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# taz.de -- Deniz Yücel ist frei: Endlich wieder blauer Himmel
> Nach 367 Tagen in Untersuchungshaft wurde der deutsche Journalist Deniz
> Yücel freigelassen. Er verließ die Türkei sofort.
Bild: Endlich frei: Deniz Yücel läuft am Freitag durch Istanbul
Das Bild des Tages wurde am frühen Freitagnachmittag [1][auf Twitter
veröffentlicht]. Deniz Yücel, Türkeikorrespondent der Welt, schließt vor
den Toren des türkischen Hochsicherheitsgefängnisses Silivri in der Nähe
von Istanbul seine Frau Dilek in die Arme. Das Foto stammt von seinem
Anwalt Veysel Ok, mit dabei, aber nicht im Bild, der deutsche Generalkonsul
in Istanbul, Georg Birgelen.
Nach genau einem Jahr und zwei Tagen in Untersuchungshaft geschah, womit
dann so schnell doch kaum jemand gerechnet hatte: Für Deniz Yücel, den
prominentesten deutschen Gefangenen in der Türkei, öffneten sich unverhofft
die Gefängnistore und der Journalist durfte seine Einzelzelle verlassen.
Nach 367 Tagen endlich wieder ein offener blauer Himmel für Deniz. Der
Unterstützerkreis #FreeDeniz jubelte, die Bundesregierung zeigte sich
erleichtert, seine Familie ebenfalls und Kollegen in Deutschland, sie
twitterten unter #Denizfree. Deniz Yücel bestieg am Freitag gegen 21.30 Uhr
(Ortszeit) in Istanbul ein Flugzeug und landete am späten Abend in Berlin.
Noch einen Tag zuvor hatte der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım
[2][während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der deutschen
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)] in Berlin wie immer darauf verwiesen,
dass die Entscheidung über eine Freilassung von Yücel natürlich nur die
türkische Justiz treffen kann, auch wenn er selbst die Hoffnung habe, dass
demnächst etwas Positives geschehe.
Dass es dann aber so schnell geschah, war dann doch allen Gerüchten zum
Trotz eine Überraschung. Der zuständige Istanbuler Staatsanwalt reichte am
Freitagfrüh beim Istanbuler Gericht für schwere Straftaten die
Anklageschrift ein, nachdem er ein Jahr lang damit gewartet hatte. Darin
fordert er für Yücel eine Haftstrafe zwischen 4 und 18 Jahren wegen
Terrorpropaganda und Volksverhetzung.
Das Gericht, das offensichtlich informiert war und nur auf den Eingang der
Anklageschrift gewartet hatte, verfügte daraufhin umgehend die Freilassung
von Yücel aus der U-Haft. Nach Auskunft seines Anwalts Veysel Ok wurde er
ohne Auflagen entlassen, was eben auch bedeutete, dass er die Türkei sofort
verlassen konnte.
## Eine rein politische Entscheidung
Das entspricht dem Vorbild des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner,
der im Oktober vergangenen Jahres ebenfalls nach mehrmonatiger Haft nach
massivem deutschem Druck am ersten Tag seines Prozesses aus der U-Haft
entlassen wurde und nach Deutschland ausreisen durfte, obwohl sein Prozess
bis heute weiterläuft.
Genauso sieht es jetzt bei Deniz Yücel aus. Der erste Prozesstag wurde vom
Gericht auf den 28. Juni terminiert und er wird wohl ohne den Angeklagten
stattfinden. Damit ist dem von der türkischen Regierung geforderten
Prozedere Genüge getan, indem nun formal das zuständige Gericht die
Freilassung verfügt hat.
Dennoch ist es natürlich wie schon bei Steudtner eine rein politische
Entscheidung. Dass die türkische Justiz nach wie vor die Auffassung der
türkischen Regierung teilt, die alle kritischen Journalisten für
Terrorpropagandisten hält, [3][zeigt eine Entscheidung einer anderen Kammer
vom selben Tag.] Da wurden am Freitag in Istanbul der ehemalige
Chefredakteur Ahmet Altan, sein Bruder Mehmet Altan, die Grand Dame der
türkischen Publizistik Nazli Ilicak und die Journalisten Fevzi Yazıcı,
Yakup Şimşek und Şükrü Özşengül zu jeweils „erschwerter lebenslanger …
verurteilt.
