# taz.de -- Die Wahrheit: Kot für die Welt | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (Teil 48): Die schon im | |
> Altertum vergötterten Mistkäfer und ihre apfelgroßen Kackbälle. | |
Bild: Das schwarzblaue Dickerchen ist zwar schwerfällig unterwegs, aber sehr g… | |
Der englische Biologe J. B. S. Haldane wurde einmal in einer Gesellschaft | |
von Theologen gefragt, was er bei seiner Erforschung der Schöpfung über den | |
Schöpfer erfahren habe: „Er hatte offenbar eine außerordentliche Zuneigung | |
zu Käfern“, meinte er. Denn es gibt nur eine Art Homo sapiens, aber 400.000 | |
Käferarten auf der Erde. Davon sind rund 150 Mistkäfer, 59 leben in Europa, | |
das heißt in Wäldern, Feldern und Steppen, sie sind tag- und nachtaktiv und | |
können fliegen, sind dabei allerdings „eher schwerfällig unterwegs“, wie | |
tierchenwelt.de über diese schwarzblauen „Dickerchen“ urteilt. | |
Schwerfällig heißt auch, dass sie schlecht steuern können und deswegen oft | |
irgendwo gegen fliegen. Ist es ein Stacheldraht, spießen sie sich daran im | |
Sommer reihenweise auf, bei anderen Gegenständen fallen sie bloß zur Erde, | |
berappeln sich nach einiger Zeit und fliegen erneut los. | |
„Das Besondere an diesem Käfer ist die Kraft, mit der er das Ziel anfliegt, | |
vorwärtsgetrieben wird, wie ein Torpedo. Der Antrieb dieser Kraft ist am | |
Körper selbst nicht zu finden, im koordinierenden System der Nerven | |
vielleicht, in der Ausscheidung von Wärmetropfen in den Gelenken. Der Käfer | |
hebt sich vom Boden, scheint’s – schwerfällig und ungeschickt und beinahe, | |
würde man sagen, mit einigem Widerwillen. Und dann setzt die Triebkraft | |
ein. Der Käfer kommt in Fahrt.“ | |
## Sturz nach Stoß | |
Aber früher oder später: „Stoß gegen den Widerstand – und dann der Sturz. | |
Einmal am Boden, ist alle Kraft gewichen. Ich habe oft den Käfer dann in | |
der Hand gehalten. Er bewegte sich in einem engen Kreis und war noch nicht | |
fähig, ein Ziel anzunehmen. Er war stark angeschlagen. Dazu kam die Panik, | |
daß alles noch einmal begonnen werden muß und daß es weitergeht.“ | |
Dies schrieb der revolutionäre Schriftsteller Franz Jung in seiner | |
Autobiografie „Der Weg nach unten“, die zuerst, 1972, „Der Torpedokäfer�… | |
hieß, denn: „Ich habe den Flug unzählige Male in mir selbst erlebt, bei Tag | |
und bei Nacht. Das Ende ist immer das gleiche gewesen: Anprall, Sturz, | |
Kriechen am Boden.“ – Und dann ein neuer Anlauf. Das hat Franz Jung also | |
mit dem Mistkäfer gemeinsam, aber auch mit Donald Duck: „Wahrer Donaldismus | |
ist Scheitern, es wieder versuchen, nochmal versuchen, wieder scheitern, | |
scheitern, scheitern und nochmal scheitern, doch niemals aufgeben.“ | |
Der gemeine Mistkäfer sucht den Kot von Pflanzenfressern. Er fliegt meist | |
abends in Kreisen um diese Tiere herum und wartet darauf, dass etwas für | |
ihn abfällt, denn er und seine Brut leben davon. Auf einen Kuhfladen landen | |
schon bald zig Käfer. Einige, um zu fressen, viele, um sich Vorräte zu | |
sichern. | |
Die Wissenschaft nennt ihn Geotrupes stercorarius. Geotrupes heißt | |
übersetzt „Erdbohrer“ und Stercorarius: „der, der ausmistet“. Das gilt… | |
Männchen und Weibchen, die ein Leben lang, das heißt ein bis drei Jahre, | |
zusammen bleiben und sich auch – für Insekten untypisch – gemeinsam um den | |
Nachwuchs kümmern. | |
## Fenster aus Stroh | |
Dazu legen sie in der Erde einen aus vielen Kammern bestehenden Bau an, in | |
den sie Kotkugeln zur Versorgung der Larven mit Nahrung packen. Diese | |
bleiben bis zur Verpuppung ein Jahr in dem mit Lehm verschlossenen Bau, der | |
jedoch ein mit Stroh verstopftes und damit luftdurchlässiges „Fenster“ hat. | |
„Die unterirdische Versorgung des Nachwuchses mit Dung hat einen äußerst | |
positiven Nebeneffekt, denn die Erde wird mit Nährstoffen versorgt und | |
