| # taz.de -- Heiligenerscheinung in Bayern: Mutter Gottes erscheint in Serie | |
| > In Unterflossing hat sich Maria einem italienischen Seher gezeigt. Zum | |
| > dritten Mal. Die Kirche erkennt den Vorgang nicht an. Den Gläubigen ist | |
| > das egal. | |
| Bild: Zu sehen ist nicht, aber Hauptsache man glaubt dran | |
| Unterflossing taz | Jetzt muss sie gleich kommen. Für 16.30 Uhr hat sie | |
| sich angesagt. Und die Frau war noch nie unpünktlich. Es ist | |
| Samstagnachmittag in dem kleinen oberbayerischen Örtchen Unterflossing, und | |
| für heute hat sich die Jungfrau Maria angekündigt. Mal wieder. Über | |
| Lautsprecher werden die Gläubigen aufgefordert: Wer bei der Erscheinung | |
| dabei sein will, möge sich jetzt zu den drei Ulmen neben der Kapelle | |
| begeben – aber bitte leise. „Wir wollen der Mutter Gottes eine Freude | |
| machen, und dazu gehört auch, dass wir leise sind.“ | |
| Es ist 16.24 Uhr, als Salvatore Caputa vor die Kapelle tritt. Ein kleiner | |
| Mann mit Schnurrbart, das Haar, soweit noch vorhanden, ist weiß, das | |
| Blouson blau. Er nestelt an seinem Rosenkranz herum, betrachtet die | |
| Menschenmenge. Zwischen 200 und 300 werden es sein. Durch sie muss er sich | |
| hindurchkämpfen, um seinen Platz vor der weißen Marienstatue einnehmen zu | |
| können. Und das ist wichtig, denn nur ihm, dem Seher, hat sich die Jungfrau | |
| an dieser Stelle bislang offenbart. Caputa, dem pensionierten Polizisten | |
| aus Sizilien, Jahrgang 1944. Niemand sonst hat sie gesehen. Höchstens | |
| wollen hinterher einige festgestellt haben, dass es nach Rosen duftete. | |
| Eine Frau reicht dem Seher einen Zettel, will ein Autogramm. Er macht nur | |
| eine abwehrende Handbewegung: Jetzt doch nicht! 16.28 Uhr, die Menge betet: | |
| „Herr, erbarme dich unser!“ Über ihnen dröhnt ein Flugzeug. | |
| Caputa hält das Kreuz des Rosenkranzes in die Höhe. „Okay, jetzt ist die | |
| heilige Erscheinung“, kommt die Durchsage durch die Lautsprecher. „Ja, wo | |
| ist sie denn“, fragt eine Einheimische leise, die mit ihrer Familie | |
| vorbeigekommen ist. | |
| Dann fällt der Seher auf die Knie. Irgendwo in der letzten Reihe weint ein | |
| Kind. Vier Minuten dauert es, dann erhebt sich Caputa, bekreuzigt sich. | |
| ## Zwei Mal war sie schon da | |
| Dass Maria hier überhaupt Station macht, haben die Unterflossinger nicht | |
| nur dem Sizilianer zu verdanken, sondern in erster Linie einem der Ihren: | |
| Otto Masszi. Der hat vor einigen Jahren die kleine St.-Laurentius-Kapelle | |
| gekauft und renoviert. Masszi ist ein freundlicher älterer Herr, Organist | |
| und arbeitet als Ingenieur im Landratsamt München. | |
| Schon zwei Mal soll sich Maria hier gezeigt haben, im März und im September | |
| 2017. Davor erschien sie im Landkreis Erding – auch da schon Salvatore | |
| Caputa, dem italienischen Polizisten. Doch der Sohn des Bauern, auf dessen | |
| Grund sie sich niederließ, scheuchte die Pilger samt ihrer Muttergottes | |
| davon. | |
| Masszi lud daraufhin Maria zu sich in seine bescheidene Kapelle ein. Die | |
| Einladung ließ er der Jungfrau über den italienischen Mittelsmann | |
| zustellen. Sie hat Ja gesagt. | |
| Es gibt sonst wenig zu berichten über Unterflossing. Bei Mühldorf am Inn | |
| liegt es, Altötting ist nicht weit. 112 Menschen leben hier. Kein | |
| Wirtshaus, kein Laden. Aber eine Kapelle. | |
| Und zu der pilgern sie schon seit dem Morgen. Aus Heidelberg kommen sie, | |
| Ravensburg, Worms, Trier und Gütersloh, verraten die Autokennzeichen. Aus | |
| allen Ecken Bayerns, auch etliche Österreicher sind da. Dazu noch drei | |
| Reisebusse. Männer mit Armbinden weisen den Autos den Weg. Fürbitten | |
| scheppern durch den Lautsprecher. „Du Königin der Engel, bitte für uns.“ | |
| Glauben die Menschen wirklich an die Erscheinung? „Da ist was dran“, sagt | |
| ein Mann mit grünem Filzhut, dicke Brillengläser auf der üppigen Nase. Er | |
| ist aus Ergoldsbach bei Landshut angereist. 68 Jahre ist er alt und | |
| Schreiner. Einmal hat sein Schutzengel nicht aufgepasst, da ist der Finger | |
| in die Säge geraten. Das vorderste Glied fehlt seither. „Da ist was dran“, | |
| also sagt er und bohrt mit dem Rest seines Zeigefingers Löcher in die Luft. | |
