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# taz.de -- Sicherheitskonferenz in München: Gabriels politischer Überlebensk…
> Ob Deniz Yücels Freilassung und ein staatsmännischer Auftritt in München
> Sigmar Gabriel retten, ist ungewiss.
Bild: Der Noch-Außenminister bei der Sicherheitskonferenz
München/Berlin taz | Als Sigmar Sigmar Gabriel am Samstagvormittag den
Festsaal des Bayerischen Hofes betritt, sind ihm die Anstrengungen des
Vortages anzusehen. Eine halbe Stunde spricht der geschäftsführende
Außenminister auf der Münchner Sicherheitskonferenz über das große
Weltgeschehen. „Die Welt steht zu Beginn des Jahres 2018 an einem
gefährlichen Abgrund“, sagt er mit sorgenvoller Miene. „Berechenbarkeit und
Verlässlichkeit sind derzeit anscheinend die knappsten Güter in der
internationalen Politik.“
Die Europäische Union dürfe sich nicht durch andere auseinanderdividieren
lassen. „Um in einer Welt von morgen unsere Werte, unseren Wohlstand,
unsere Sicherheit zu behaupten, müssen wir zusammenstehen.“ Europa solle
seine „Zukunft gestalten und nicht erdulden“.
Es ist ein sorgsam ausgefeilter Wortbeitrag mit etlichen schönen Merksätzen
fürs politische Poesiealbum. Jede Formulierung sitzt. Wenn sich Gabriel,
für ihn äußerst ungewöhnlich, nicht immer wieder kleinere Versprecher und
Verhaspler leisten würde. Gleichwohl ist seine Botschaft unüberhörbar: In
solch unsicheren Zeiten bedarf es besonnener Politiker, wie er einer ist.
Mit keinem Wort erwähnt Gabriel in seiner Rede jenes Ereignis, das ihm die
Zeit gekostet hat, sie vorher ausreichend zu üben: die Freilassung des
deutschen Journalisten Deniz Yücel in der Türkei. Stattdessen gibt er sich
alle Mühe, als formidabler Staatsmann zu erscheinen, der das große Ganze im
Blick hat. Seriös, kompetent, erfahren – das ist das Bild, das er von sich
an diesem Samstag zeichnen will.
## Diplomatisch und besonnen
Selbst als ihn Tagungsleiter Wolfgang Ischinger anschließend auf dem Podium
doch noch auf den Fall Yücel anspricht, gibt sich Gabriel zurückhaltend,
verweist auf die fünf Deutschen, die immer noch in türkischen Gefängnissen
sitzen würden. „Wir müssen, glaube ich, dieses Momentum nutzen jetzt, alle
Gesprächsformate wieder zu beleben mit der Türkei – wissend, dass das nicht
einfach wird, wissend, dass das nicht von heute auf morgen zu ganzen
einfachen Zeiten führt“, sagt er diplomatisch.
Es soll gar nicht erst der Eindruck aufkommen, der Sozialdemokrat würde
seinen großen Erfolg auskosten. Das hat Gabriel bereits am Vortag zur
Genüge getan. Der Auftritt in München ist eine Etappe im Kampf um sein
politisches Überleben.
Vor fast zwei Wochen schien Gabriel schon erledigt. Unsanft hatte ihn die
SPD-Spitze ins Abseits gestellt und zu seiner Empörung nicht in ihrer
Kabinettsliste berücksichtigt. Beleidigt schoss er öffentlich gegen den
damals noch amtierenden Parteichef Martin Schulz, der beschlossen hatte,
ihn als Außenminister zu beerben.
Nach dessen freiwillig-unfreiwilligen Verzicht wittert Gabriel nun wieder
die Chance, vielleicht doch im Amt zu verbleiben. Doch die Widerstände sind
groß. Die Freilassung von Yücel hätte da für ihn nicht passender getimt
sein können.
## Die eigenen Verdienste
Die Nachricht aus Istanbul könnte Sigmar Gabriel den Job retten. Er weiß
das – und legt schon am Freitag die perfekte Inszenierung hin. Um 12.30
Uhr, die Nachricht von der Freilassung ist da gerade eine Stunde alt, fährt
sein Wagen in München vor dem Bayerischen Hof vor, wo kurz darauf die
Sicherheitskonferenz startet. Drei Minuten spricht er am Eingang vor einem
Pulk Journalisten sichtlich zufrieden darüber, „dass Diplomatie und der
Versuch, miteinander im Gespräch zu bleiben, Erfolg haben kann“. Dann
betritt er das Hotel, sagt seine Verabredungen für den Nachmittag ab und
verschwindet schließlich fürs erste wieder – zuerst zu einem
Redaktionsgespräch in die Münchner Zentrale der Süddeutschen Zeitung, dann
zurück nach Berlin.
