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# taz.de -- Kommentar Merkels Bildungsministerin: Dämlicher Dünkel
> Weil die designierte Bildungsministerin Anja Karliczek Klischees
> widerspricht, wird sie verhohnepipelt. Hier artikuliert sich unangenehme
> Arroganz.
Bild: Das ist die Neue: Anja Karliczek, hier beim Red Hands Day gegen Einsatz v…
Früher bekamen neue Ministerinnen und Minister 100 Tage Zeit, bevor ihre
Arbeit erstmals bilanziert wurde. Anja Karliczek bekommt weniger Zeit:
Gegen 16 Uhr am Sonntag liefen die ersten Eil-Meldungen, dass die
CDU-Politikerin als neue Bundesministerin nominiert sei. Wenige Minuten
später ging es im Social Web zur Sache, beziehungsweise zur Person: „Die
Kauffrau @AnjaKarliczek wird neue Bildungsministerin“, twitterte
„Salafinchen“ um 16.14 Uhr. „Na dann kann ja nichts mehr schiefgehen.“
„Um Bildungsminister zu werden, reicht es anscheinend, mal
Klassenpflegschaftsvorsitzende gewesen zu sein“, [1][zwitscherte StefanM64]
um 16.53 Uhr.
„Bildungspolitisch sehr erfahren, die kommende Bildungsministerin Anja
Karliczek“, [2][schrieb Sebastian Weiermann], freier Journalist aus
Dortmund um 16.57 Uhr. Und zitierte genüsslich aus der wikipedia:
„Überörtlich stand sie von 2004 bis 2010 der Verbandsversammlung des
Volkshochschul-Zweckverbandes Lengerich vor.“
„Weiss denn jemand, was Frau Karliczek für den Posten der
Bundesbildungsministerin qualifiziert?“, [3][fragte um 17.15 Uhr Andreas
Busch], Professor der Politikwissenschaften der Universität Göttingen.
„Oder ist die Frage falsch gestellt?“
Die [4][Antwort gab um 20.10 Uhr Conrad Elser], der sich in seinem Profil
als „Dipl.-Ing. mit zwei Fakultas“ vorstellt:
„Klassenpflegschaftsvorsitzende! Das sollte für den Ministerposten
reichen.“
[5][Was ist passiert]? Angela Merkel will eine Frau zur Bildungsministerin
machen, die weder eine bekannte Politikerin, noch eine profilierte
Akademikerin ist. Anja Karliczek, 46 Jahre alt, ist seit 2013
Bundestagsabgeordnete und seit Anfang 2017 eine der parlamentarischen
Geschäftsführerinnen der CDU/CSU.
Ihr Weg ging so: Sie hat nach dem Abi eine Banklehre gemacht, dann noch
eine zur Hotelfachfrau, in dem Beruf darf sie außerdem ausbilden. Seit sie
23 ist, arbeitete sie als leitende Angestellte im Ringhotel Teutoburger
Wald in Westfalen, das ihrer Familie gehört. Sie hat drei Kinder, hat sich
für die Kinderbetreuung in Tecklenburg eingesetzt und ging in den Stadtrat,
wo sie CDU-Fraktionsvorsitzende wurde. 2003 hat sie nebenbei ein Studium an
der Fernuni Hagen angefangen, das sie als Diplom-Kauffrau abschloss. Von
ihrer Arbeit in der Schule ihrer Kinder und im Volkshochschulverband
Lengerich war schon die Rede.
Klar, so ein Ressort der Bundesregierung hat Fallhöhe. Wenn es zur Großen
Koalition kommt, dann würde Karliczek ein wichtiges Zukunftsressort leiten.
Es hat ein Budget von 17,6 Milliarden Euro, das in den vergangen Jahren
kontinuierlich gestiegen ist. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD
vereinbart, dass Bund und Länder künftig stärker kooperieren dürfen. Die
Schulen sollen mehr mit der digitalen Welt verknüpft werden.
Das Ressort ist wichtig, und eine gute Bildungsministerin kann viel daraus
machen. Sie bringt die Forschung mit klugen Förderstrategien voran – oder
nicht. Sie setzt sich in der Regierung durch – oder nicht. Sie hilft den
Ländern mit den Schulen – oder nicht. Sie verheddert sich im
Kompetenzgerangel – oder nicht. Sie wird ein Superstar. Oder eine
Vollversagerin. Oder etwas dazwischen. Wir wissen es ganz einfach nicht.
## Vorsorglich einen Lebensweg verhohnepipelt
Aber viele meinen es zu wissen. Vorsorglich verhohnepipeln sie einen
Lebensweg. Sie setzen eine Frau herab, nur weil die ihren Klischees
widerspricht. Bevor sie angefangen hat. Bevor sie sich überhaupt vorstellen
darf. Was für ein dämlicher Dünkel.
