# taz.de -- „March for our lives“ in den USA: „Wir lassen uns nicht abspe… | |
> Über eine Million Menschen haben gegen Waffengewalt demonstriert. Die | |
> vorwiegend jungen Menschen forcieren eine politische Debatte. | |
Bild: Schwieg und weinte: Emma González | |
NEW YORK taz | Es war ein Freudenfest. Groß, fantasievoll, emotional und | |
getragen von der Jugend. Über eine Million Menschen folgten am Samstag – | |
knapp sechs Wochen nach dem Massaker an der Marjory-Stoneman-Douglas-Schule | |
in Parkland, Florida – dem Aufruf einer Gruppe von Überlebenden. | |
RednerInnen, von denen die jüngste neun, die meisten zwischen 16 und 18 und | |
kaum eineR über 20 Jahre alt waren, verlangten Reformen, die von dem Verbot | |
von halbautomatischen Waffen bis hin zu einer Weigerung von PolitikerInnen | |
an Geldzuwendungen von der Waffenlobby-Vereinigung NRA reichten. | |
Falls das nicht passiere, so eine von Anchorage über Milwaukee bis Phoenix | |
vielfach wiederholte Drohung: „…werden wir uns im November erinnern“. Im | |
November stehen Kongresswahlen an, bei denen viele AkteurInnen der neuen | |
Bewegung zum ersten Mal abstimmen dürfen. | |
„Wir lassen uns nicht mit Brosamen abspeisen“, rief Delaney Tarr, eine | |
Überlebende von der Marjory-Stoneman-Douglas-Schule in Washington ins | |
Mikrofon. „Wir haben entschieden, dass wir etwas tun, nachdem die | |
Erwachsenen es nicht tun“, sagte Alex Wind, ein anderer Überlebender aus | |
Parkland. Zu der Absicht der NRA, möglichst viele Menschen in den USA zu | |
bewaffnen, sagte Wind: „Das werden wir verhindern“. | |
Allein in Washington hatten sich 800.000 Menschen bei der zentralen | |
Demonstration des Tages ab Mittag über die Pennsylvania Avenue in Richtung | |
US-Kongress bewegt. Auf ihren Transparenten war zu lesen „Books not | |
Bullets“ (Bücher statt Kugeln), „Nur Republikaner sind einfacher zu kaufen, | |
als Schusswaffen“, „Wir brauchen keine Gedanken und Gebete, sondern Taten“ | |
und: „Ich bin ein Lehrer und kein Scharfschütze“. Immer wieder auch dankten | |
alte DemonstrantInnen den jungen Leuten: „Zum Glück haben wir unsere | |
Kinder“. | |
## Zugangsalter zu halbautomatischen Waffen heraufgesetzt | |
Von ihrer Bühne aus, die von der Kuppel des Kongresses überragt wurde, | |
machten die RednerInnen klar, dass sie nicht weichen werden. In den sechs | |
Wochen seit dem Massaker sind sie ununterbrochen unterwegs gewesen, haben | |
an ihren Forderungen gefeilt, Manifeste geschrieben, das Land bereist, | |
Interviews gegeben, professionelle PR-Beratung und hohe Geldspenden | |
bekommen und dabei ein Profil gewonnen, wie es vor ihnen keine Gruppe von | |
Überlebenden von Massakern hatten. | |
Anstatt der sonst üblichen Betroffenheit, die auf Massaker in Schulen, | |
Kirchen, Kinos und bei Konzerten folgt und mehrere Tage später wieder in | |
sich zusammensackt, ist dieses Mal eine politische Diskussion entstanden. | |
Überlebende benennen die politisch Verantwortlichen und verlangen | |
politische Konsequenzen. | |
In ihren ersten Auftritten nach dem Massaker hatten Jugendliche aus | |
Parkland erklärt, dass das letzte Schulmassaker sein würde. Das ist leider | |
nicht wahr geworden: Seit dem 14. Februar sind mehr als 70 Teenager in den | |
USA erschossen worden, darunter einige bei Schießereien in Schulen. Aber | |
zumindest erscheinen nun Reformen möglich. Selbst das | |
schusswaffenfreundliche Florida hat sich unter dem Druck der neuen Bewegung | |
gezwungen gesehen, eine kleine Reform zu verabschieden, die das | |
Zugangsalter zu halbautomatischen Waffen auf 21 Jahre heraufsetzt, dabei | |
allerdings zugleich die Bewaffnung von LehrerInnen zulässt. Die | |
Überlebenden reagierten so: „Wir brauchen mehr und werden es durchsetzen.“ | |
In den zurückliegenden Wochen haben sie sich auch mit anderen Opfern | |
vernetzt: mit Überlebenden anderer Schulschießereien wie der in Newtown, | |
Connecticut, mit Opfern von Bandenkriminalität wie auf der Southside von | |
Chicago und mit Angehörigen der Opfer von Polizeigewalt, die sich gegen | |
AfroamerikanerInnen und Latinos richtet. Am Samstag haben mehrere Vertreter | |
dieser vernetzten Gruppen ebenfalls in Washington gesprochen. Edna Chavez | |
aus Los Angeles, sagte: „Ich habe viele meiner Lieben durch | |
Schusswaffengewalt verloren. Noch bevor ich lesen konnte, habe ich gelernt, | |
mich unter Kugeln zu wegzuducken“. Auch ihr Bruder Ricardo ist ein Opfer | |
der Schusswaffengewalt. | |
„Wer keine Schusswaffenkontrollen einführt, wird abgewählt“, rief David | |
Hogg, ein weiterer Überlebender aus Parkland. Er und andere sagen, dass sie | |
PolitikerInnen feuern wollen, die Geld von der NRA nehmen. Das trifft auf | |
fast alle RepublikanerInnen sowie eine Handvoll DemokratInnen im Kongress | |
