# taz.de -- Kältehilfe in Berlin zieht Fazit: Verelendung nimmt zu | |
> Mehr Kranke, mehr Nichtdeutsche: Im Rahmen der Kältehilfe gibt es so | |
> viele Notschlafplätze wie nie. Die Probleme gehen aber tiefer. | |
Bild: Obdachlosigkeit in Berlin: Nothilfe allein ist keine Lösung | |
Die Kältehilfe wächst und wächst – und die Menschen, die das Angebot in | |
Anspruch nehmen, sind immer kränker. So lautet das Fazit der Direktorinnen | |
von Caritas und Diakonie, Ulrike Kostka und Barbara Eschen, das sie am | |
Donnerstag zum Abschluss der Saison zogen. „Auffällig sind die vielen | |
psychiatrischen und Suchterkrankungen“, sagte Kostka. Zudem kämen immer | |
mehr Rollstuhlfahrer in die Notschlafstätten. In diesem Winter seien es 35 | |
gewesen, im vorigen 20. „Diese Gruppe gehört überhaupt nicht in die | |
Kältehilfe“, so Kostka. | |
Im 28. Jahr bieten Kirchengemeinden sowie Einrichtungen von Diakonie, | |
Caritas, Stadtmission und Rotem Kreuz während der Winterzeit | |
Übernachtungsplätze, Nachtcafés und Wärmebusse an. Diesen Winter gab es zum | |
Start am 1. November 722 Notschlafplätze, Ende März waren es 1.264 – so | |
viele wie noch nie.Erstmals in der Geschichte der Kältehilfe werden 500 | |
Plätze noch bis Ende April offen gehalten. Kommenden Herbst soll das | |
Angebot zudem schon am 1. Oktober beginnen. | |
Für die vielen Kranken, die in der Kältehilfe ankommen, gibt es nur | |
unzureichende Hilfsmöglichkeiten, zumal inzwischen gut 70 Prozent der | |
Hilfesuchenden aus anderen EU-Staaten kommen und damit „keine | |
sozialhilferechtlichen Anspruchsvoraussetzungen“ haben, wie Kostka | |
erklärte. Für sie blieben nur die medizinischen Nothilfeangebote in den | |
niedrigschwelligen Ambulanzen, die überwiegend auf Spendenbasis und | |
ehrenamtlich betrieben würden. Dort könnten chronische, schwere, Sucht- und | |
psychische Krankheiten aber nicht behandelt werden. „Das ist Basismedizin, | |
die man eher in Afrika vermutet“, sagte sie und forderte, diese Angebote | |
auf eine „solide finanzielle Basis“ zu stellen. Sie lobte aber auch, dass | |
der Senat eine alte Forderung der Wohlfahrtsverbände endlich erfüllt habe | |
und finanzielle Mittel für Krankenwohnungen für Obdachlose mit 15 Plätzen | |
bereitstelle. | |
Ohnehin sei Geld zurzeit nicht das Problem, sagte Diakonie-Chefin Eschen. | |
Das Abgeordnetenhaus habe die Mittel für die Wohnungslosenhilfe beachtlich | |
aufgestockt, lobte sie. „Aber die Träger rennen sich die Hacken ab, um | |
geeignete Räume für weitere Angebote und um Wohnungen für betroffene | |
Menschen zu finden.“ Oft ergebnislos. So habe man beispielsweise seit zwei | |
Jahren die Mittel, um das Heim für Familien um 60 Plätze aufzustocken, aber | |
man finde keine Räume. „Die Wohnungslosenhilfe wird wohnungslos“, ergänzte | |
Kostka. Beide forderten mehr bezahlbaren Wohnraum. Laut Eschen kommen zu | |
den schätzungsweise 4.000 bis 6.000 Berliner Obdachlosen weitere 31.000 | |
Wohnungslose, die in Wohnheimen, Hostels und Pensionen untergebracht sind, | |
oft schon länger als ein Jahr. | |
Dass der Mangel an Wohnraum das zentrale Problem ist, war auch eine | |
Erkenntnis der ersten Berliner Strategiekonferenz Wohnungslosenhilfe, die | |
Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) im Januar initiiert hatte – was | |
Eschen als „total guten Ansatz“ lobte. „Immerhin haben wir eine bessere | |
Ausgangsposition, da alle an einem Strang ziehen“, befand auch Kostka. | |
Um den vielen EU-Bürgern, die nach Berlin kommen, besser helfen zu können, | |
forderte Kostka den Senat auf, eine Bundesratsinitiative zu starten, damit | |
Ausländer nicht länger grundsätzlich von Sozialleistungen, etwa betreutem | |
Wohnen und Beratungsangeboten, ausgeschlossen werden. Bislang sei dies nur | |
in Härtefällen und für einen Monat möglich. Gerade Rückkehrberatungen und | |
-vorbereitungen dauerten aber oft länger. | |
Eine echte Lösung für die EU-Bürger sieht Eschen nur, „wenn die sozialen | |
Standards in Europa ein bestimmtes Minimum haben“. Erschüttert habe sie die | |
Nachricht, dass in Polen letztes Wochenende acht Menschen erfroren seien. | |
Im gesamten Winter seien dort sogar 58 Menschen erfroren. Kostka stimmte | |
zu: „Wir dürfen die Verelendung der EU-Bürger nicht zulassen.“ | |
30 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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