# taz.de -- Debatte Einwanderungsland: Früher war mehr Mut | |
> Die neue Bundesregierung könnte so viele Debatten anstoßen – aber es | |
> reicht nur für eine Islamdebatte. Dabei war man hier schon einmal viel | |
> weiter. | |
Bild: 1965 beteten Muslime im Kölner Dom – ohne dass es anschließend eine I… | |
Der Spruch „Früher war alles besser, sogar die Zukunft“ mag eine Floskel | |
sein, stimmt aber in diesem Fall genau. Blickt man in die jüngere | |
Vergangenheit, dann lässt sich feststellen: Früher war mehr Mut. 2015 | |
bekannte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bürgerdialog zu dem Fakt, | |
dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Das Bekenntnis kam spät und | |
gegen Widerstände, aber es war deutlich. | |
Und heute? [1][Reden Politiker über „den Islam“] und darüber, ob er zu | |
Deutschland gehört. Hier sei ein kleiner Schlenker in die Geschichte | |
erlaubt: Ab den 1960er Jahren kam eine Vielzahl von muslimischen | |
Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern nach Deutschland. 1965 beteten Muslime | |
im Kölner Dom. Mit Gebetsteppichen und Muezzinruf. Und ohne dass es | |
anschließend eine Islamdebatte gegeben hätte. Ja, wirklich. | |
35 Jahre später, im Jahr 2000, dann eine bahnbrechende Neuerung. Angesichts | |
des schrumpfenden Bevölkerungswachstums brauchte man Fachkräfte aus dem | |
Ausland – Stichwort „Greencard“. Muslime? Klar, solange es IT-Fachleute | |
waren. | |
Sogar das Staatsbürgerschaftsrecht wurde reformiert, das zuvor rein auf dem | |
Abstammungsrecht gründete. Nun konnten in Deutschland geborene Kinder der | |
einstigen Einwanderer qua Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. | |
Egal ob Muslim, Buddhist oder religionslos. Viele Doppelpassdebatten, | |
Leitkulturdebatten, Integrationsdebatten später überlegt man sich heute, | |
wie es weitergehen soll mit den Ausländern und Inländern. Und nimmt den | |
Islam als Vorwand. | |
Ist die derzeitige Islamdebatte nicht eigentlich eine Debatte über die | |
Zukunft dieses Landes? So gesehen macht es keinen Mut, wenn die | |
Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung auf das Postulat ihres | |
Innenministers, „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, hilflos Artikel 1 | |
Grundgesetz zitiert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das ist | |
keine Antwort auf Populistensprech, vor allem wenn hier Moscheen brennen. | |
## Gleichbehandlung der Religionen | |
Die neue Bundesregierung braucht konkrete Pläne, wie sie das Zusammenleben | |
künftig gestalten will. Populisten und Hinterwäldlern begegnet man nicht | |
mit schönen und wahren Sätzen, sondern mit Vorschlägen für die nächsten | |
vier Jahre. | |
Wenn Mitglieder der Bundesregierung den Islam und somit auch (muslimische) | |
Migrant*innen instrumentalisieren, spielen sie der AfD in die Hände. Ein | |
Einwanderungsgesetz kündigte Andrea Nahles in ihrer Regierungserklärung an | |
– nur geht es darin lediglich um den Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland. | |
Aber da waren wir doch schon mal weiter!, könnte man ausrufen und sich | |
wundern, dass da nicht mehr kommt. | |
Was wäre denn, würde man den Islam in Deutschland integrieren, indem man | |
ihn wie die anderen monotheistischen Religionen als Körperschaft anerkennt? | |
Mit allen Rechten und (Steuer-)Pflichten? Eine Gleichbehandlung der | |
Religionen wäre vorausschauend. Denn schon länger ist Migrationspolitik | |
auch deutsche Außenpolitik. | |
Reaktionären Kräften im In-und Ausland begegnet man am besten mit einem | |
Bekenntnis zur Vielfalt im faktischen Einwanderungsland, von allen Seiten. | |
Die Anerkennung als Körperschaft stärkt Imamen den Rücken, die in den | |
Moscheen Frieden predigen und sich gegen die Propaganda in den | |
Herkunftsländern stellen. | |
Und was wäre es für ein Zeichen gewesen, wenn christliche Gotteshäuser nach | |
den letzten Attacken auf Moscheen die Betenden aufgenommen hätten? So wie | |
damals, 1965, im Kölner Dom. Die Muslime hätten ihre Gebetsteppiche | |
ausgerollt und anschließend mit der Kirchengemeinde Hände geschüttelt. Die | |
neue Islamdebatte muss ohne Furcht vor den Rechten geführt werden. Die | |
Bundesregierung muss dafür jetzt gesellschaftliche und politische Zeichen | |
setzen. Deshalb: Denkt Deutschland wieder als Einwanderungsland, liebe | |
Groko-Politiker, und entwickelt endlich einen Plan dafür! | |
23 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Ebru Tasdemir | |
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