# taz.de -- Kunst aus Kolonialzeit in Berlin: Immer wieder entworfene Idylle | |
> Das Humboldt Forum inzeniert Deutschland als achtsame Kolonialmacht. Doch | |
> seine Kunstsammlung verdankt es einem gierigen Mitarbeiter. | |
Bild: Wie kamen Masken wie diese nach Berlin? | |
„Wir haben immer wieder gesagt, dass in Berlin nicht kolonial gesammelt | |
wurde. Über mehr als 300 Jahre. Im Gegensatz zu Brüssel, im Gegensatz zu | |
London, zu Paris, zu Madrid natürlich. Die einzige Großstadt, in der das | |
Weltkulturerbe zusammengekommen ist, bis 1880, ohne dass ein Gewehrschuss | |
gefallen ist. In einem völlig anderen Rahmen, der von großer Wertschätzung, | |
durch Forschung, durch Neugierde bestimmt war.“ So äußerte sich Horst | |
Bredekamp im November 2016 auf einer Tagung des Humboldt Forums. | |
Neugier, Wertschätzung, Forschung – Horst Bredekamp ist einer der drei | |
Gründungsintendanten des Humboldt Forums, und er entwirft diese Idylle bis | |
heute immer wieder. Danach waren die Deutschen ganz anders als die gierigen | |
Kolonialmächte, zu denen sie nicht gehörten – bis 1880. Damit folgt er | |
einer beliebten Selbststilisierung der deutschen Kolonialisten: Sie seien | |
besser als die anderen. | |
Bredekamp greift damit nur auf, was von Beginn an [1][zur DNA des Humboldt | |
Forums] gehört. Um das Projekt Schloss mithilfe von „Weltkultur“ politisch | |
schmackhaft zu machen, erklärte Peter Klaus Schuster, seinerzeit | |
Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlin, schon 2001, „dass die | |
ethnologischen Sammlungen im Unterschied zu London und Paris nicht durch | |
kolonial bedingte Schwerpunkte und mithin Einseitigkeiten, sondern als | |
Ergebnis sammelnder Museumsgelehrter von beispielhafter Vollständigkeit | |
sind …“ | |
Dass aber das Sammeln von Objekten im Globalen Süden vor 1880 nicht im | |
Rahmen kolonialer Unternehmungen stattfand, ist höchst zweifelhaft, selbst | |
wenn das in Ausnahmen vielleicht geschehen sein mag. In welche Weltgegenden | |
auch immer die Reisenden aufbrachen, bevor die Deutschen 1884 ganz | |
offiziell ins Kolonialgeschäft einstiegen, folgten sie Handelsrouten, die | |
in aller Regel mit kolonialen Bestrebungen anderer Mächte verknüpft waren. | |
Was Bredekamp tunlichst verschweigt: Die Berliner Afrika-Sammlung bestand | |
bis 1880 aus gerade mal 3.361 Objekten. Erst danach wuchs sie exponenziell | |
bis zum Ende der deutschen Kolonialzeit auf das bald Zwanzigfache: 55.079 | |
Objekte. Seine Aussage trifft also auf gerade mal sechs Prozent der | |
Berliner Sammlung zu. | |
## Großartig gesammelt | |
Dass mit dem Aufstieg zur Kolonialmacht ab 1884 gerade in Berlin „so | |
großartig gesammelt“ wurde, lag vor allem an der Unermüdlichkeit und | |
Systematik Felix von Luschans, der als Direktorialassistent und später als | |
Direktor der Afrika-Abteilung des Völkerkunde-Museums (unter der Leitung | |
Adolf Bastians) die Bestände mit allen Mitteln zu erweitern suchte, um das | |
„Berliner Museum zum größten und schönsten der Welt zu machen“. | |
„Die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, das Reichsmarineamt, die | |
Gouverneure der Schutzgebiete und eine große Zahl von Ärzten, Beamten und | |
Offizieren sind von der wissenschaftlichen und praktischen Bedeutung der | |
Völkerkunde durchdrungen und unterstützen unsere Bestrebungen mit amtlichem | |
Nachdruck.“ | |
Dass dieser amtliche Nachdruck häufig nichts anderes als Gewaltanwendung | |
meinte, war durchaus in Luschans Sinn. So schrieb er 1903: „Das Auswärtige | |
Amt hat uns eine ganz pompöse Sammlung überwiesen, Fetische und anderes | |
Schnitzwerk völlig neuer Art, von der Ngolo-Strafexpedition des Hauptmanns | |
von Kandt herrührend – gut 2- bis 3000 Mark wert, eine ganz herrliche | |
Erwerbung. Dazu kommt noch, dass einer meiner gegenwärtigen Hörer, Leutnant | |
von Arnim, sich einer neuen, großen Strafexpedition gegen die Ngolo (streng | |
secret!!) anschließen wird. Wir können uns also auf ganz brillante Dinge | |
gefasst machen. Herr von Arnim ist genau informiert, was wir brauchen und | |
wird bemüht sein, etwas ganz Ordentliches zu leisten. Die Kosten werden | |
dabei vermutlich gleich Null sein.“ | |
Durch einen Bundesratsbeschluss erreichte Luschan, dass alle von | |
Kolonialbeamten oder staatlichen Vertretern angeeigneten Objekte nach | |
Berlin zu senden waren, von wo aus sie dann an die anderen deutschen Museen | |
verteilt wurden, was ihn nicht interessierte. Die Sonderstellung Berlins | |
wurde von den Museumsleitern in Hamburg, Leipzig oder Stuttgart nach | |
Kräften unterlaufen. | |
## Wenn Gier den Schlaf raubt | |
So beschwerte sich ein erbitterter Luschan beim Reichskolonialamt über den | |
Stuttgarter Museumsdirektor Graf Linden, dieser schädige „unser Museum und | |
unsere wissenschaftlichen Interessen dadurch auf das empfindlichste …, dass | |
er Offiziere und Beamte in den deutschen Schutzgebieten veranlasst, ihre | |
Sammlungen persönlich seiner Majestät dem Könige von Württemberg als | |
Geschenk anzubieten.“ | |
Luschan wollte alles für Berlin, und seine Gier raubte ihm bisweilen den | |
Schlaf: „Ich stehe jetzt in Verhandlungen wegen einer großen | |
Benin-Sammlung. Dass wir alles davon kaufen ist ausgeschlossen, weil unsere | |
Mittel nicht reichen … Einstweilen freilich schwebt noch alles in der Luft, | |
und jede Stunde kann der Traum zunichte sein, auch für unser Museum. Die | |
Concurrenz ist sehr groß; aber ich hoffe, Sieger zu bleiben; einstweilen | |
träume ich fast jede Nacht von der geplanten Erwerbung; meist glückt sie; | |
nur wenn ich zu viel geraucht und gegessen habe, dann träume ich, dass | |
irgendein amerikanischer Agent die ganze Sammlung en bloc entführt. So | |
denke ich Tag und Nacht an die Sache.“ | |
Als das Deutsche Reich mit dem Ersten Weltkrieg seine Kolonien einbüßte, | |
platzte das Berliner Völkerkundemuseum bereits aus allen Nähten. In den | |
zugestellten Räumen und Gängen war kaum noch ein Durchkommen. Ein Neubau | |
sollte her, doch dazu kam es nicht mehr. | |
4 Apr 2018 | |
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## AUTOREN | |
Lorenz Rollhäuser | |
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