Ihnen wird vorgeworfen, in den Putschversuch am 16. Juli 2016 verwickelt
gewesen zu sein, weil sie angeblich Kontakte zur Gülen-Sekte hatten. Auch
gegenüber den weiteren rund 140 türkischen Journalisten, die wegen ihrer
kritischen Berichterstattung angeklagt sind und teilweise wie zuvor Deniz
Yücel schon über ein Jahr in Untersuchungshaft ausharren müssen, sind
keinerlei positiven Signale erkennbar.
Sowohl der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu wie zuletzt auch
Ministerpräsident Binali Yıldırım hatten im Vorfeld der Freilassung
signalisiert, dass sie „in Kürze“ mit einer positiven Entwicklung rechnen.
Yıldırım, der sich gegenwärtig bei der Sicherheitskonferenz in München
aufhält, sagte nach der Freilassung, er hoffe, dass damit jetzt „einige
Probleme mit Deutschland gelöst sind“.
Tatsächlich war die U-Haft von Deniz Yücel, den Staatspräsident Recep
Tayyip Erdoğan im letzten Jahr bereits als „Agenten und
Terrorpropagandisten“ vorverurteilt hatte, der türkischen Regierung mehr
und mehr zur Last geworden. Die Bundesregierung warnte deutsche Touristen
vor Reisen in die Türkei, sorgte in Brüssel dafür, dass die Verhandlungen
über eine Ausweitung der Zollunion, auf die die Türkei seit Langem hofft,
gestoppt wurden und verhängte auch einen Stopp für Rüstungslieferungen in
die Türkei. In Berlin wird nun gerätselt, ob, und wenn ja welche
Gegenleistung die Bundesregierung für die Freilassung von Yücel in Aussicht
gestellt hat.
## Merkel freut sich
Der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), der die Gespräche
mit seinem türkischen Kollegen aber auch mit Präsident Erdoğan geführt
hatte, sagte dazu am Freitagnachmittag in Berlin: „Ich kann Ihnen
versichern, es gibt keine Verabredungen, Gegenleistungen oder Deals in
diesem Zusammenhang.“ Es sei ausschließlich um die Frage gegangen, wie man
das Verfahren beschleunigen könne. Deniz Yücel selbst hatte kürzlich in
einem dpa-Interview darauf gepocht, dass er nicht aufgrund eines
Rüstungsdeals freikommen wolle.
In der Türkei kursierten in den sozialen Medien Vermutungen, die
Freilassung könnte ein Gegengeschäft mit der Freilassung eines
Erdoğan-Vertrauten in Deutschland sein, der hier im Gefängnis saß. Es wurde
auch ein Zusammenhang hergestellt zur Einstellung der Verfahren, die die
Bundesanwaltschaft gegen 16 von der türkischen Religionsbehörde Dianet nach
Deutschland entsandten Imame wegen Spionage geführt hatte.
Kanzlerin Merkel sagte [4][in ihrer Stellungnahme] dazu nur, die Gespräche
mit der türkischen Regierung seien offenbar nicht ohne Nutzen gewesen.
Ansonsten freue sie sich natürlich über die Freilassung und grüßte Deniz
Yücels Frau Dilek und die Familie in Flörsheim, „die ja ein sehr
schwieriges Jahr Trennung aushalten mussten“.
Merkel vergaß auch nicht zu erwähnen, dass die Bundesregierung hoffe, dass
nach der Freilassung von Yücel nun auch die vielen anderen, weniger
prominenten politischen Gefangenen in der Türkei nicht vergessen werden.
Eine junge türkische Journalistin, Irem Afsin, twitterte dazu: „Schön, dass
Deniz freigelassen wurde. Nun müssen unsere anderen Freunde im Gefängnis
nur noch die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, dann gäbe es auch für
sie Hoffnung.“
16 Feb 2018
## LINKS
[1] https://twitter.com/shemmoshemmo/status/964479912378814464?ref_src=twsrc%5E…
[2] /Tuerkischer-Ministerpraesident-in-Berlin/!5485092
[3] /Tuerkische-Pressestimmen/!5485308
[4] /Reaktionen-auf-Deniz-Yuecels-Freilassung/!5485296
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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