# taz.de -- Nachwahlen in Pennsylvania: Eine Geschichte über Moral und Stahl | |
> Einst war Pittsburgh eine Stahlhochburg und 2016 einer von Trumps | |
> erfolgreichsten Wahlkreisen. Heute liegen Demokraten und Republikaner | |
> gleichauf. | |
Bild: In Pittsburgh: Trump versucht es im März 2018 noch mal mit „Make Ameri… | |
Pittsburgh taz | Das einzig Schillernde an dem blassblonden Mann mit | |
Schnäuzer ist ein dicker blauer Stein am Goldring an seinem rechten | |
Ringfinger. Der leuchtet, während Rick Saccone jetzt mit Worten auf die | |
Journalisten und Kameraleute eindrischt, die vor ihm stehen. Sie seien | |
„parteiisch für einen weit linksstehenden Politiker“, schimpft der | |
Republikaner. Und sie produzierten „fake news“, weil sie weder über die 75 | |
Länder, die er besucht habe, noch über seine 18,5 Jahre bei der Air Force | |
noch über seine neun Bücher berichteten. Zwei Dutzend meist ältere | |
Herrschaften, die sich als menschliche Kulisse hinter ihm aufgestellt haben | |
und von denen manche Schilder mit seinem Namen hochhalten, nicken | |
zustimmend und applaudieren. | |
Nach knapp 17 Minuten Medienschelte verlässt der 60-jährige Saccone mit | |
grimmigem Gesichtsausdruck seine Pressekonferenz in der Vorstadt Green | |
Tree. Er hat sich einmal als „Trump, bevor es Trump gab“, bezeichnet. Aber | |
in diesem Moment wirkt er wie einer, der sich auf Verlieren eingestellt hat | |
und zum Schluss noch auf jene eindreschen will, die er für verantwortlich | |
hält. | |
Tatsächlich sieht es knapp aus. In dem Wahlkreis, in dem Donald Trump in | |
November 2016 fast 20 Prozent vor Hillary Clinton lag, liegen nur | |
eineinhalb Jahre später der Republikaner und ein Demokrat gleichauf. Manche | |
Umfragen sehen den Demokraten, den 33-jährigen Conor Lamb, der bis vor | |
wenigen Monaten ein Unbekannter war, sogar in Führung. | |
Demokrat Lamb gehört zum rechten Flügel seiner Partei. Er war ein | |
Staatsanwalt, bevor er kandidierte, war drei Jahre bei den Marines, er | |
sagt, dass er privat gegen Abtreibung ist, und lobt ausdrücklich Trumps | |
Steuerreform. In einem Wahlkampfvideo ist er mit einem Maschinengewehr auf | |
einem Schießplatz zu sehen. Diese Positionen machen ihn wählbar für | |
bestimmte Republikaner und umso gefährlicher für den republikanischen | |
Kandidaten. | |
Ein demokratischer Wahlsieg würde die republikanische Mehrheit im | |
Repräsentantenhaus nicht gefährden. Und der neugewählte Abgeordnete wird | |
ohnehin nur bis zu den Halbzeitwahlen im November im Amt bleiben, wenn auch | |
der 18. Wahlkreis in Pennsylvania neu wählt. Aber drei Monate nach Alabama | |
wäre es die zweite republikanische Wahlniederlage in einer konservativen | |
Hochburg. Es gäbe den Demokraten Aufwind und würde die Republikaner in | |
Bedrängnis stürzen. | |
## Abtreibung sei ein „Übel“ | |
Diese Perspektiven haben die Nachwahlen in der Provinz zu einem nationalen | |
Ereignis gemacht. Allein aus der Familie Trump sind drei Mitglieder für | |
Auftritte nach Pennsylvania gereist – der Präsident, seine Tochter Ivanka | |
und sein Sohn Donald. Die Demokratische Partei hat ihren Exvizepräsidenten | |
Joe Biden geschickt. Und Gewerkschafter aus dem ganzen Land haben in den | |
letzten Tagen an die Haustüren von Gewerkschaftsmitgliedern im Wahlkreis 18 | |
geklopft, damit sie dieses Mal demokratisch wählen. | |
