Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Große Koalition: Die Tragödie der SPD
> Die Sozialdemokraten wollen sich als Partei erneuern – in der
> Regierungsverantwortung. Wer daran glaubt, macht sich etwas vor.
Bild: Regierungsverantwortung und Parteierneuerung?
Keine Begeisterung, keine Verzweiflung. Irgendwann ist der Vorrat an
Leidenschaft aufgebraucht, irgendwann ermüdet jedes Drama. Man muss ja
nicht gleich so weit gehen wie die Redaktion der Talkshow „Anne Will“, die
[1][das Votum der SPD-Mitglieder] souverän ignorierte und die Gäste über
etwas ganz anderes diskutieren ließ, aber eine gewisse Erschöpfung ist auch
andernorts zu beobachten, wenn es um den langen Weg zur Regierungsbildung
geht.
Befürworter und Gegner der Großen Koalition schienen am Sonntag zumindest
in einem Gefühl vereint zu sein: dem der Erleichterung. Endlich ist die
Entscheidung gefallen. Endlich.
Selbstverständlich beschwören jetzt die Granden der SPD die notwendige
Erneuerung der Partei – was sollen sie denn auch sonst sagen? „Prima, wir
haben’s im Sack“? Das wäre eine ungewöhnlich dämliche
Kommunikationsstrategie, selbst für sozialdemokratische Spitzenpolitiker.
Und außerdem ist es ihnen ja vermutlich sogar ernst mit ihrer Bereitschaft
zu internen Reformen.
Aber es wird nicht dazu kommen, jedenfalls nicht in dieser
Legislaturperiode. Man kann nicht gleichzeitig mit einem Koalitionspartner
um Kompromisse ringen und innerhalb einer Partei ergebnisoffene
Grundsatzdebatten führen. Das eine schließt das andere aus. Die Basis hat
die Erneuerung vertagt.
Mittelfristig könnte das für die SPD existenzgefährdend sein, und es bleibt
das stärkste Argument gegen die Große Koalition – unabhängig davon, wie man
grundsätzlich zu dieser Partei und ihrem Kurs steht. Der Zeitgeist in
westlichen Industrienationen weht derzeit rechts, die offene Feindseligkeit
gegenüber dem System der parlamentarischen Mehrparteiendemokratie wächst.
Ja, es sind durchaus schon andere Parteien, die einst stark waren, sang-
und klanglos in der Versenkung verschwunden. Warum also nicht auch die SPD?
Vielleicht hat sie sich ja überlebt? Als ob es darum ginge. Wenn im
gegenwärtigen politischen Klima die traditionsreichste deutsche Partei
marginalisiert würde, dann hätte dies eine Signalwirkung, die weit über
diese Partei selbst hinauswiese. Und die von Systemgegnern auch ganz genau
verstanden würde. Diesen Triumph sollten sie nicht feiern dürfen. Aber die
Gefahr ist mit dem Votum der SPD-Mitgliedschaft gestiegen.
## Stabilität ist ein Wert an sich
Nun gibt es viele gute Gründe, die für die Bildung einer Großen Koalition
sprechen. Stabilität ist ein Wert an sich, jedenfalls dann, wenn sie nicht
um den Preis von Unterdrückung und Diktatur erkauft worden ist. Manche
Absichtserklärungen, die im Koalitionsvertrag stehen, werden – sollten sie
denn tatsächlich umgesetzt werden – das Leben vieler Leute, die nicht auf
der Sonnenseite stehen, tatsächlich etwas erleichtern.
Das kann man unzureichend finden, aber es ist immerhin etwas. Das Glas ist
halbvoll. Hinzu kommt, dass ein vom Parlament verabschiedeter Haushalt eine
feine Sache ist. Es bekommt einem Land nicht gut, wenn der Staat keinerlei
neue Investitionen tätigen darf – und das ist nach den Regeln der
vorläufigen Haushaltsführung in Deutschland gegenwärtig der Fall.
Bei der Frage, ob die SPD erneut mitregieren oder in die Opposition gehen
sollte, ging es von Anfang an vor allem um eine Frage: Welcher Stellenwert
sollte der – von niemandem bestrittenen – Notwendigkeit des
innerparteilichen Reformprozesses eingeräumt werden?
Einerseits kann sich keine Partei, die mit ihren Zielen ernst genommen
werden will, darauf beschränken, Grundsatzdebatten zu führen. Wer nicht
regieren will, ist an der Universität, Fachbereich Politologie, besser
aufgehoben als im Parlament. Andererseits droht einer Partei der innere
Zerfall, wenn sie sich wegen der Anforderungen des Alltagsgeschäfts
dauerhaft den Grundsatzdebatten verschließt.