dadurch wesentlich fruchtbarer“, heißt es auf biologie-schule.de. | |
Wegen der Kotkugeln nennt man ihn und vor allem seinen ägyptischen | |
Verwandten, den Scarabaeus sacer, auch „Pillendreher“. Dieser war den | |
Ägyptern heilig, seine Mistkugeln, mitunter so groß wie Äpfel, wurden als | |
ein Abbild der Weltkugel angesehen, er selbst als Verkörperung der Gottheit | |
Chepre mit Skulpturen geehrt und als Amulett getragen. Eine meiner Tanten | |
brachte einmal von einer Ägyptenreise einen solchen Skarabäus mit, den sie | |
an einer Kette am Hals trug. Ihm hatte man einen Edelstein auf den | |
Rückenpanzer geklebt. Er lebte, sie fütterte ihn und setzte ihn nachts in | |
ein Terrarium. | |
Die Mistkäfer orientieren sich im Dunkeln auf dem Weg vom Bau zur | |
Nahrungsquelle nach dem Sternenlicht. Eine Studie über dieses | |
Orientierungsverfahren wurde 2013 mit dem „Anti-Nobelpreis“ ausgezeichnet. | |
2016 legte eine Veröffentlichung nahe, dass sich Mistkäfer einen | |
Schnappschuss des Nachthimmels merken. Dies passiert laut Wikipedia, | |
während sie sich um die Hochachse drehend auf der Dungkugel tanzen. Hört | |
sich wie ausgedacht an! | |
Der gemeine Mistkäfer ist auch ohne seinen berühmten ägyptischen Verwandten | |
ein interessantes und lustiges Tier. Obwohl er im Mist wühlt, freut man | |
sich im Frühjahr auf ihn wie auf den schon fast ausgestorbenen Maikäfer – | |
und zertritt ihn nicht angeekelt. Dennoch ist die Mistkäferforschung nicht | |
gerade üppig, meist wird in den großen Insekten-Überblicken bloß auf die | |
Beiträge des südfranzösischen Insektenbeobachters Jean-Henri Fabre | |
(1823–1915) verwiesen. | |
Im ersten Band seiner zehnbändigen „Erinnerungen eines Insektenforschers“ | |
(2010) heißt es: „Sucht man in der Literatur Einzelheiten über das | |
Verhalten des Scarabaeus im Allgemeinen und des Pillendrehers im | |
Besonderen, stellt man fest, daß die Wissenschaft nicht über die | |
Erkenntnisse der Pharaonenzeit hinausgelangt ist.“ | |
## Der Sisyphus des Mists | |
Fabre hat verschiedenen Mistkäferarten dann jedoch viel Zeit gewidmet. Über | |
die kleinsten Pillendreher, „Sisyphus schaefferi L.“, schreibt er: Nachdem | |
das Paar sich ein gutes Stück aus dem Kuhfladen rausgesäbelt und es rund | |
geknetet hat, spannt sich die „an ihrem größeren Wuchs erkennbare Mutter“ | |
vorne ein und zieht die Kugel im Rückwärtsgehen, „während der Vater von | |
hinten schiebt“. Weil sie die Kugel stur geradeaus rollen, stürzen sie oft | |
mit ihr auf Hügeln oder Steinen ab, geben aber nicht auf. Alle Mistkäfer | |
könnten Sisyphus heißen! | |
Während die Mutter mit dem Graben der Kammern anfängt, jongliert er so | |
lange mit der Kugel, „indem er sie zwischen seinen in die Luft gestreckten | |
Hinterbeinen sehr schnell rotieren läßt“. Damit bewacht er sie auch, denn | |
immer wieder klauen sich die Mistkäfer gegenseitig ihre Dungkugeln, die sie | |
nicht nur als Nahrung für ihren Nachwuchs, sondern auch für sich selbst | |
brauchen. Aber den Mistkäfer „wirft ein Dungdiebstahl nicht um, er fliegt | |
zum nächsten Haufen und beginnt von vorn“, schreibt Fabre (in Band 6). | |
Bei zwei Mistkäferarten aus Argentinien, die er geschickt bekam, wird die | |
Dungkugel gegen das Austrocknen mit einer lehmigen Schicht umkleidet und | |
birnenförmig geformt – mit einer Art Warze am dünnen Ende, in der das Ei | |
untergebracht wird, am Ende der Warze bringen sie einen „Verschluss mit | |
luftdurchlässigem Filzpfropfen“ an. Die einzelnen Arten haben als | |
„Grabegeräte“ ganz unterschiedlich geformte Hörner auf der Stirn, und „… | |
benutzen einen Rechen: mit ihren gezähnten Vorderbeinen sammeln sie das | |
Material.“ Fabre bewundert und beneidet ihre „Charakterfestigkeit“, die | |
„beinahe an das Reich der Moral rührt“. | |
19 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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