# taz.de -- Angriffe und Entführungen in Westafrika: Terroristen ohne Grenzen | |
> In Nigeria entführen sie Schulmädchen. In Burkina Faso schlagen sie in | |
> der Hauptstadt zu. Westafrikas Islamisten organisieren sich neu. | |
Bild: Die 15-jährige Schülerin Amina Usman (l.) konnte während der Entführu… | |
ABUJA taz | Fast vier Wochen sind seit der Entführung der 110 | |
[1][#DapchiGirls] in Nigeria vergangen – und gibt es noch immer kein | |
Bekennervideo. Dabei hatte der Überfall auf die weiterführende | |
Mädchenschule für Wissenschaft und Technik im Ort Dapchi im | |
nordnigerianischen Bundesstaat Yobe in der Nacht zum 20. Februar zumindest | |
einige Tage lang weltweit für Entsetzen gesorgt. | |
[2][In der Nacht hatten Terroristen die Schule mit Internat angegriffen, | |
und bis heute fehlt von 110 Mädchen jede Spur]. Es war wie ein Remake der | |
Massenentführung Hunderter Schulmädchen aus dem nordostnigerianischen | |
Chibok durch die islamistische Terrorarmee Boko Haram im April 2014, bis | |
heute Symbol der Grausamkeit von Boko Harams Krieg. | |
Die Entführer von Dapchi halten sich weiter bedeckt. Das deutet darauf hin, | |
dass hinter dem Vorfall nicht die Boko-Haram-Fraktion um Abubakar Shekau | |
steckt, der die Gruppe seit 2009 anführt. Nach Anschlägen von Shekaus | |
Leuten hat es bisher stets Videos gegeben. Er selbst gilt als jemand, der | |
Aufmerksamkeit will und mit seinen Videobotschaften Ängste schürt. | |
Verantwortlich für Dapchi dürfte vielmehr die Fraktion um Abu Musab | |
al-Barnawi sein. Das ist der Sohn von Boko-Haram-Gründer Mohammed Yussuf, | |
der 2009 beim Sturm der Polizei auf die damalige Zentrale Boko Harams in | |
der Millionenstadt Maiduguri ums Leben kam und dessen Tod die Gruppe in den | |
Guerillakrieg trieb. Al-Barnawi hatte Boko Haram vor zwei Jahren gespalten. | |
Sein Flügel ist der westafrikanische Arm des Islamistischen Staates (IS) | |
und galt für kurze Zeit als die mächtigere Gruppe. Bis heute, so sagen | |
Beobachter in Nigeria, finden immer wieder Kämpfe zwischen den beiden | |
Fraktionen statt. | |
## 40.000 Menschen ohne medizinische Grundversorgung | |
„Eigentlich nicht der Weg, wie sie operieren“, sagt Hussaini Abdu, | |
Landesdirektor der Hilfsorganisation Plan International, zu der | |
Vorgehensweise in Dapchi. Er geht allerdings davon aus, dass Boko Haram | |
einen strategischen Wandel vollzieht, da ihr nach dem Verlust der meisten | |
von ihr kontrollierten Territorien im Nordosten Nigerias seit 2015 die | |
Ressourcen fehlen. Lösegelderpressungen seien eine Möglichkeit, um an neue | |
Finanzen zu kommen. | |
Gegen eine Tat der Shekau-Fraktion spricht auch die geografische Lage. | |
Dapchi liegt in Yobe, während sonstige Angriffe vor allem weiter östlich | |
stattgefunden haben, östlich von Maiduguri, Provinzhauptstadt von Borno. Im | |
Ort Rann starben Anfang März sechs Soldaten, vier Polizisten sowie drei | |
Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen bei einer Attacke. Für die | |
Menschen waren die Folgen gravierend: Die Hilfsorganisation Ärzte ohne | |
Grenzen zog ihr Personal aus Rann ab, 40.000 Menschen blieben ohne | |
medizinische Grundversorgung zurück. | |
Bis heute dürften beide Bewegungen aus Nigeria überwiegend unabhängig von | |
weiteren islamistischen Gruppierungen in Westafrika agieren. Es gelingt | |
ihnen nicht mehr, große Städte anzugreifen wie etwa Nigerias Hauptstadt | |
Abuja – nach Anschlägen treten sie sofort die Flucht an und kämpfen nicht. | |
Ganz anders operieren indes islamistische Bewegungen in der Sahelzone, wie | |
erst vor Kurzem die recht neue „Gruppe zur Unterstützung des Islam und der | |
Muslime“ (GSIM). Sie griff am 2. März das Zentrum von Burkina Fasos | |
Hauptstadt Ouagadougou an. Im Fokus: das Hauptquartier der Armee sowie die | |
französische Botschaft. GSIM setzt sich seit Februar 2017 aus den | |
Bewegungen al-Mourabitoun des Algeriers Mokhtar Belmokhtar, Teilen von | |
Ansar Dine des historischen Tuareg-Rebellenführers Iyad Ag Ghali in Mali | |
sowie dem „Emirat der Sahara“ zusammen und sieht sich als Teil von al-Qaida | |
im Islamischen Maghreb (AQMI). | |
## Diesmal suchten sich die Terroristen harte Ziele | |
Offiziell starben bei den mehrstündigen spektakulären Feuergefechten im | |
Zentrum von Ouagadougou 16 Menschen. Es wird aber darüber spekuliert, ob | |
die Zahl nicht tatsächlich fast doppelt so hoch ist – und auch, ob die | |
Täter nicht Komplizen in Burkinas Sicherheitsapparat hatten. Noch immer | |
gibt es dort Kräfte, die mit dem Sturz des Langzeitherrschers Blaise | |
Compaoré durch einen Volksaufstand im Oktober 2014 nicht einverstanden sind | |
und die die junge Demokratie destabilisieren wollen, heißt es in Berichten | |
aus dem Land. | |
2016 und 2017 waren bei Anschlägen von Ouagadougou Dutzende Menschen | |
gestorben. Diesmal suchten sich die Terroristen harte Ziele. In der | |
Armeezentrale fand gerade ein Sicherheitstreffen der neuen multinationalen | |
Anti-Terror-Truppe G5 statt. Die Wahl der französischen Botschaft als Ziel | |
machte auch deutlich: Es war ein Vergeltungsschlag. In den Sahel-Staaten | |
sind die französischen Streitkräfte sehr präsent. Mitte Februar war bei | |
Luftangriffen der Franzosen in Mali al-Mourabitouns stellvertretender | |
Anführer Hassan al-Ansari ums Leben gekommen. | |
Seit dem politischen Umsturz 2014 ist Burkina Faso geschwächt. Im Norden | |
konnten sich islamistische Gruppen etablieren oder von Mali aus ins Land | |
gelangen – jenseits der Grenze, im Zentrum Malis, sind in jüngster Zeit | |
neue Rebellengruppen entstanden. | |
Es gibt keine gesicherten Informationen darüber, wie groß die bewaffneten | |
islamistischen Bewegungen in Westafrika aktuell sind. Hussaini Abdu in | |
Abuja meint: Auch mit kleiner Mitgliederzahl bleiben sie stark. Außerdem | |
können sie ihre Strategien schnell ändern. Die Armee hingegen nicht, sagt | |
er – zumindest nicht in Nigeria. | |
12 Mar 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/search?f=tweets&vertical=default&q=%23DapchiGir… | |
[2] /Vermisste-Schuelerinnen-in-Nigeria/!5487263 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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