In den zurückliegenden Jahren hatte die Demokratische Partei nicht mal bei | |
allen Wahlen eigene Kandidaten ins Rennen geschickt und der | |
Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO des Öfteren Kandidaten der Republikaner | |
unterstützt. Aber bei Saccone, der erklärtermaßen die Gewerkschaften | |
aushungern will, geht das nicht. Kim Miller, von der einst in Pittsburgh | |
gegründeten Stahlarbeitergewerkschaft SWU sagt bei einer ihrer letzten | |
Runden vor dem Urnengang, dass sie dieses Mal ein gutes Gefühl hat: „Conor | |
steht auf unserer Seite.“ | |
Doch nachdem Saccone seine Pressekonferenz verlassen hat, versichern jene, | |
die ihm zuvor als menschliche Kulisse gedient haben, dass bei den | |
Nachwahlen zum Repräsentantenhaus im 18. Wahlkreis in Pennsylvania alles | |
beim republikanischen Alten bleiben werde. „Natürlich gewinnt Rick“, ist | |
John Di Lallo überzeugt. Er gehört zu einer Organisation namens | |
„Schusswaffenbesitzer gegen Verbrechen“, die ihre Wahlempfehlungen daran | |
misst, wie aufgeschlossen Kandidaten gegenüber Schusswaffen sind. | |
Annette Kroll, die Versicherungen verkauft und ebenfalls hinter dem | |
Kandidaten Saccone gestanden hat, nennt die USA „die großzügigste Nation | |
der Welt“, will aber „zuerst an unsere eigene Industrie denken“. Und die | |
Rentnerin Karin Affinito versichert der deutschen Reporterin, dass die | |
Medienschelte nicht ihr gegolten habe: „Sie arbeiten ja nicht für die | |
US-Medien.“ | |
Auf einer Stehtafel in dem republikanischen Büro steht das Plansoll für | |
Telefonanrufe bei Wählern: 15.000. Auf einem Tisch liegen Stapel von | |
Handzetteln mit den Hauptargumenten. Darunter ein DIN-A5-Blatt mit einer | |
Zeichnung von einem Fötus und dem Hinweis, Abtreibung sei ein „Übel“, das | |
jeden Kandidaten von öffentlichen Ämtern disqualifiziere. | |
## „America First“ neu beleben – dieses Mal mit Stahl | |
Heucheleien über Sex und Moral haben die Nachwahl in Pennsylvania nötig | |
gemacht. Der Republikaner Tim Murphy, der 14 Jahre lang für den Wahlkreis | |
im Repräsentantenhaus saß, gab öffentlich den Politiker für „Familienwert… | |
und gegen „Abtreibung“. Aber privat hatte er eine außereheliche Geliebte, | |
und als diese glaubte, sie wäre schwanger, schlug er ihr eine Abtreibung | |
vor. Als das im vergangenen Herbst herauskam, hatte Murphy das zusätzliche | |
Pech, dass gerade die „Me-Too“-Empörung durch das Land ging. Er konnte sich | |
nicht mit „Beten und Reue“ herauszureden, und musste zurücktreten. | |
Die Affäre in der Provinz gab Trump die Gelegenheit, seinen Slogan von | |
„America First“ wieder zu beleben. Dieses Mal mit Stahl. Pittsburgh liegt | |
am südlichen Rand des Rust Belt. Die Stadt hat längst kein Stahlwerk mehr | |
und im Gegensatz zu anderen Städten aus dem Rust Belt hat sie es geschafft, | |
neue Technologien anzuziehen. | |
In Homestead, ein paar Meilen flussaufwärts am Monongahela-Fluss, wo früher | |
das größte Stahlwerk der Welt den Himmel orange färbte, befindet sich heute | |
eine meilenlange Mall, wo die Beschäftigten den Mindestlohn bekommen, | |
anstatt der Spitzenlöhne die dort früher die Stahlarbeiter verdienten. Aber | |
bis heute nennt Pittsburgh sich „Steel City“, sein Football-Team, das sechs | |
Mal den Super Bowl gewonnen hat, sind die „Steelers“, und die Region, die | |
Pittsburg nach Ohio führt, trägt den Namen „Steel Valley“. | |