| Ihm selbst sei die Mutter Gottes zwar nicht erschienen, aber als er das | |
| letzte Mal hier war, habe sich sein Leben ein paar Tage später zum Besseren | |
| gewendet. | |
| Wie, das will er nicht verraten.„Wir leben in einer Zeit, in der eine ganz | |
| starke Änderung kommt“, sagt er und erzählt von anderen Sehern, dem | |
| Irlmaier zum Beispiel. Alois Irlmaier, das ist so eine Art bayerischer | |
| Nostradamus, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Klimawandel | |
| ebenso vorhersagte wie den dritten Weltkrieg. Derzeit wartet der Schreiner | |
| jeden Tag auf „die Große Warnung“, die der großen Katastrophe vorausgehe. | |
| „Vielleicht sagt sie ja heute was dazu“, hofft der Mann. „Und gebenedeit | |
| ist die Frucht deines Leibes“, tönt es aus dem Hintergrund. | |
| An dem Brunnen neben der Marienstatue füllen die Leute ihre Plastikflaschen | |
| und Kanister. Könnte ja sein … | |
| ## Die Kirche glaube nicht dran | |
| Mit dem Glauben ist das ja so eine Sache. Woran die Leute nicht alles | |
| glauben: an die Jungfrauengeburt oder daran, dass Papst Johannes Paul II. | |
| durch seine Fürsprache eine Ordensschwester von Parkinson geheilt hat, auch | |
| an Homöopathie und die Nichtexistenz von Bielefeld. Und wieder andere | |
| glauben, dass die, die so etwas glauben, alle spinnen. Nur eines haben sie | |
| alle gemein: Wissen tun sie es nicht. | |
| Auch die Würdenträger der katholischen Kirche glauben so allerhand, nur an | |
| die Erscheinungen von Unterflossing glauben sie nicht. Beim letzten Mal hat | |
| das Erzbistum München noch einen Beobachter entsandt. Doch danach ließ | |
| Kardinal Reinhard Marx verbreiten: Bei den Erscheinungen handle es sich | |
| nicht um kirchlich anerkannte Vorgänge. Klerikern wurde verboten, am Rande | |
| von Caputas Auftritten Gottesdienste zu leiten oder auch nur als | |
| Kirchenvertreter teilzunehmen. | |
| Dass sich die Kirche mit solchen „Privatoffenbarungen“ schwer tut, ist | |
| verständlich. Wo käme man hin, wenn Jesus, Maria und Co. auftauchten, wo es | |
| ihnen gerade passt? Was, wenn Maria in Unterflossing den Papst kritisiert | |
| oder den Zölibat ablehnt? Oder – noch schlimmer – ihre Affäre mit dem | |
| Heiligen Geist abstreitet und behauptet, ihr Kind sei ehelich? | |
| Die Freunde der St.-Laurentius-Kapelle weisen darauf hin, dass keiner der | |
| berühmten Erscheinungsorte je von Beginn an von der Kirche anerkannt worden | |
| sei. In Fátima etwa habe es 13 Jahre gedauert, schreiben sie in der | |
| Einladung zur Marienvision und schieben hinterher: „Zu lange, um den | |
| Zweiten Weltkrieg noch abzuwenden!“ In dem portugiesischen Städtchen soll | |
| Maria 1917 drei Hirtenkindern erschienen sein. | |
| „Was erwarten Sie sich heute“, fragt der Reporter eines Regionalsenders | |
| eine ältere Frau mit Kopftuch und Aldi-Tüte. „Dass sie uns hilft, in der | |
| jetzigen Zeit“, sagt sie artig in die Kamera. „Danke, das war’s schon.“… | |
| der Mann weg ist, erzählt sie, dass es auch Zeiten gab, als sie selbst | |
| nicht so gefestigt war im Glauben. Aber dann war sie in Međugorje, dem | |
| Wallfahrtsort in Bosnien-Herzegowina. Dort habe sie gesehen, wie eine Frau | |
| im Rollstuhl nach dem Gebet plötzlich wieder gehen konnte. | |
| Rosenduft kann dieses Mal niemand feststellen. Aber vielleicht ist es auch | |
| einfach zu kalt. | |
| Caputa hat sich nach der Erscheinung erst einmal in einen Wohnwagen | |
| zurückgezogen, um die Begegnung auf sich wirken zu lassen. Nach einer | |
| halben Stunde kommt er zurück. „Allora“, sagt er und berichtet von der | |
| Begegnung. „Die Madonna ist hier hergekommen, um uns alle zu umarmen. Um zu | |
| beten für die ganze Welt, aber besonders für Deutschland“, lässt er die | |
| Umstehenden über eine Dolmetscherin wissen. „Des glaub’ i“, murmelt eine | |
| Frau. „Sie hat euch alle lieb“, fährt Caputa fort. Die Botschaft ist | |
| harmlos. Auch für die Amtskirche: „Liebt die Priester, die Bischöfe und den | |
| Papst“, habe Maria gesagt. Dann habe sie noch Küsse an alle geschickt. Ach | |
| ja, und am 8. September komme sie wieder. Um 16.30 Uhr, versteht sich. | |
| 20 Mar 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominik Baur | |
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