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# taz.de -- Debatte Jens Spahn und §219a: Er verrät seine Mütter
> Die Frauenbewegung hat auch für Schwulenrechte gekämpft. Nun wären
> schwule Männer dran, solidarisch zu sein. Spahn tut das Gegenteil.
Bild: Es wäre ein guter Moment für schwule Männer, sich für die Abschaffung…
Ist das nicht Muttermord, was Jens Spahn gerade macht? Er, ein Orestes der
Moderne, ein Nero der CDU? Gut, die Mütter, die von diesen Söhnen
umgebracht wurden, Klytaimnestra und Agrippina, Letztere die Gründerin von
Köln, waren beim Töten selber nicht zimperlich. Agrippina tat’s
vorzugsweise mit Pilzen. Im mythischen Politikbetrieb Griechenlands und im
römischen von vor zweitausend Jahren war das wohl so.
Heute sind die Methoden subtiler, und Muttermord ist nun nur noch im
Übertragenden gemeint. Wer jetzt die Mutter stürzen will, bedient sich
lieber des Verrats.
Und das, so die These hier, tut Spahn: Er verrät die Frauen, die eine
Generation vor ihm nicht nur das Selbstbestimmungsrecht von Frauen über
ihren Körper einforderten, sondern auch das Recht auf gleichgeschlechtliche
Lebensweise. Die den Weg ebneten in eine offene, tolerante Gesellschaft und
auch für Jens Spahns Freiheit und seine Rechte als Schwuler kämpften. Er
verrät sie, fällt ihnen in den Rücken, aufgeplustert mit seiner neuen
ministerialen Autorität.
Und wie tut er das? Zuletzt, indem er in einem Interview der Bild am
Sonntag sagte, dass ihn im Zusammenhang mit dem §219a, der „Werbung für
Abtreibung“ verbietet, die Maßstäbe wunderten: „Wenn es um das Leben von
Tieren geht, da sind einige, die jetzt für Abtreibungen werben wollen,
kompromisslos. Aber in dieser Debatte wird manchmal gar nicht mehr
berücksichtigt, dass es um ungeborenes menschliches Leben geht.“
## Sein Konservatismus ist geschichtslos
Spahn setzt in seinem Zitat nicht nur Werbung und Information
fälschlicherweise gleich. Indem er das „Leben von Tieren“ anführt,
impliziert er auch: Schwangerschaftsabbrüche töten Menschen. Da war man in
der Diskussion echt schon mal weiter.
[1][Spahn verurteilt die Befürworter des Schwangerschaftsabbruchs als
scheinheilige Bagage und biedert sich auf diese Weise den Fundamentalisten
und Rechten an] – alles auf Kosten von betroffenen schwangeren Frauen, die
in einer großen Notlage sind. Interessant übrigens, was sein Satz im
Umkehrschluss bedeutet: dass Vegetarier auch Abtreibungsgegner sein müssen.
Was, fragen Sie jetzt vielleicht ungeduldig, hat die Abtreibungsdebatte
überhaupt mit dem Selbstbestimmungsrecht der Homosexuellen zu tun? Viel,
denn Frauen, insbesondere die lesbischen, waren sowohl da als auch dort
aktiv.
„Jung, schwul, konservativ“ heißt es im Stern– dafür stehe Jens Spahn. …
es ist ein geschichtsloser Konservativismus, den er vertritt. Was vorher
war, wird nicht gebraucht. Selten wird verstanden, dass es in den siebziger
Jahren oft – aber natürlich nicht nur – lesbische Frauen waren, die sich
für Themen einsetzten, die sie selbst gar nicht in erster Linie betrafen:
die Streichung des Abtreibungsparagrafen, Gewalt in der Ehe und die
Gründung von Frauenhäusern, Scheidungswillkür, Mehrfachbelastung durch Mann
und Kinder. All das waren und sind Probleme, die vor allem Frauen betrafen
und betreffen, die heterosexuell leben.
## Schwule Männer sollten jetzt Solidarität zeigen
Heterosexualität ist die Norm. Lesbische Frauen sind die Abweichung. Und
deshalb standen sie auch an der Seite der schwulen Männer, die für die
Abschaffung der Diskriminierung von Homosexuellen eintraten. Solidarität
halt. Hier läuft alles zusammen, deshalb verrät Spahn seine Mütter, wenn er
sich nun populistisch im Lager der Schwangerschaftsgegner umtut.
Übrigens wäre jetzt deshalb ein guter Moment für schwule Männer, sich für
die Abschaffung des §219a starkzumachen. Aus Solidarität. Und um deutlich
zu machen, dass die laut vorgetragene Meinung eines schwulen Ministers
nicht stellvertretend für alle anderen steht. Aber so weit ist es noch
nicht.
Noch gilt: Ein junger Nutznießer des Engagements seiner Müttergeneration,
der mit einem Mann zusammen lebende, 1980 geborene Jens Spahn, fällt jenen
Frauen, die in den Jahren vor und nach seiner Geburt sowohl für die Rechte
von Homosexuellen als auch von heterosexuellen Frauen eingetreten sind und
seine Mütter sein könnten, in den Rücken. Warum?
Die Mythologie gibt keine Antwort darauf, vielleicht indes die Psychologie.
Für Matrizid, Müttermord, gebe es mehrere Ursachen, schreibt die
amerikanische Kriminologie-Professorin Kathleen Heide. Einer sei eine
Überidentifizierung mit der Mutter, die den Ablösungsprozess verhindert.
Der Muttermord wäre dann ein Befreiungsschlag. Einflüsterungen wie bei
Orestes, der Stimmen hörte, können ebenfalls zum Muttermord führen. Der
gefährlich antisoziale Nero wiederum tötete, weil er etwas wollte, was
seine Mutter hatte: die Macht. Und dann gibt es noch das von der Mutter
besetzte Kind.
## Ein potenzieller Merkel-Nachfolger?
Aber, ach, all das ist jetzt auch nicht hilfreich, um Spahns Attacken zu
erklären. Wäre da nicht noch die eine, die einzige und echte Übermutter:
Angela Merkel. Seit Spahn elf Jahre alt war, hat sie irgendwas zu sagen in
der CDU, mit ihr ist er identifiziert. Er begehrt nicht sie, aber etwas,
was sie hat.
„Es wird einen ‚Muttermord‘ geben“, sagte der Historiker Martin Rupps
kürzlich in einem Interview im Deutschlandfunk. Er meint, dass Merkel nicht
mehr lange die Regierungschefin sein wird, dass sie weggefegt werden wird
von ihren eigenen Leuten. Wer der Muttermörder sein wird, sagt er nicht.
Wohl aber betonen konservative Leitmedien derzeit gerne, dass Spahn in der
CDU als ihr potenzieller Nachfolger gesehen wird und, Achtung, jetzt
kommt’s: Er sehe sich selbst auch so.
Und das erst erklärt endlich, endlich auch seinen Verrat an den Müttern,
die zu dem beitrugen, was er ist: Er übt schon mal.
27 Mar 2018
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## AUTOREN
Waltraud Schwab
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