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# taz.de -- Die Wahrheit: Verherrlichung im Nebel
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (Folge 49): Müssen wir
> unser Bonobo-Bild womöglich korrigieren?
Bild: Bonobo-Dame Panbanisha gab angeblich Schwänen Namen
1995 erschien die Lebens- und Lerngeschichte des Bonobos „Kanzi“ von Sue
Savage-Rumbaugh auf Deutsch. Die Psychobiologin hatte dem 1981 im
Yerkes-Center geborenen Zwergschimpansen eine Reihe von Symbolen
(„willkürliche geometrische Formen“) auf einer elektronischen Tastatur
beigebracht, mit deren Hilfe – sowie mit Gesten und Lauten – er mit den
Forschern kommunizieren sollte. „Eine Methode, die eine normale, gesellige
Unterhaltung nicht gerade fördert“, wie der Taubstummensprachlehrer für
Schimpansen Roger Fouts einwandte, der als noch krasseres Beispiel eine
„computerfeste Schimpansin“ namens „Lana“ im Yerkes-Center erwähnt, die
Sätze wie „Bitte, Maschine, kitzle Lana“ tippte.
Aber auch Savage-Rumbaughs Bericht über Kanzi ist durch ihre Anbindung an
ein Sprachinstitut des Yerkes-Centers sehr amerikanisch-objektivistisch und
kalt geraten: „Das elektronische System sollte dem Projekt Effizienz und
Objektivität verleihen“, schreibt sie. Bereits Kanzis Mutter sollte damit
arbeiten, hatte aber das System nicht begriffen. Als sie von Kanzi getrennt
wurde und er es fortan alleine lernen sollte, stellte sich heraus, dass der
Affe den Gebrauch einiger Symbole, um etwas zu fordern oder zu benennen,
bereits gelernt hatte. Es wurden dann unterschiedliche Tests mit ihm
durchgeführt, etwa ein Intelligenzwettbewerb zwischen ihm und einem kleinen
Mädchen.
Kanzi hatte schon „von klein auf an gezeigt, dass er die ausschließliche
Beziehung zwischen einem Symbol und einem Gegenstand oder einer Handlung
verstand … Selbst wenn der Affe nicht sprechen kann, ist die Fähigkeit,
Sprache zu verstehen, das kognitive Äquivalent zum vollzogenen
Spracherwerb“. Die Autorin bekam schließlich heraus, „dass Kanzi wie
Menschen in der Lage ist, spontan Sprache zu erwerben, eine umfangreiche
Verstandesfähigkeit zu entwickeln und eigene grammatikalische Regeln zu
erfinden, wie es die Vorfahren der Menschen einst getan haben“.
## Entdeckung erst 1928
Wenn es um das Verhalten freilebender Bonobos geht, bezieht sich Sue
Savage-Rumbaugh auf die Feldforschung von Takayoshi Kano und seinen
Mitarbeitern, die in den siebziger Jahren begann. Die Bonobos wurden erst
sehr spät von den westlichen Zoologen entdeckt: im Jahr 1928 –
sinnigerweise zunächst als Schädelpräparat in einem belgischen Museum.
Für die japanischen Primatenforscher um Takayoshi Kano, deren Station sich
seit dem Jahr 1974 im kongolesischen „Wamba-Wald“ befindet, haben die von
ihnen dort beobachteten Bonobos den Schimpansen entgegengesetzte
Konfliktlösungen entwickelt: Während bei diesen das Soziale mit mehr oder
weniger männlicher Gewalt zusammengehalten wird, geschieht dies bei den von
Weibchen dominierten Bonobo-Gruppen über sexuelle Handlungen. Laut Kano
besteht bei ihnen „die Funktion des Kopulationsverhaltens in erster Linie
zweifellos darin, das friedliche Nebeneinander von Männchen und Weibchen zu
ermöglichen, und nicht darin, Nachkommen zu zeugen“.
Zumal ein Großteil des Sexualverhaltens, vor allem bei den Weibchen, aus
homosexuellen Praktiken besteht. Die männlichen Bonobos bleiben bis weit
ins Erwachsenenalter eng an ihre Mutter gebunden, die weiblichen bauen enge
Beziehungen untereinander auf. Die Forscher sehen darin die Gründe, warum
ihre Sozialverbände viel enger und stabiler sind als bei den Schimpansen,
dementsprechend raffinierter und wandelbarer sind die gruppeninternen
Strukturen der Bonobos: „In ihrer Persönlichkeit gibt es eine so große
Variationsbreite, dass man keine einfache grafische Darstellung von den
Beziehungen zwischen Herrschenden und Untergebenen zeichnen kann. Sie
beweisen, dass Einzelwesen zusammenleben können, ohne dass es Konkurrenz
und eine Rangordnung geben muss“, meint Kano in „The Last Ape“ von 1992.
