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# taz.de -- Kommentar zum Raser-Urteil: Gericht fährt auf der mittleren Spur
> Es muss nicht immer lebenslang sein. Gut, dass der Bundesgerichtshof beim
> Umgang mit Autorasern auf Ideologie verzichtet.
Bild: Verwüstung: Die Berliner Tauentzienstraße nach dem Rennen, bei dem ein …
Vor einem Jahr hat das Landgericht Berlin zwei junge Autoraser wegen Mordes
zu lebenslanger Haft verurteilt. Eine Wettfahrt auf dem Kurfürstendamm
endete in einem katastrophalen Crash, bei dem ein unbeteiligter Rentner
starb. [1][Der Bundesgerichtshof (BGH) hat das Berliner Urteil am
Donnerstag nun zwar aufgehoben, aber auch nicht ganz verworfen].
Lebenslang für Raser – vor zehn Jahren war so etwas im Autoland Deutschland
noch unvorstellbar. Bei uns gibt es keine generellen Tempolimits und die
Bußgelder für überhöhte Geschwindigkeit sind im internationalen Vergleich
moderat. Dazu passte auch, dass nach tödlichen Raser-Unfällen regelmäßig
Bewährungsstrafen verhängt wurden, wegen fahrlässiger Tötung. Der Tod von
Passanten wurde bislang als etwas schicksalhaft Tragisches angesehen: kein
Grund für kollektive Empörung.
Das änderte sich erst, als immer wieder Todesfälle einer sogenannten
Raser-Szene zugerechnet wurden. Jungen Männern, die sich mit PS-starken
Protzkarren rücksichtslos Rennen auf öffentlichen Straßen lieferten. So
hatte man sich das nicht vorgestellt mit der „Freien Fahrt für freie
Bürger. Die Stimmung kippte, wohl auch, weil diese Szene stark migrantisch
geprägt war und ist.
Die einst supermilden Strafen für Raser-Todesfälle wurden härter.
Bewährungsstrafen wurden zur Ausnahme. Es gab erste Anklagen wegen
vorsätzlicher Tötung. Und dann kam das Berliner Urteil: Mord, lebenslang –
das andere Extrem. So radikalisierte sich die Justiz unter dem Druck der
öffentlichen Stimmung binnen weniger Jahre von viel zu milden
Bewährungsstrafen zum völlig übertriebenen Mordvorwurf mit Lebenslang. Es
ist gut, dass der BGH nun etwas Druck aus dem Kessel nimmt.
## Schematische Lösungen abgelehnt
Zurecht hat der Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, dass die Raser nicht
nur eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen, sondern auch für ihr
eigenes Leben. Hier einen Vorsatz zu unterstellen, ist fraglich.
Strafrechtlich kommt es ja auf diese Unterscheidung an: Handelten die Täter
in bewusster Fahrlässigkeit und denken „es wird schon gut gehen“? Oder
sagen sie sich: „Na, wenn schon“ und nehmen mögliche Unfälle gleichgültig
hin?
Der BGH lehnt schematische Lösungen nun generell ab. Weder könne man Rasern
unterstellen, dass sie sich stets unverwundbar fühlen, noch dass ihr
Handeln immer von Rücksicht geprägt ist. Es komme also immer auf den
Einzelfall an, ob ein Gericht Vorsatz oder Fahrlässigkeit annehmen muss.
Diese BGH-Vorgabe klingt differenziert, verdeckt aber zugleich, dass hier
doch eine Schere aufgeht. Bei fahrlässiger Tötung ist die Obergrenze fünf
Jahre, bei Mord gibt es dagegen nur „lebenslang“, also mindestens 15 Jahre.
Dabei sind die Unterschiede zwischen „wird schon gutgehen“ und „na wenn
schon“ minimal. Deshalb kommt es in der Praxis jetzt auf ausgewogene
Lösungen an.
## Angemessene Strafen unter „lebenslänglich“
Der Gesetzgeber hat inzwischen eine Lösung gefunden, die auch Mittelwege
erlaubt. Wer ein illegales Autorennen fährt, kann jetzt mit bis zu zehn
Jahren Haft bestraft werden, wenn dabei ein Mensch stirbt. Auf einen
Tötungsvorsatz kommt es nun nicht mehr an. Der neue Strafparagraph erlaubt
also harte, schuldangemessene Strafen, bleibt aber deutlich unter dem
exzessiven „lebenslänglich“.
So hat die Raser-Szene ungewollt sogar zur Modernisierung des
Verkehrsstrafrechts beigetragen. Die Strafen für tödliche Raserunfälle
entsprechen heute eher als früher dem Grad an Rücksichtslosigkeit der
Täter. Das wird zwar nicht zur Abschreckung führen, aber zumindest zur
Beruhigung in der nicht-rasenden Mehrheit der Bevölkerung.
2 Mar 2018
## LINKS
[1] /Revision-im-Prozess-gegen-Kudamm-Raser/!5485814
## AUTOREN
Christian Rath
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Raser
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