# taz.de -- Neues Missbrauchs-Präventionsgesetz: Kein Vertrauen in die Kirche | |
> Die Nordkirche hat ein Gesetz zur Prävention von sexueller Gewalt | |
> verabschiedet. Es ist eine Reaktion auf die Missbrauchsfälle in | |
> Ahrensburg. | |
Bild: Musste im Zuge der Missbrauchsfälle zurücktreten: Maria Jepsen | |
AHRENSBURG taz | Anselm Kohn hat sich als Junge eine Alarmanlage gebaut. Er | |
legte ein Geduldsspiel auf die Türklinke, das scheppernd zu Boden fiel, | |
wenn der neue Mann seiner Mutter, ein Pastor aus dem | |
schleswig-holsteinischen Ahrensburg, abends in sein Zimmer und sein Bett | |
kommen wollte. „Ich bin in Habachtstellung eingeschlafen“, sagt Kohn. | |
„Zwei Jahre lang hat er mich bedrängt.“ | |
Der heute 47-Jährige ist nicht das einzige Opfer des Pastors, das sich an | |
die Öffentlichkeit wandte. 2014 ließ die Nordkirche daraufhin | |
Missbrauchsfälle in ihren Gemeinden von einer unabhängigen Kommission | |
untersuchen. Als Reaktion auf den fast [1][500 Seiten starken | |
Untersuchungsbericht] hat die evangelische Nordkirche nun ein Kirchengesetz | |
zur Prävention sexueller Gewalt verabschiedet. | |
Mit dem Gesetz sollen Kinder und Jugendliche künftig besser vor Gewalt | |
geschützt werden. Es enthält eine Meldepflicht für Mitarbeitende der | |
Kirche, wenn diese Hinweise auf einen Vorfall bekommen. Jeder Kirchenkreis | |
soll einen unabhängigen Beauftragten bekommen, an den sich Betroffene und | |
Hinweisgeber wenden können. Alle kirchlichen Träger sind verpflichtet, | |
notwendige Maßnahmen zu veranlassen, „um Gewalt zu beenden, die betroffenen | |
Personen zu schützen und weitere Vorfälle zu verhindern“, heißt es in der | |
Erklärung für das Gesetz. | |
## Das erste Gesetz dieser Art | |
Nicht geklärt ist bisher, woher die unabhängigen Berater kommen sollen. | |
„Solche Punkte sollen noch durch Rechtsverordnungen durch die | |
Kirchenleitung bestimmt werden“, sagt Alke Arns von der | |
Koordinierungsstelle Prävention der Nordkirche. Ob die Berater von einer | |
externen Fachberatungsstelle oder weisungsfreie Mitarbeiter innerhalb der | |
Kirche sein werden, müsse geklärt werden. Die Nordkirche sei die erste | |
Landeskirche, die ein solches Gesetz geschaffen habe. „Es gab deshalb keine | |
Vorbilder.“ Und es könne sein, dass es noch ergänzt werden müsse. „Die | |
Fälle sind so vielfältig, da passt keine allgemeine Schablone drauf.“ | |
Das Kirchengesetz bezieht sich nicht nur auf Taten, die einen | |
Straftatbestand erfüllen, sondern auf jedes Verhalten, das in die sexuelle | |
Selbstbestimmung eingreift: „sexuelle Belästigung im Alltag, sexistische | |
Beschimpfungen und Bedrohungen, aufgedrängte Küsse und Berührungen“. | |
Zudem ist im Gesetz festgehalten, dass Mitarbeiter, die auf Kinder und | |
Jugendliche aufpassen, mindestens alle fünf Jahre ein erweitertes | |
Führungszeugnis vorlegen und eine Selbstverpflichtung unterschreiben | |
müssen. „Das kann der Abschreckung dienen“, sagt Arns. Ein Täter merke, | |
wenn sein Umfeld für das Thema sexualisierte Gewalt sensibilisiert sei. | |
„Das heißt natürlich nicht, dass nichts mehr passiert.“ | |
In Ahrensburg soll ein mittlerweile pensionierte Pastor in den 1970er- und | |
1980er-Jahren mehrere Jugendliche sexuell missbraucht haben, darunter seine | |
drei Stiefsöhne, von denen einer Anselm Kohn ist. Über die Aufklärung der | |
Fälle stolperte auch die Bischöfin Maria Jepsen. Sie konnte den Verdacht, | |
Hinweise ignoriert zu haben, nicht ausräumen. Jepsen trat 2010 zurück. | |
Trotz des neuen Gesetzes ist Kohn vom Umgang der Nordkirche mit dem Thema | |
Missbrauch frustriert. „Schon der Zehn-Punkte-Plan war eine Farce“, sagt | |
er. Diesen hatte die Nordkirche veröffentlicht, nachdem die Kommission ihre | |
Untersuchung abgeschlossen hatte. Das neue Gesetz fußt darauf. „In dem | |
Bericht wurden derbste Übergriffe beschrieben und als Reaktion war einer | |
der zehn Punkte, die UN-Kinderrechtskonvention in Kirchenrecht zu | |
überführen.“ Die habe es damals aber schon 25 Jahre lang gegeben. „Alles | |
dauert wahnsinnig lange“, kritisiert Kohn. | |
## Andere Landesverbände sollen nachziehen | |
Der frühere Vorsitzende des Vereins „Missbrauch in Ahrensburg“ hat auch | |
inhaltliche Kritik: Eine Meldestelle dürfe nicht kirchenintern eingerichtet | |
werden. „Es gibt intern keine Unabhängigkeit“, sagt Kohn. Für die | |
Betroffenen sei es einfacher, sich an eine externe Stelle zu wenden. „Das | |
Vertrauen in die Kirche ist nicht da.“ | |
Positiv bewertet er, dass das Gesetz vorsieht, dass in Zukunft eine | |
Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt Präventionsarbeit leisten soll. Er | |
frage sich aber, warum die Nordkirche und nicht die Evangelische Kirche | |
Deutschlands das Thema so angehe. „Es gibt in ganz Deutschland so viele | |
Fälle“, sagt Kohn. | |
Das sieht Sönke-Peter Hansen vom Weißen Ring in Schleswig-Holstein ähnlich. | |
„Die anderen Landeskirchen sollten nachziehen“, sagt er. „Sie können es | |
sogar noch besser machen. Jetzt gibt es ja eine Vorlage.“ | |
Die Landeskirche Hannovers hat nicht vor, ein ähnliches Gesetz zu | |
verabschieden. „Ein Gesetz macht zwar mehr Druck, aber dieses sensible | |
Thema müssen die Menschen freiwillig ernst nehmen“, sagt Hella Mahler von | |
der Ansprechstelle sexualisierter Gewalt. Auch den Plan, Berater in | |
Kirchenkreisen zu etablieren, sieht sie kritisch: Es habe sich gezeigt, | |
dass Betroffene keine Ansprechstellen in der direkten Nähe suchten – aus | |
Angst vor persönlichen Konsequenzen. | |
6 Mar 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.kirchegegensexualisiertegewalt.de/koordinierungsstelle-praevent… | |
## AUTOREN | |
Andrea Scharpen | |
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