## Botschaft an Feministinnen
Dies gilt auch nach außen: Statt auf Fremde aggressiv zu reagieren, bieten
sie ihnen gern Futter an – sogar eher als Mitgliedern ihrer eigenen Gruppe,
wie die US-Wissenschaftler Jingzhi Tan und Brian Hare beobachteten. In der
Zeitschrift Emma bezeichnete der Primatenforscher Frans de Waal diese
„maternale Kultur“ der Bonobos, von denen es noch etwa 15.000 gibt, bereits
als „unsere letzte Rettung“. Die Bonobos haben auf diese Weise viel zur
feministischen Theoriebildung beigetragen: „Ihre Botschaft ist bei uns
angekommen“, hieß es jedenfalls in der Emma.
Jetzt behauptet jedoch die Amerikanerin Lynn Saxon in ihrem Buch „The Naked
Bonobo“, es stimme alles nicht, was die Bonobo-Forscher über diese Affen
angeblich herausfanden, es seien Märchen. Im Internetforum „skepticink“
heißt es in einer Besprechung, ihr Buch „widerlegt den faktenarmen,
gefühligen modernen Mythos um die Bonobos in der öffentlichen Wahrnehmung“.
Die Primatenforscher, die das Verhalten frei lebender Bonobos studierten,
hätten ihre Beobachtungen verfälscht. Der Rezensent unterstützt die
Argumentation der Autorin, denn ihre „Widerlegung ist notwendig, weil der
Bonobo-Mythos unehrlich, manipulativ und antiwissenschaftlich ist, zudem
bedient er ein ungesundes liberales Dogma, mit dem die Öffentlichkeit
getäuscht und die freie wissenschaftliche Forschung gefährdet wird“.
## Dschungel voller Zeitgeist
Nun werden alle naselang „falsche“ Forschungsergebnisse publiziert, aber
die Bonobo-Studien scheinen in den anthropologischen Wissensbereichen eine
besondere Stellung einzunehmen, nachdem sich die Schimpansen als eine
genauso autoritäre und zudem kriegslüsterne Spezies erwiesen haben wie die
Menschen. In der „Evolution“ stehen diese Menschenaffen uns quasi allzu
nahe, deswegen sollen die Bonobos nun „unsere letzte Hoffnung!“ sein, denn
sie fanden eine andere – friedliche – Form des Zusammenlebens. Mit
sexuellen statt gewalttätigen Lösungen von Konflikten. Bei diesen nächsten
Verwandten trafen die Forscher im Dschungel voll den Zeitgeist: Ökologie,
Frieden, Fremdenfreundlichkeit, freie Sexualität, Veganismus, Feminismus,
Matriarchat, Degrowth, Sonnenenergie, Entschleunigung, Nichtrauchen …
Da muss natürlich die Nachfrage erlaubt sein: Stimmen denn überhaupt die
Beobachtungen, wie weitreichend wurde das Verhalten interpretiert? Waren
die Forscher unten am Waldboden und beobachteten „ihre“ Bonobo-Gruppe mit
Ferngläsern? Oder arbeiten die Bonobo-Forscher vielleicht mit
elektronischen Chips, die sie den Affen implantieren oder sonst wie an
ihnen befestigen, so dass sie deren „Wege“ am Bildschirm verfolgen können?
Bei der Kritikerin der Bonobo-Verherrlichungsforschung handelt es sich um
eine Journalistin, die zuvor ein Buch mit dem Titel „Sex at Dusk: Lifting
the Shiny Wrapping from Sex at Dawn“ veröffentlicht hatte. Darin legte sie
sich ebenfalls mit den Anthropologen an, indem sie die Sexualität
evolutionistisch abhandelte. Ihr neues Buch „Der nackte Bonobo“ spielt auf
den Titel des Longsellers „Der nackte Affe“ (1980) von Desmond Morris an.
Bisher hat noch kein Bonobo-Forscher zu ihrem Buch Stellung genommen. Ist
das nun gut oder schlecht – für unser Bonobo-Bild?
5 Mar 2018
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Affen
Feminismus
Zoo
Biologie
Hühner
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