Die Äußerungen auf Twitter sind nur erste Reaktionen, so muss es nicht
laufen. Die Welt der Hochschulen und Institute täte gut daran, die
designierte Ministerin ernst zu nehmen. Doch die Nase wird traditionell
hoch getragen im Wissenschaftsbetrieb, und die Erwartung, die viele hier an
Wissenschaftsministerinnen- und Minister in Bund und Ländern haben, ist
eine andere. Da hätten die Magnifizenzen schon ganz gerne jemanden, der
oder die – habilitiert oder wenigstens promoviert – einen engen Bezug zu
Forschung und Lehre hat. Bitte mit Doktor, bitte mit Professor, bitte mit
Niveau. Bitte keine Politprolls.
Die Bildungsministerin Annette Schavan wurde hoch geschätzt, weil sie
geschliffen dozieren konnte. Und sie wurde ebenso hoch verachtet, als ihre
Doktorarbeit schlecht zu riechen begann. Nachfolgerin Johanna Wanka passte
perfekt. Professorin der Mathematik und früher Rektorin der Fachhochschule
Merseburg, kurz: eine von uns. Vielleicht mehr, als der Ministerin lieb
war, denn Erfolg im Wissenschaftsbetrieb bedeutet nicht gleich Erfolg in
der breiten Öffentlichkeit. Wanka gehörte zu den unbekanntesten Mitgliedern
in Merkels Regierung. Vielleicht deshalb sprach die Ministerin vor
Gelehrten darüber, dass Forschungsergebnisse nicht bloß in „Science“ oder
„Nature“ auftauchen müssten, sondern auch in der „Brigitte“. Das Audit…
lächelte mitleidig.
## Merkel zieht durch
Nur vor diesem Hintergrund kann man erkennen, wie bemerkenswert Merkels
Schritt ist. Die Arroganz der Akademiker: ist ihr wurscht. Die Kanzlerin
nominiert: eine Kauffrau. Die ganzen Leute in der Unionsfraktion, die schon
länger auf Beförderung warten: ignoriert sie. Merkel zieht jetzt einfach
mal durch.
In Parlament und Regierung sitzen sehr viele Juristen. Seit einigen Jahren
kommen Politologinnen und Politologen dazu, die schon während des Studiums
durch Praktika in Abgeordnetenbüros oder Verbandsdependancen Teil der
Hauptstadtwelt geworden sind. Wäre jemand von ihnen Bildungsministerin
geworden, die witzelnde Häme, mit der Anja Karliczek bedacht wird, gäbe es
nicht.
Ob eine Ministerin ihren Job erfolgreich machen kann, hängt von vielen
Faktoren ab. Eine gute Ressortchefin kann Stimmungen erspüren und
Mehrheiten organisieren; sie kann Arbeit verteilen und selbst entscheiden;
sie kann empathisch sein und hart; sie liest schnell und durchdringt
komplexe Sachverhalte, sie kann integrieren und sich abgrenzen; sie kann
zuhören und sie kann reden. Sie braucht wenig Schlaf und behält die Nerven.
Und ja, Vorwissen im Politikfeld kann helfen. Es gibt Beispiele wie den
Grünen-Politiker Christian Meyer, der Fachpolitiker seiner Fraktion in
Niedersachsen war und dann ein guter Landwirtschaftsminister.
Gegenbeispiel: Renate Künast. Trug es nicht zu ihrem Erfolg bei, dass sie
als Bundeslandwirtschaftsministerin 2001 ganz von außen kam? Die
Agrarpolitik ist nicht nur für die Bauern da. Die
Bundesverteidigungsministerin ist nicht die Verteidigungsministerin der
Bundeswehr, sondern der Bundesrepublik. Und die Bildungsministerin arbeitet
nicht nur für Professorinnen und Lehrer.
Bildung findet natürlich an der Uni statt, im Hörsaal, im Labor, in der
Bibliothek. Sie findet aber auch woanders statt. In der Küche vom Ringhotel
Teutoburger Wald. In der Volkshochschule von Lengerich. Beim
Klassenpflegschaftsabend in Ibbenbüren. Genau dort, wo Anja Karliczek
herkommt.
26 Feb 2018
## LINKS
[1] https://twitter.com/StefanM64/status/967789549773639681
[2] https://twitter.com/SWeiermann/status/967790592444035075
[3] https://twitter.com/anbusch/status/967795125840736256
[4] https://twitter.com/Hirnwindungen/status/967839226216767488
[5] /CDU-Vorschlag-fuer-Bildungsministerium/!5487185
## AUTOREN
Georg Löwisch
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