Dort taucht er keine vier Stunden später auf, Mitten in der Redaktion der
Welt. Mit Chefredakteur Ulf Poschardt und Springer-Verlagschef Mathias
Döpfner gibt er dort das nächste Pressestatement ab und preist seine
eigenen Verdienste an: Die „Kraft der Diplomatie“ habe für Yücel das
Gefängnistor geöffnet. Mit dem türkischen Außenminister habe er regelmäßig
über den Fall gesprochen, „zwei Gespräche habe ich dann auch direkt mit dem
türkischen Präsidenten geführt“.
Wie schon zuvor in München dankt er ausdrücklich der Bundeskanzlerin dafür,
dass sie ihm die Freiheit „eingeräumt“ habe, in dieser Sache selbstständig
zu handeln. Sie habe ihn „arbeiten lassen“, formulierte er vor dem
Bayerischen Hof. „Ich! Ich! Ich!“, heißt das frei übersetzt: „Ich habe …
geschafft!“
Wie auch immer Gabriel es genau angestellt hat, Deniz Yücel nach 367 Tagen
aus dem türkischen Knast zu holen: Der Coup ist für ihn ein Glücksfall.
Doch reicht das aus, um auch Außenminister zu bleiben?
## Unter Gabriel körperlich gelitten
Über Gabriels Zukunft gibt es in der SPD zwei Lesarten. Die eine besagt,
dass er auf keinen Fall im Amt bleiben darf. Gabriel hat in der SPD nur
noch sehr wenige Freunde und viele Feinde. Es gibt kaum jemanden in der
engeren SPD-Spitze, den er nicht irgendwann vor den Kopf gestoßen hätte.
Sein Zickzackkurs bei wichtigen Fragen, seine Impulsivität, seine Neigung,
andere arrogant abzukanzeln – viele in der SPD haben unter Gabriels gut
siebenjähriger Führung geradezu körperlich gelitten.
Mit seiner Attacke auf Martin Schulz – „den Mann mit den Haaren im Gesicht�…
– hat er seine Chancen weiter minimiert. So etwas sei „unentschuldbar“,
sagen gut vernetzte SPDler. Gabriel werde in Zukunft nur noch einfacher
Abgeordneter sein, sagte ein Vorstandsmitglied nach dem Schulz-Eklat. Er
klang nicht unglücklich dabei.
Dass Gabriel sich in der vergangenen Woche bei dem gescheiterten Schulz
entschuldigte, scheint ihm dabei nicht viel zu nützen, unterstellen doch
die ihm nicht Wohlgesonnenen, dass hinter der Demutsgeste ohnehin nur mal
wieder reines Kalkül steckt.
Die andere Lesart wird von Leuten vorgetragen, die Gabriel verteidigen. Sie
lautet: Gabriel sei – bei all seinen unbestrittenen Schwächen – nach wie
vor ein politisches Ausnahmetalent. Außerdem sei er einer der erfahrensten
und ausgebufftesten Profis, über den die Sozialdemokratie im Moment
verfüge. Nicht zuletzt sei er einer, wenn nicht gar der beliebteste
Spitzenpolitiker in Deutschland – was allerdings noch fast jedem
bundesdeutschen Außenminister seit Heinrich von Brentano gelungen ist.
Gleichwohl werden nach dem glücklichen Ende der Causa Yücel seine
Sympathiepunkte wohl noch weiter steigen. Kann es sich die SPD leisten,
einen solchen Mann abzuschießen?
## Entscheidung bei Scholz und Nahles
Es ist nicht so, dass Gabriel keine FürsprecherInnen mehr hätte. Nicht nur
der parteirechte Seeheimer Kreis hält ihm weiterhin die Stange, auch
Parteilinke wie Gesine Schwan, die Vorsitzende der
SPD-Grundwertekommission, oder der Bochumer Bundestagsabgeordnete Axel
Schäfer sprechen sich für seinen Amtsverbleib aus. Nach der Freilassung
Yücels gebe „es noch weniger Grund, Gabriel abzulösen“, sagte Schäfer dem
Tagesspiegel. „Die SPD hat niemand besseren für das Außenamt.“
Entscheidend für Gabriels Zukunft sind jedoch Andrea Nahles und Olaf
Scholz. Nahles wird die SPD in Zukunft führen, Scholz ist seit Schulz'
Rücktritt der kommissarische Vorsitzende. Sie bestimmen – in Absprache mit
der restlichen SPD-Spitze – darüber, wer ein Ministeramt bekommt. Das
Ergebnis wollen sie Anfang März bekanntgeben, nach dem
SPD-Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag.
