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# taz.de -- Diplomatische Krise nach Salisbury: Weder Käse noch Kultur
> London hat russische Diplomaten ausgewiesen und Moskau britische und das
> British Council geschlossen. Was denken britische Expats in Russland?
Bild: Limo-Stau vor dem Außenministerium in Moskau: Russland will den eingelad…
Moskau taz | Einen Tag nach der Nachricht, dass als Reaktion auf die
Vergiftugn in Salisbury 23 russische Diplomaten ausgewiesen werden sollen,
sitze ich an einem der angesagtesten Orte Moskaus und warte auf ein
Gespräch mit einem britischen Dozenten. Gemäß unserer Vereinbarung darf ich
weder seinen Namen noch seine Arbeitsstätte nennen. Der Grund: Ein Gespräch
über Politisches könnte seinen Visa-Status gefährden – und darüber hinaus
sogar die Existenz der Bildungseinrichtung, für die er tätig ist.
„Mich kann man sogar leichter nach Hause schicken als einen Diplomaten“
sagt mein namenloser Gesprächspartner. Gegen den Trend – zwischen 2014 und
2016 sank die Zahl britischer Staatsbürger in Russland von 180.000 auf
30.000 – hatte er sich dazu entschieden, in Moskau zu arbeiten, umittelbar
nach Einnahme der Krim.
Die gesamte Situation gleicht für ihn einer Zirkusvorstellung: „Ich bin
nicht der Typ für Verschwörungstheorien, aber dies ist ein von vorne bis
hinten konstruierter Fall mit dem Ziel, Probleme zu schaffen und die
Distanz zwischen dem Westen und Russland zu vergrößern. Und warum sollte
das jemand genau vor einer Wahl tun?“.
Er glaubt, dass die Medien beider Länder so die Massen zu immer extremerem
Patriotismus aufstacheln: „Die Nachrichten in England zeigen ständig, wie
böse Russland ist, und dass Putin ein Diktator ist. Sie nennen ihn den
nächsten Hitler. Je mehr man liest, desto ärgerlicher wird man nicht über
das, was passiert, sondern wie darüber berichtet wird.“
## Räuberpistole des Westens
Auch die russischen Medien haben intensiv über die Vergiftung von Sergei
Skripal und seiner Tochter berichtet. Bereits einen Tag nach Bekanntwerdung
berichtete die Staatszeitung Rossiyskaya Gazeta über die Vergiftung eines
„66 Jahre alten, verarmten und gescheiterten Agenten“ und bezeichnete die
Geschichte als eine Räuberpistole des Westens. In den folgenden Tagen
schlossen sich die meisten Medien der offiziellen Haltung des
Außenministeriums an und betonen, dass es der Britischen Regierung an
Beweisen mangele und diese lediglich versuche, Russland zu diskreditieren.
Russland ist generell kein gutes Pflaster für freie Meinungsäußerung, doch
mein Interviewpartner versteht das Leben in Moskau als Abenteuer, dessen
Risiken er sich bewusst ist: „Auf der Londoner High Street kann ich
bedenkenlos auf Theresa May oder die Monarchie schimpfen. Wenn ich das hier
täte, würde ich einen Polizeieinsatz heraufbeschwören. Und in meinen
künstlerischen Umfeld ist es nicht möglich, sich über politische, soziale
und religiöse Dinge zu äußern, nicht einmal über sexuelle. Im Prinzip ist
mein Job hier eine Farce“.
Später, nach dem Interview, gibt es noch einen Vortrag im Moskauer Museum
der Modernen Künste, organisiert mit Unterstützung des British Council.
Joann Zylinska, Professorin an der Londoner Goldsmith's Universität, hält
einen Vortrag über „Unmenschliche Erfindungen: Bilder vom Ende der Welt“.
Auf der Leinwand sieht man einen Kronleuchter aus CCTV-Überwachungskameras,
ein Symbol für die unaufhörlich aufgezeichnete Realität.
