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# taz.de -- Bundestagsdebatte zum Paragraf §219a: Die FDP setzt auf Vermittlung
> Es gibt eine Mehrheit gegen den Paragrafen 219a. Doch die SPD nimmt
> Rücksicht auf die Union – und die teilt sich ihre Argumente mit der AfD.
Bild: „My body, my choice – mein körper, meine Wahl“: Protest gegen §21…
Berlin taz | Auf dem Platz vor dem Reichstag fliegen am
Donnerstagnachmittag Kreppbandrollen durch die Luft. „Hast du noch
welches?“, rufen junge und ältere Menschen einander zu, dann helfen sie
sich gegenseitig, zwei Klebebandstreifen wie zum Kreuz über den Mund zu
ziehen. Einige von ihnen tragen Arztkittel, andere schwenken eine den
Mittelfinger zeigende Gebärmutter aus Pappe durch die Luft. „§219a“ steht
auf den zugeklebten Mündern; der Paragraf verbiete ihnen den Mund,
suggerieren die Demonstrierenden.
Später wird der Bundestag erstmals über Paragraf 219a Strafgesetzbuch
diskutieren – über das Verbot der „Werbung für den Abbruch der
Schwangerschaft“. Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung hat zu einer
Kundgebung aufgerufen. Auch Ricarda Lang, Sprecherin der Grünen Jugend,
steht an diesem eiskalten Nachmittag vor dem Reichstag hinter einem Banner
mit den Worten: „Mein Körper, meine Entscheidung – weg mit 219a“. Neben …
treten Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und die neue Parteichefin
Annalena Baerbock von einem Bein aufs andere, um sich warmzuhalten. „Unsere
Partei steht geschlossen hinter einer kompletten Abschaffung“, sagt Ricarda
Lang. Auch Abgeordnete von Linken und SPD sind da.
Paragraf 219a verbietet nicht nur das Werben für Schwangerschaftsabbrüche,
sondern auch die öffentliche Information von Ärzt*innen darüber, dass sie
welche vornehmen. Im November 2017 war die Ärztin Kristina Hänel zu einer
Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden, weil sie auf ihrer Webseite
den Schwangerschaftsabbruch als Leistung aufführt.
Es ist bereits nach 21 Uhr, als die ursprünglich für den Nachmittag
anberaumte Bundestagsdebatte dann beginnt. Und es ist spannend; denn
theoretisch gibt es eine Mehrheit für die Reform des Paragrafen. Grüne,
Linke, SPD: Alle drei Fraktionen haben einstimmig Gesetzentwürfe
beschlossen, die eine Streichung des Paragrafen vorsehen. Die FDP will den
Paragrafen reformieren. Um Erfolg zu haben, braucht es aber die Stimmen
aller vier Fraktionen.
## Die AfD beklatscht die Union
Diskutiert wird aber nur über die Gesetzentwürfe von Grünen, Linken und
FDP. Die SPD hat ihren Gesetzentwurf nicht eingebracht – aus Rücksicht auf
die Union, dem wohl künftigen Koalitionspartner. Die Grüne Ulle Schauws
tritt ans Podium, ordnet ihre Papiere, blickt sich um. „Paragraf 219a
verhindert, dass Frauen, die ungewollt schwanger und in einer Notlage sind,
sich schnell und umfassend informieren können“, sagt sie. Auch die Grünen
wollten nicht, dass Werbung für Schwangerschaftsabbrüche erlaubt sei. Aber
der Paragraf stelle auch die sachliche Information unter Strafe. „Es ist an
der Zeit, dass wir endlich parlamentarisch über diesen veralteten
Paragrafen des Strafgesetzbuches debattieren“, sagt Schauws.
Wer diese Debatte partout nicht führen will, wird schnell deutlich: Union
und AfD. Beide Parteien stützen sich auf dieselben Argumente; die AfD
applaudiert immer wieder der Union, deren Abgeordnete schauen betreten zur
Seite, wenn ein*e Abgeordnete*r der AfD spricht. Mariana Harder-Kühnel
(AfD) und Silke Launert (CSU) beginnen ihre Redebeiträge sogar exakt
gleich: Mit Zitaten aus dem Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist
unantastbar“. Damit meinen sie in diesem Fall nicht die Würde der Frauen.
„Man muss alle betroffenen Interessen berücksichtigen“, sagt der
CDU-Abgeordnete Stephan Harbarth. Die Gesetzentwürfe, die eine Streichung
des Paragrafen fordern, ließen aber „einen Grundrechtsträger außer Acht:
das ungeborene Kind“. Das Bundesverfassungsgericht habe klare Vorgaben zu
dessen Schutz gemacht und betont, dass Schwangerschaftsabbrüche als Unrecht
anzusehen und deswegen zu verbieten seien.
