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# taz.de -- Huhn im Glück: Für Inge ist Ostern gerettet
> Eine Henne wechselt den Besitzer. Doch dort gefällt es dem Huhn nicht, es
> möchte zurück auf den alten Hof. Inge machte sich auf den Weg. Eine wahre
> Geschichte.
Bild: Glückliche Henne mit glücklichem Besitzer
Hühner gelten allgemein als nicht besonders klug. Deswegen waren die
Journalisten auch überrascht und setzten sich sofort in Marsch, als sie die
Geschichte über die rotbraune Henne Inge erfuhren. Im Winter hatte der
Hühnerhalter Gerald Wernicke aus Wutzow in Potsdam-Mittelmark das Tier an
den Hühnerbräter Heiko Weinberg im 5,3 Kilometer entfernten Ort Görzke
verkauft. Der wollte Inge zwar nicht grillen, wohl aber später ihren
Nachwuchs, den sie jedoch erst einmal legen und aufziehen musste. Inge
scheint dieses für sie und ihre noch ungelegten Eier unvorteilhafte
Geschäft durchschaut zu haben, denn sie fand ein Schlupfloch im neuen Stall
und flüchtete.
Über zwei Monate war die Henne unterwegs, in Eis und Schnee und vorbei an
hungrigen Füchsen und Raubvögeln, dann meldete sie sich zurück in Wutzow
bei ihrem vormaligen Besitzer Gerald Wernicke: „Mir standen die Haare zu
Berge, als ich Inge wieder unter meinen Hühnern fand“, sagte der 60-Jährige
seiner lokalen Tageszeitung. „Ich habe Inge hochgehoben und sie hat sich so
gefreut.“ Wie das? Nun, sie habe „laut gegackert“. Mehr war jedoch aus ihr
offenbar nicht herauszubekommen.
## RTL war auch schon da
Wernicke versprach ihr jedenfalls, so berichten es die Reporter, dass er
sie nicht zum Hühnerbräter zurückbringen oder sie anderweitig verkaufen
werde: Inge dürfe jetzt uralt bei ihm werden! Und Gerald Wernicke muss nun
Interviews am laufenden Band „über sein superschlaues Huhn geben. Auch
Fernsehteams waren schon da. RTL nennt sie „die wohl cleverste Henne
Deutschlands“.
Sein Nachbar Richard Baum teilte der Lokalpresse jedoch seine Zweifel über
Inges Identität mit: Der skeptische Nachbar glaubt nicht daran, dass ein
Huhn über eine solche Entfernung zurück zu seinem Heimatstall finden kann.
Das „Modell- und Demonstrationsvorhaben Tierschutz“ des Bundesministeriums
für Ernährung und Landwirtschaft hat jedoch festgestellt: Hennen haben ein
gutes räumliches Orientierungsvermögen. Überhaupt seien Hühner in der Lage,
schärfer und viel besser zu sehen als der Mensch.
Im konkreten Fall ist ihr Züchter Wernicke sich jedenfalls völlig sicher,
dass Inge auch wirklich Inge ist, weiß die Märkische Allgemeine Zeitung zu
berichten: Die Ringkennung sei eindeutig. Außerdem habe er von Inges Rasse
„New Hampshire“ nur noch vier weitere Tiere. Dem Hühnerbräter Weinberg ha…
er als Ersatz für Inge zwei Hennen gegeben. „Der hat das verstanden, dass
ich Inge behalten werde.“
## Das gewisse Etwas fehlt
Sie auf der nächsten Geflügelschau präsentieren will Wernicke jedoch nicht:
„Sie ist nicht schön genug, ihr fehlt das gewisse Etwas.“ Er hoffe jedoch,
teilte er der geneigten Medienöffentlichkeit mit, „dass nun Inges Küken
Schönheit und Intelligenz vereinen“. Auf den Nachwuchs seines Superhuhns
sei er gespannt.
Vor zwei Wochen war es so weit: Da schlüpfte das erste Küken von Inge, sein
Vater war der Hahn Horst. Wieder erschien die Lokalzeitung vor Ort und
berichtete, Wernicke lässt inzwischen auch T-Shirts mit Inges Konterfei
bedrucken und verkauft sie.
Den MDR inspirierte diese Geschichte zu einer Sendung über die Intelligenz
von Hühnern. Der Volksmund spreche zwar vom „dummen Huhn“. Eine US-Biologin
habe aber jüngst eine Reihe aktueller Studien zur Psychologie, den Gefühlen
und dem Verhalten der Tiere ausgewertet und komme zu dem Schluss, dass die
Vögel weit intelligenter sind als landläufig angenommen. Demnach können
Hühner bestimmte logische Schlüsse ziehen, zu denen Menschenkinder erst im
Alter von sieben Jahren fähig sind, und sie haben individuelle
Charakterzüge. Überraschend komplex ist zudem die Verständigung zwischen
den Tieren.
Auch die Leiterin des wissenschaftlichen Geflügelhofs beim Bund deutscher
Rassegeflügelzüchter, Inga Tiemann, darf auf der Onlineseite des
Fachmagazins Bild der Wissenschaft zum Huhn sprechen: Hühner, sagt Tiemann,
könnten sich bis zu 100 Gesichter merken und würden aus Erfahrungen klüger.
Man sagt, am Anfang jeder Wissenschaft steht die Hysterie. Auch diese kommt
im Fall Inge natürlich nicht zu kurz: Nachdem die Tierschutzorganisation
Peta Inges Flucht vor dem Hühnerbräter Weinberg gepostet hatte, hagelte es
Kommentare von Tierschützern – wobei die meisten kritisch zu bedenken
gaben: „Dass an ihrer Stelle zwei Hühner dran glauben mussten, trübt diese
an und für sich tolle Geschichte erheblich.“
Da hatten die Tierschützer aber glatt überlesen, dass Weinberg die zwei
Ersatzhühner von Wernickes Hof nicht grillen, sondern mit ihnen züchten
will. Einer schrieb: „Das sind die Geschichten, die uns zum Nachdenken
bringen.“
Ja, und was lernen wir dann aus dieser kleinen Fluchtgeschichte? Gar
nichts! Es ist eine Story, wie sie die Journalisten immer mal wieder
zwischen Putin, Trump und Merkel aufgreifen und breittreten – zur Erholung
quasi.
Gelernt haben daraus neben Inge höchstens noch der skeptische Nachbar, der
die Fähigkeiten der Henne unterschätzt hatte, und natürlich Hühnerhalter
Wernicke, der bis dahin gemäß irgendwelcher Rassekriterien bloß auf
Schönheit allein achtete.
31 Mar 2018
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Hühner
Ostern
Tierquälerei
Affen
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