„Der Stahl ist zurück“, ruft Trump ins Mikrofon, als er am Samstagabend vor | |
mehreren tausend Menschen aus dem Steel Valley in einer Flugzeughalle bei | |
Pittsburgh steht. [1][Seit er die neuen Zölle unterschrieben hat], sind | |
erst drei Tage vergangen, und kein Kenner glaubt, dass die | |
US-Stahlindustrie vier Jahrzehnte danach wiederbelebt werden kann. Doch | |
Trump will den Retter geben, wie schon bei der Kohle. Der Saal zu seinen | |
Füßen ist an diesem Tag mit Nachfahren von Stahlarbeitern gefüllt, die mit | |
den Geschichten von der guten alten Zeit aufgewachsen sind, ohne selbst | |
davon profitiert zu haben. | |
„Ich bin 100 Prozent für höhere Zölle“, sagt Clinton Young aus Ohio. In … | |
Familie des heute 45-Jährigen gingen die Männer „in den Stahl“. Aber als | |
seine Schulzeit zu Ende war, gab es diese Option nicht mehr. Er wurde | |
Busfahrer und bringt bis heute weniger Geld nach Hause, als sein Vater und | |
sein Großvater. Wenn Trump es schafft, dann soll sein 15-jähriger Sohn, der | |
mit ihm zu dem Meeting gekommen ist, in die Fußstapfen des Großvaters | |
treten. | |
Trump beschreibt sich selbst als denjenigen, der die Aktienmärkte in die | |
Höhe treibt, die Arbeitslosigkeit senkt und den nordkoreanischen Diktator | |
an den Verhandlungstisch bringt. Und diese Menschen wollen ihm jedes Wort | |
glauben. Sie haben ihn gewählt und sie spüren seit Jahresanfang wegen der | |
Steuerreform eine kleine Verbesserung ihres Einkommens. Die Rentnerin | |
Rebecca Costello zahlt jetzt monatlich 157 Dollar weniger Steuern „Er hat | |
alles getan, was er versprochen hat“, schwärmt sie. Die einzige Kritik an | |
Trump betrifft seine Tweets. Er sollte sich die Beleidigungen verkneifen, | |
sagen vor allem Frauen. | |
## Er beteuert seine „Liebe“ zum Präsidenten | |
Aber als der Präsident ihnen immer neue Namen zum Fraß vorwirft, stürzen | |
sich die meisten freudig darauf. Mindestens 14 Mal zieht er über die Medien | |
her und weist mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die Pressetribüne am | |
anderen Ende des Raums, als wäre sie ein Ziel. Einen Fernsehmoderator nennt | |
er einen „Hurensohn“. Dann macht er oppositionelle Frauen herunter, | |
darunter mehrere afroamerikanische: Oprah Winfrey, wegen einer angeblichen | |
„Schwäche“, die Kongressabgeordnete Maxine Waters wegen eines angeblich | |
„niedrigen IQs'“. Das fast ausschließlich weiße Publikum sieht kein | |
Problem. Es klatscht auch Beifall, als Trump die Todesstrafe für Dealer | |
vorschlägt, wie es China und Singapore machen. Und als er droht, auch | |
Mercedes Benz und BMW mit höheren Zöllen zu strafen. | |
Viele tragen die roten Schirmmützen aus Trumps erstem Wahlkampf mit der | |
Aufschrift „Make America Great Again“. Aber er stellt an diesem Abend, | |
bereits seinen Slogan für den nächsten Wahlkampf 2020 vor. Bis dahin sei | |
Amerika – dank seiner – groß, sagt er. Weshalb er dann den Slogan benutzen | |
will: „Keep America great“. | |
Nach einer Stunde und 17 Minuten Selbstbeweihräucherung holt Trump den Mann | |
ans Mikrofon, wegen dem er überhaupt nach Pennsylvania gekommen ist: den | |
schwächelnden republikanischen Kandidaten Rick Cassone. Der beteuert seine | |
„Liebe“ zu dem Präsidenten, bedankt sich bei ihm und gibt ihm das Mikrofon | |
zurück. | |
13 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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