## Die FDP setzt auf Vermittlung
So ist es in Deutschland derzeit in der Tat geregelt: Abtreibungen sind in
Deutschland rechtswidrig, aber straffrei, wenn der Abbruch innerhalb der
ersten 12 Wochen nach Empfängnis passiert, die Frau zuvor in einer
staatlich anerkannten Beratungsstelle beraten wurde und sie eine
Bedenkfrist von drei Tagen hat verstreichen lassen. Nicht verboten sind
Abtreibungen, wenn die Gesundheit der Frau gefährdet ist oder etwa nach
einer Vergewaltigung. Wenn Ärzt*innen über ihr Tun informieren dürften,
würde das die Beratung konterkarieren, argumentiert die Union. Zudem würde
dann für Abtreibungen geworben wie für Schönheits-OPs. Überzeugende
Argumente dafür, inwiefern sachliche Information dem vom Verfassungsgericht
geforderten Schutz des ungeborenen Lebens entgegensteht, liefert die
Fraktion nicht.
„Das ist doch total irre“, ruft Cornelia Möhring von der Linksfraktion
aufgebracht, schwenkt ihre Faust durch die Luft. „Ich kenne keine Frau, die
sagen würde: Coole Werbung, jetzt mach ich mal ’nen
Schwangerschaftsabbruch!“ Die FDP wiederum setzt auf Vermittlung: §219a
soll weiter im Strafgesetzbuch existieren, aber in modernisierter Form,
sodass nur noch grob anstößige Werbung oder Werbung für strafbare
Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stehen – nicht mehr aber die
sachliche Information, erklärt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende
Stephan Thomae, die Hände aufs Pult gestützt.
Besonders die Redebeiträge der SPD aber sind es, auf die viele Gegner*innen
des §219a an diesem Abend gebannt warten. Denn seit die SPD erklärt hat,
ihren eigenen Antrag nicht einzubringen, fürchten viele: Die SPD knickt
schon jetzt ein vor dem künftigen Koalitionspartner. „Die Position der SPD
ist klar“, betont aber Eva Högl, stellvertretende Fraktionsvorsitzende.
„Der Paragraf muss gestrichen werden.“ Wenn das nicht möglich sei, müsse …
zumindest geändert werden. Das Urteil gegen Hänel habe ganz deutlich
gezeigt, „dass wir als Gesetzgeber Handlungsbedarf haben.“
## Für „Informationsfreiheit und Rechtsklarheit“
Högl plädiert für eine fraktionsübergreifende Lösung: Bei einer
Gewissensentscheidung wäre die SPD-Fraktion nicht an den Koalitionspartner
CDU/CSU gebunden. Ihr Fraktionskollege Johannes Fechner macht eindeutige
Gesprächsangebote in Richtung FDP: Er sei optimistisch, dass man sich in
den anstehenden gemeinsamen Gesprächen der Fraktionen auf einen Text für
einen gemeinsamen Gruppenantrag einigen könne.
Sie sei erschrocken, wie fern der Realität sich die Union bewege und wie
egal ihnen das Selbstbestimmungsgrecht der Frauen sei, sagt die Linke
Möhring nach der Debatte. Gefreut habe sie sich aber über die klaren Worte
von Eva Högl. „Das lässt hoffen.“ Die Gesetzentwürfe liegen jetzt im
Rechtsausschuss, dem Gesundheitsausschuss sowie dem Ausschuss für Senioren,
Familie, Frauen und Jugend, in dem auch die Grüne Ulle Schauws Mitglied
ist. Sie sei gespannt auf die Arbeit, sagt sie.
In der kommenden Woche wollen sich zudem alle an einer Veränderung
interessierten Fraktionen wieder treffen, um über die Optionen zu
diskutieren. Um einen Gruppenantrag einzubringen, braucht es die Stimmen
von fünf Prozent aller Abgeordneten. Um ihn aber auch durchzubringen,
braucht die Stimmen von SPD, FDP, Linken und Grünen. Schauws ist
zuversichtlich. „Eine Einigung im Sinne der Stärkung der
Informationsfreiheit für Frauen und Rechtsklarheit für Ärztinnen und Ärzte
bleibt das Ziel.“
23 Feb 2018
## AUTOREN
Dinah Riese
Hanna Voß
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