Weder Nahles noch Scholz halten viel von Gabriel. Dem staubtrockenen
Hamburger ist dessen impulsive Art zuwider, Nahles litt als
Generalsekretärin jahrelang unter Gabriels Launen. Beide dürften nicht nur
wegen alter Rechnungen wenig Interesse an einem Minister Gabriel haben. Er
bliebe für sie ein ständiger Störfaktor. Schwer vorstellbar, dass sich das
machtbewusste Alphamännchen aus Goslar ihren Ansagen unterordnen würde.
Entsprechend müht sich Nahles dieser Tage ab, Gabriel nicht zu glänzend
dastehen zu lassen. Eine „Kampagne in eigener Sache“ warf sie ihm im
Spiegel vor. In ihrem ersten Statement zur Yücel-Freilassung erwähnte sie
den Außenminister mit keinem Wort – anders als zum Beispiel die Kanzlerin,
die in ihrer Stellungnahme „auch ganz besonders“ Sigmar Gabriel dankte.
## Fehlende Alternativen
Nahles hat aber auch ein Problem: Um Gabriel loszuwerden, muss sie eine
überzeugende Alternative präsentieren. Und das ist nicht ganz einfach. Die
SPD hat zwar einige erfahrene Außenpolitiker: Fraktionsvize Rolf Mützenich
zum Beispiel, Außen-Staatssekretär Michael Roth oder den
Bundestagsabgeordnete Niels Annen. Sie alle könnten in außenpolitisch
schwierigen Zeiten ohne lange Einarbeitung durchstarten.
Gegen sie spricht aber alleine schon, dass sie bislang nicht in der ersten
Reihe standen und nicht das politische Gewicht für den Posten mitbringen.
Außerdem gehören sie allesamt zur Parlamentarischen Linken in der
Bundestagsfraktion. Würde einer der drei berufen, geriete die sorgsam
austarierte SPD-Strömungsarithmetik durcheinander. Der Unmut des mächtigen
Seeheimer Kreises wäre programmiert.
Unter der Parteiprominenz wiederum fehlt die diplomatische Erfahrung. Einer
der Namen, die derzeit unter der Hand genannt werden, ist der von
Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann. Aber für ihn spricht nicht viel
mehr, als dass er wie Gabriel Niedersachse und Seeheimer ist. Reicht das
schon für’s Außenamt? Und was würde für den ebenfalls gehandelten
bisherigen Justizminister Heiko Maas sprechen?
Als realistischste Gabriel-Alternative scheint in dieser Riege noch die
bisherige Familienministerin Katarina Barley, die in der Partei geschätzt
ist und einen internationalen Hintergrund mitbringt: Sie besitzt den
deutschen und den britischen Pass, studierte unter anderem in Frankreich
und äußert sich immer wieder auch zu europapolitischen Fragen.
Die SPD, die die EU an den Anfang des Koalitionsvertrags gestellt hat,
könnte um Barley eine passende Erzählung spinnen. Und sie selbst hätte
offenbar Lust aufs Außenministerium. Zum politischen Aschermittwoch trat
sie zu Hause in Rheinland-Pfalz aus. Beim Hering-Essen des SPD-Ortsverbands
Zemmer sagte sie, als Außenministerin zur Verfügung zu stehen. So
berichtete es hinterher zumindest der Chefreporter des Trierischen
Volksfreund.
Was – zumindest aus Sicht des Seeheimer Kreises – gegen sie spricht: auch
Barley gehört zur Parlamentarischen Linken. Können es Nahles und Schulz
wirklich wagen, Barley gegen Gabriel in Stellung bringen? Ist die
Freilassung von Deniz Yücel der Höhe- und Schlusspunkt seiner politischen
Karriere – oder beschert sie ihm eine Verlängerung?
Der Außenminister, der in diesen Tagen sehr viel redet, gibt auf Fragen
nach seiner Zukunft natürlich keine Antwort. Während seines Auftritts in
der Welt-Redaktion fragt ihn eine Reporterin, ob seine Chancen auf dem
Verbleib im Amt jetzt gestiegen seien. „Darüber habe ich mir ehrlich gesagt
keine Gedanken gemacht“, antwortet er schmallippig. Ganz sicher nicht, wie
könnte es anders sein. „Ich kenne keine andere Methode, als gute
Situationen zu nutzen, um die besseren anzusteuern“, sagte Gabriel am
Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz zum weiteren Umgang mit der
Türkei. Der Satz passt allerdings ebenso gut auf den politischen
Überlebenskampf, den er gerade führt. Ausgang offen.
17 Feb 2018
## AUTOREN
Pascal Beucker
Ulrich Schulte
Hanna Voß
Tobias Schulze
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Sicherheitskonferenz
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Schwerpunkt Deniz Yücel
Andrea Nahles
Lesestück Recherche und Reportage
Binali Yıldırım
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Schwerpunkt Deniz Yücel
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