Die SPD hat bis heute keine klare Haltung zum Umbau des Sozialsystems
gefunden, das zu Beginn des Jahrtausends unter Bundeskanzler Gerhard
Schröder – die Älteren werden sich an ihn erinnern – unter dem Stichwort
Agenda 2010 entwickelt wurde. Aber auch die CDU wirkt in steigendem Maße
ratlos hinsichtlich ihres künftigen Kurses. [2][Der weitgehend
konfliktfreie Ablauf ihres letzten Parteitages war erwartbar.] Und ändert
daran nichts.
## Die SPD hat sich mit der Entscheidung gequält
Es hängt nicht zuletzt von der Tagesform der politischen Führungsgremien
einer Partei ab, welchem Ziel der Vorrang gegeben werden sollte: dem der
inneren Konsolidierung oder dem der konkreten Gestaltungsmöglichkeit. Die
SPD-Spitze hat unmittelbar vor dem Mitgliederentscheid ein grauenvolles
Bild abgegeben. Der Absturz in den Umfragen war verdient und die Frage
berechtigt, ob Leute dieses Land regieren sollten, die es nicht einmal
schaffen, ihre internen Probleme sozialverträglich zu regeln.
Andererseits ließ sich auch dem Einwand schwerlich etwas entgegensetzen,
dass Neuwahlen derzeit wohl ebenfalls nicht für klare Verhältnisse sorgen
können. Wie immer man es drehte und wendete: Es war nichts Lustvolles in
Sicht. Nirgends.
So war es, so ist es. Noch immer. Es dürfte kein Zufall sein, dass viele
SPD-Mitglieder ihre Stimme erst in den letzten Tagen abgegeben haben. Sie
haben sich mit der Entscheidung offensichtlich gequält,
verständlicherweise. Die Atempause von fast einem Monat, in der alle nur
auf den Ausgang der Abstimmung warten konnten und in der interne
Machtkämpfe deshalb vorübergehend ausgesetzt waren, dürfte der
Führungsspitze der Partei geholfen haben.
Die nächste Regierung wird ihre Sache nicht schlechter machen als die
letzte. Es ist ja dieselbe. Aus demselben Grund wird sie ihre Sache
allerdings auch nicht besser machen. Aber die Parteien der Koalition haben
eine – gemeinsame – neue Herausforderung: Sie müssen bis zu den nächsten
Wahlen daran arbeiten, dass die Feindseligkeit gegenüber dem System als
solchem nicht weiter wächst, und dürfen dieses Ziel nicht über dem
Tagesgeschäft aus dem Auge verlieren. Ach, ja. Frommer Wunsch. Vermutlich
unerfüllbar – wie so viele fromme Wünsche.
5 Mar 2018
## LINKS
[1] /SPD-Mitgliedervotum-ueber-GroKo/!5488829
[2] /CDU-Parteitag-in-Berlin/!5487272
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
SPD
Schwarz-rote Koalition
Bundesregierung
SPD-Basis
Schwarz-rote Koalition
Schwerpunkt Angela Merkel
Kevin Kühnert
NoGroko
SPD
## ARTIKEL ZUM THEMA
Debatte um SPD-Themenparteitage: Wir müssen reden
Diskussionen, Argumente, Streit? Ja, bitte! Basisgenossen fordern
monothematische Parteitage. Auch SPD-Bundesvize Schäfer-Gümbel ist dafür.
Bürgermeisterin soll Ministerin werden: Jung, qualifiziert, aus dem Osten
Franziska Giffey ist SPD-Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln. Nun gilt sie
als Anwärterin auf einen Sitz im Bundeskabinett.
Regierungsbildung nach Ja zur GroKo: CSU mit drei Ministern in Berlin
Steinmeier hat Merkel offiziell als Kanzlerin vorgeschlagen. Die CSU
prescht mit drei Ministerposten vor in Richtung Berlin. Mit dabei ist Horst
Seehofer.
SPD-Fraktionsvize zum Mitgliedervotum: „Das ist jetzt die zweitbeste Lösung�…
Besser wäre es, gegen die Jamaika-Koaliton in der Opposition zu sein, meint
Karl Lauterbach. Aber so lasse sich immerhin Umverteilung bewirken.
SPD-Mitgliedervotum über GroKo: Die seltsame Stille nach dem „Ja“
Nach dem Groko-Votum beschwören Sieger und Verlierer die Einheit der SPD.
Und wollen die Partei erneuern. Aber wie soll das aussehen?
SPD-Abgeordnete zum Mitgliederentscheid: „Opposition wäre besser gewesen“
Die Basis hat für die Neuauflage der GroKo gestimmt. Die Berliner
Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe über die SPD nach dem Votum.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.