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# taz.de -- Mögliche Zuckersteuer in Deutschland: Kids trinken Cola, Politiker…
> Mit neuen Formaten wirbt Coca-Cola bei Jugendlichen. Eine Zuckersteuer
> muss der Konzern dennoch nicht befürchten.
Bild: Leider ungesund: Coca-Cola
Berlin taz | „Heute machen wir wieder was Sportliches“, sagt der YouTuber
Dner. Auf dem Tisch vor ihm ist eine Coca-Cola-Flasche platziert, das Regal
hinter ihm ist prall mit den Flaschen gefüllt und im Hintergrund leuchtet
auf einem PC-Bildschirm gut lesbar: [1][„CokeTV“]. Schnitt auf den
Potsdamer Platz in Berlin.
Zusammen mit einem weiteren YouTube-Star turnt Dner unter professioneller
Anleitung über Mauern und Geländer. „Parkour“ nennt sich dieser moderne
Sport. Bis zur Pause. Die Jungs greifen beherzt zur frischen Coca-Cola:
„Genau das brauche ich jetzt.“ Da sind sie sich einig. Es folgen weitere
coole Aufnahmen, krasse Sprünge – und die Coke ist immer im Bild.
Das Gefährlichste an der Aktion sind nicht die waghalsigen Sprünge der
Teenager. Die tatsächlich gesundheitsschädliche Unternehmung ist der Konsum
von zuckerhaltigen Drinks wie Coca-Cola, für den mit dem Spot geworben
wird. Darauf hat die Verbraucherorganisation Foodwatch am Mittwoch
hingewiesen – [2][in einem ausführlichen „Coca-Cola-Report“ (PDF)].
Demnach ist Dner keine Ausnahme: 24 YouTuber, die mehr als eine Million
Abonnenten haben, waren laut Foodwatch schon auf „CokeTV“ zu sehen. Die
Videos wurden seit dem Start vor etwa vier Jahren mehr als 65 Millionen Mal
abgerufen. Die Kampagne stehe zudem im Widerspruch zur Selbstverpflichtung
des Konzerns, keine Werbung an Kinder unter 12 Jahren zu richten,
kritisiert Foodwatch. „Coke spannt die beliebten YouTube-Stars geschickt
vor seinen Marketing-Karren“, meint Foodwatch-Experte Oliver Huizinga. „Der
Konzern nutzt die neuen Idole von Kindern und Jugendlichen, um mehr
Zuckergetränke zu verkaufen.“
## Jeder zehnte Jugendliche ist fettleibig
Und diese Strategie ist offenbar erfolgreich. Deutsche Jugendliche im Alter
von 14 bis 17 trinken dem „Coca-Cola-Report“ zufolge viel zu viel
Zuckergetränke: Mit rund einem halben Liter pro Tag ist der Verbrauch fast
15-mal so hoch wie von der amerikanischen Herzgesellschaft empfohlen.
Das bleibt nicht ohne Folgen: In Deutschland gilt aktuell etwa jeder vierte
Erwachsene und jeder zehnte Jugendliche als fettleibig. Und die Zahl der in
Deutschland an Typ-2-Diabetes erkrankten Personen wird auf 6,7 Millionen
Menschen geschätzt – mit steigender Tendenz. Coca-Cola weist die
Verantwortung dafür zurück. Die Einladung, sich direkt bei der Vorstellung
des Reports zu äußern, schlug das Unternehmen mit der Begründung aus, man
wolle sich nicht „an den von Foodwatch aufgestellten Pranger“ stellen
lassen. [3][Stattdessen wies Coca-Colas PR-Chef Patrick Kammerer die
Vorwürfe schriftlich zurück:] „Übergewicht ist ein komplexes Problem“,
erklärte er. Ein direkter Zusammenhang mit dem Konsum zuckerhaltiger
Getränke sei nicht nachgewiesen.
Dem widerspricht Foodwatch im Coca-Cola-Report ausdrücklich. Der
Zusammenhang von erhöhtem Konsum zuckergesüßter Getränke und Übergewicht
sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern sei „wissenschaftlicher
Konsens“, heißt es dort. Der Genuss der Zuckergetränke führe dazu, dass
viele Kalorien in kurzer Zeit aufgenommen werden, die nicht lange sättigen
und den Konsum sogar noch weiter anregen. Zudem führe der zusätzlich
aufgenommene Zucker „bewiesenermaßen zu einem erhöhten Risiko, einen
Herzinfarkt zu erleiden oder an Gicht zu erkranken“, sagt Huizinga.
Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft und die Deutsche Diabetes-Gesellschaft
fordern darum, die an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel
zu verbieten. Foodwatch verlangt darüber hinaus auch, eine Sonderabgabe auf
Zuckergetränke einzuführen. Dieses Instrument hat in anderen Staaten den
Konsum und den Zuckergehalt deutlich gesenkt. Besonders überzeugend findet
die Organisation das Konzept, das Großbritannien in dieser Woche einführt.
In Deutschland hingegen hat eine solche Sondersteuer wenig Chancen. Im
Koalitionsvertrag heißt es nur unverbindlich, die Regierung wolle für ihre
„nationale Reduzierungsstrategie für Zucker, Fett und Salz in
Fertigprodukten“ im Jahr 2018 „ein Konzept arbeiten“. Einzelheiten dazu
sind noch nicht bekannt.
## „Der Lebensmittelindustrie auf die Füße treten“
Die neue CDU-Landwirtschaftsministerin [4][Julia Klöckner hat sich in ihrer
ersten Regierungserklärung (PDF)] klar gegen eine solche Maßnahme
ausgesprochen. „Ich bin nicht der Meinung, dass man Produkten oder
einzelnen Rohstoffen allein die Schuld dafür geben kann“, sagte Klöckner.
„Wir müssen uns den Lebensstil als Ganzes anschauen.“ Am Mittwoch
bekräftigte sie, dass sie eine Zuckersteuer ablehne. Und selbst die
Opposition tut sich schwer damit, dem Wahlvolk durch eine neue Steuer die
Lust am Zucker zu nehmen. Renate Künast, selbst ehemalige
Landwirtschaftsministerin und jetzt ernährungspolitische Sprecherin der
Grünen im Bundestag, erklärte angesichts der Foodwatch-Veröffentlichung
zwar: „Wir müssen der Lebensmittelindustrie endlich auf die Füße treten.“
Doch die Forderungen, mit denen diese scharf klingende Ansage unterlegt
wird, klingen eher weich: Die Grünen verlangen „eine verbindliche
transparente Lebensmittelampel“ und – wie der Koalitionsvertrag von Union
und SPD – eine „nationale Reduktionsstrategie für Zucker, Salz und Fett“.
Teurer werden sollen ungesunde Produkte hingegen nicht. Auch die Linke
verzichtet darauf und fordert neben einer bessere Kennzeichnung von
Lebensmitteln lediglich „mehr Aufklärung“.
Selbst wenn es diese eines Tages geben sollte: Dass sie die gleiche
Reichweite erreicht wie die von Coca-Cola gesponserten YouTube-Videos, darf
bezweifelt werden. Die guten Geschäfte mit überzuckerten Getränken gehen
hierzulande also vorerst ungehindert weiter.
4 Apr 2018
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=5mFaKqkX53A
[2] https://www.foodwatch.org/uploads/media/2018-04_Coca-Cola-Report_foodwatch_…
[3] https://www.coca-cola-deutschland.de/stories/interview-patrick-kammerer
[4] http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19024.pdf
## AUTOREN
Malte Kanefendt
Malte Kreutzfeldt
## TAGS
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