zu. Am Rand der Demonstrationsrouten verteilten AktivistInnen Material, um | |
ErstwählerInnen zu registrieren. Sie haben sich vorgenommen, die | |
üblicherweise extrem niedrige Wahlbeteilung der unter 25-Jährigen zu | |
erhöhen. | |
## Trump spielte lieber Golf | |
US-Präsident Donald Trump hat kürzlich vor Gouverneuren behauptet, er wäre | |
in die Marjory-Stoneman-Douglas-Schule hineingerannt, wäre er Zeuge des | |
Massakers geworden. Aber am Samstag, als die SchülerInnen nach Washington | |
kamen, zog er es vor, die Stadt zu verlassen. Während sie demonstrierten, | |
spielte er Golf in Florida. Auf dem Rückweg zu seinem Landsitz Mar-a-Lago | |
fuhr seine Kolonne einen Umweg, und wich damit einer örtlichen | |
Demonstration aus. | |
Die Ex-Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama dankten den jungen | |
DemonstrantInnen. Auch zahlreiche Prominente lobten sie dafür, dass sie | |
sich mit den Fehlern der Erwachsenen beschäftigen Aber Trump würdigte die | |
Mobilisierung mit keinem Tweet. Seit dem Massaker von Florida hat er nur | |
mit solchen Überlebenden Kontakt aufgenommen, die politisch mit ihm | |
übereinstimmen. Einige Überlebende durften zu einer Gesprächsrunde im | |
Weißen Haus kommen. Kyle Kashuv, ein konservativer junger Mann aus der | |
Schule, der öffentlich gegen ein Verbot von halbautomatischen Waffen | |
eintritt, bekam sogar eine persönliche Audienz mit Melania Trump. | |
Zu den stärksten Momenten am Samstag gehörte ein Auftritt von Emma | |
González. Die junge Frau, die im Februar mit einer leidenschaftlichen Rede | |
für weltweite Aufmerksamkeit gesorgt hatte, bewegte in Washington die Menge | |
durch Schweigen. Sie zählte die Namen ihrer erschossenen SchulkameradInnen | |
auf, sowie Dinge, die sie nicht mehr tun können. Dann schwieg sie, während | |
ihr Tränen über das Gesicht liefen, und schwieg – fast 6 Minuten und 20 | |
Sekunden lang, was der Dauer des Massakers vom Valentinstag entsprochen | |
hätte. | |
Eine andere junge Überlebende, die bei dem Massaker Schussverletzungen im | |
Gesicht erlitten hat, musste sich während ihrer Rede übergeben. Doch | |
Samantha Fuentes tauchte schon wenige Sekunden später wieder hinter ihrem | |
Pult auf und setzte ihren Auftritt mit der Bemerkung fort: „Ich habe gerade | |
vor den internationalen TV-Kameras gekotzt“. Zum Abschluss sang sie ein | |
bewegendes Happy Birthday für einen Freund, den am 14. Februar erschossenen | |
Nick Dworet, der am Samstag 18 geworden wäre. Die Menge sang das | |
Geburtstagslied für den jungen Toten mit. | |
In New York, wo rund 150.000 Menschen gekommen waren, war die Upper West | |
Side voll mit DemonstrantInnen. Mit von der Partie war auch Ex-Beatle Paul | |
McCartney mit einem schwarzen T-Shirt mit der Aufschrift: „Wir können die | |
Schusswaffengewalt beenden“. Zu einem Reporter sagte er, dass er an dieser | |
Stelle einen seiner besten Freunde durch Schusswaffengewalt verloren hat. | |
Sein Bandkollege John Lennon war 1980 am Eingang des Dakota-Gebäudes am New | |
Yorker Central Park erschossen worden. | |
In Washington hatte Bürgermeisterin Muriel Bowser das Tragen von | |
Schusswaffen in der Umgebung der Demonstrationsroute am Samstag verboten. | |
Doch an anderen Orten in den USA kamen bewaffnete Schusswaffenfans ganz nah | |
an die DemonstrantInnen heran, um den zweiten Verfassungszusatz aus dem | |
Jahr 1791 zu verteidigen. Ohne ihre Waffen, so lautet eines ihrer | |
Argumente, könnten sie sich nicht gegen Tyrannen verteidigen. In Boston und | |
in Salt Lake City waren einigen von ihnen mit geschultertem Gewehr auf der | |
einen Seite und einem Transparent in der anderen Hand zu sehen. Auf | |
Letzterem war zu lesen: „Komm doch und nimm es mir weg“. | |
Bei der zentralen Demonstration in Washington sorgte eine Überlebende aus | |
Parkland, die Schülerin Jaclyn Coryn, für einen Höhepunkt, als sie nach | |
ihrer Rede hinter die Bühne ging, um eine „Überraschung“ zu holen. Sie kam | |
mit Yolanda Renee King an der Hand zurück. Die Neunjährige hat ihren vor | |
einem halben Jahrhundert ermordeten Großvater Martin Luther King nicht | |
persönlich kennengelernt. Aber mit ihr kam eine Verbindung zu einem anderen | |
historischen Moment in der US-Geschichte auf die Bühne. | |
Auch in der schwarzen Bürgerbewegung spielten Teenager – bei den | |
Busboykotten, bei den Besuchen in „verbotenen“ Restaurants und bei | |
Demonstrationen – eine zentrale Rolle. Die King-Enkelin nahm das Mikrofon | |
in die Hand, strahlte in die Menge der 800.000, sprach über ihren Traum von | |
einer waffenfreien Welt und ließ die DemonstrantInnen gemeinsam drei mal | |
ihre Botschaft an die Menge rufen. Sie lautete: „Wir werden eine große | |
Generation sein“. | |
25 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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