanterre blockiert, im größten Hörsaal diskutierten mehrere
hundert Studierende, aber auch DozentInnen und Leute aus dem
administrativen und technischen Personal über das weitere Vorgehen. Sie
fordern Balaudés Rücktritt.
Wie vor fünfzig Jahren wurde beschlossen, noch am selben Nachmittag mit
einer Kundgebung zusammen mit den KommilitonInnen der Sorbonne den Kampf
ins Herzen von Paris zu tragen. Am Samstag soll in Montpellier eine
nationale Kundgebung gegen die Hochschulreform und die Repression
stattfinden.
Die Reform des Zugangs zu akademischen Studien lässt den
Universitätsleitungen mehr Spielraum zur Auswahl, von den BewerberInnen
soll künftig etwa verlangt werden, mit Briefen ihre Motivation zu erklären.
Die Pläne waren zuerst nur auf wenig Widerstand gestoßen. Doch plötzlich
begannen sich einige Fakultäten zu regen.
## Unter den Schlägern befand sich ein Dozent
Besonders heftig fielen die Proteste im südfranzösischen Montpellier aus.
Als dort Jura-Studenten ihre Fakultät besetzten, brannte dem Dekan der
Rechtswissenschaften eine Sicherung durch: Er gewährte einer Gruppe von
vermummten und mit Holzlatten bewaffneten Schlägern den Zugang zum
besetzten Hörsaal. Mehrere Studierende wurden verletzt.
Auf Handy-Fotos und Videos wurde hinterher ein Dozent unter den Angreifern
identifiziert. Der Dekan wollte sich in den Medien zuerst herausreden. Er
behauptete wenig glaubhaft, er habe gemeint, bei der Einlass begehrenden
Gruppe von Schlägern habe es sich um Zivilpolizisten gehandelt.
Der Dekan musste bereits abdanken, gegen den Dozenten und seine Komplizen
wird wegen Körperverletzung ermittelt. Das war der Funke, der dieser noch
zaghaften Protestbewegung gefehlt hatte.
Seit Anfang April sind mehrere Universitäten in Frankreich ganz oder
teilweise blockiert. In der Hauptstadt ist es vor allem die Hochschule
Tolbiac (Paris-1), die den Ton angibt. Seit Freitag wird diese Uni
blockiert, am Montag trafen sich mehr als tausend HochschülerInnen und
solidarische Dozenten zu einer Vollversammlung.
Wird Nanterre in diesem zunehmend explosiven Klima wieder zum Fanal? Bei
der Vollversammlung am Dienstag war auf einem Transparent vom „Frühling in
Nanterre 1968–2018“ die Rede. Eine Delegation von Eisenbahnern brachte die
solidarischen Grüße der ebenfalls gegen eine Reform streikenden
Gewerkschaften. Die Plakate der offiziellen Veranstaltungen zur Erinnerung
an Mai 68 dagegen sind in Nanterre in Rot mit „Gedenkfeier der Heuchler“
überschrieben.
10 Apr 2018
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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Schwerpunkt Frankreich
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Nuit debout
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