Videos, die mit eben diesen Kameras in Salisbury aufgezeichnet wurden,
werden gerade im Fall Scripal ausgewertet. Nach dem Vortrag suche ich das
Gespräch mit Zylinska, möchte mit ihr über die Spannungen zwischen
Großbrittannien und Russland reden. Doch sie zieht nur die Augenbrauen
hoch, macht eine hilflose Geste: „Bitte, keine Politik! Ein Freund von mir
hat gerade einen politischen Kommentar abgegeben und es wurde ein riesiger
Skandal daraus.“
Marc Bennets, 47, britischer Journalist in Moskau seit über zehn Jahren,
gibt zu bedenken, dass sich die Spannung zwischen den beiden Ländern schon
seit längerer Zeit aufgebaut hat und auch ein anderer Vorfall zu einer
Eskalation hätte führen können. „Obwohl ich eine Beteiligung des Kreml
nicht ausschließen möchte glaube ich, dass die britische Regierung es etwas
zu eilig hatte, Putin persönlich zu beschuldigen. Sicher auch weil Theresa
May dachte, dass sie daraus politisches Kapital schlagen könnte“ sagt er.
## Früher schon keine Probleme
Auch in Moskau tätige britische Geschäftsleute vermeiden in der
Öffentlichkeit Gespräche über Politik. Nicht unbedingt aus Angst, sondern
eher aus dem Bedürfnis heraus, einen kühlen Blick auf die Dinge zu wahren.
Martin, 32, leitet seit drei Jahren eine britische Fußballschule.
Größtenteils unterrichtet er Schüler von britischen oder multinationalen
Familien: „Wir merken wirklich keinen Unterschied. Und auch früher hatten
wir keine Probleme“, sagt er. Und Joshua Levy, 33, ist der gleichen
Meinung. Levy baut gerade eine eigene Englischschule namens JLP Russia auf
und ist Berater der größten russische Bank, der Sherbank.
Er findet, dass die in Russland arbeitenden Briten kein besonderes
Interesse an Politik haben: „Ich hatte anfangs schon ein bisschen Angst um
mein Geschäft – schließlich habe ich mein gesamtes Privatvermögen darin
investiert und eine Alternative habe ich nicht. Aber der Präsident der
Sherbank hat seine Meinung über meine Arbeit nicht geändert. In Russland
werde ich eher Schwierigkeiten aufgrund meiner dunkleren Hautfarbe
bekommen, nicht wegen meiner Staatsbürgerschaft“.
Die Moskauer sprachen anfangs kaum über die Vergiftung in Salisbury,
reagierten aber schnell, als das British Council auf Geheiß des russischen
Außenministeriums geschlossen wurde. Das Ministerium hatte diese Taktik
schon einmal angewendet: 2008 musste das British Council seine
Niederlassungen in einigen russischen Regionen schließen, nachdem es
aufgrund der Ermordung des früheren russischen Geheimdienstoffiziers
Alexander Litvinenko zu Spannungen gekommen war.
„Für mich ändert das nicht viel“ kommentiert der Journalist Marc Bennets:
„Ich denke, diese Sanktionen werden eher die Russen betreffen, weil sie
nicht mehr auf die Ressourcen zurückgreifen können. Putin tendiert ja des
öfteren dazu, die eigenen Leute zu bestrafen, wenn er Ärger mit dem Westen
hat. Die Verbannnung westlicher Lebensmittel zum Beispiel – das hat für
eine massive Verärgerung der Mittelklasse gesorgt, insbesondere unter den
Käseliebhabern“.
## Folgen für einfache Leute
Die meisten Befragten stimmen überein mit dieser Einschätzung, sie
befürchten eine kulturelle Provinzialisierung. Der russische
Schriftsteller, Journalist und Literaturkritiker Alexander Arkhangelsky
vermutet sogar dass diese „unangebrachte Entscheidung“ möglicherweise
richtungsweisend sein könnte: „Sie wurde von Politikern getroffen, für die
eine Teilnahme Russlands, der russischen Sprache und Kultur am
Weltgeschehen nichts weiter als eine leere Phrase ist. Sie opfern die
Kultur politischen Konflikten.“
Der russische Redakteur Yury Saprykin, der den Begriff „Hipster“ in den
russischen Mediendiskurs eingeführt hat, sieht das ähnlich. Er hat
regelmäßig mit dem British Council zusammengearbeitet und ist nun traurig
über dessen Schließung. „Ich weiß nicht, wer dort James Bond spielen
wollte. Aber von den Folgen werden nicht Politiker oder Mächtige betroffen
sein sondern einfache Leute, für die es nicht so einfach ist, mal eben von
Moskau nach London zu reisen (oder umgekehrt) um sich ein Konzert
anzuhören. Ihr Leben wird nun noch ein bisschen grauer und langweiliger.“
Übersetzung: Martin Reichert
24 Mar 2018
## AUTOREN
Elena Barysheva
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