# taz.de -- Die Wahrheit: Polens putziger Patriotismus | |
> In vorauseilendem Gehorsam veröffentlichen wir einen antipolnischen | |
> Propagandatext. Bitte bei den zuständigen Stellen in Warschau | |
> denunzieren! | |
Die höflich vorgetragene Bitte ihrer Regierung ging als offizielles | |
Schreiben vor einer Woche bei im Ausland lebenden polnischen Staatsbürgern | |
ein und wurde von polnischen Konsulaten großzügig verteilt: „Bitte | |
dokumentieren Sie alle antipolnischen Äußerungen, Darstellungen und | |
Meinungen, die uns schaden und reagieren Sie darauf. Informieren Sie unsere | |
Botschaften, Konsulate und Honorarkonsulate über jede Verleumdung, die den | |
guten Ruf Polens beeinflusst.“ | |
Der Vorgang wurde von den üblichen Polenfeinden (Schwule, Evangelen, | |
Journalisten, schwule evangelische Journalisten) sofort skandalisiert. | |
Aufruf zur Denunziation, ein weiterer Schritt aus der europäischen | |
Wertegemeinschaft – das übliche moralzersetzende westlich-weibische Gerede | |
eben. | |
Grund genug für einen Ortstermin bei Jarosław Kaczyński, dem Vorsitzenden | |
der Regierungspartei PiS, um die polnische Sicht der Dinge zu hören. Mit | |
der Landung in Warschau kommen wir umgehend in den Genuss der weltberühmten | |
polnischen Gastfreundschaft. Kaczyński selbst holt uns vom Flughafen ab. | |
Herzlich begrüßt er uns, und wir freuen uns aufrichtig, wenn wir bei seinem | |
Anblick auch einen merkwürdigen Heißhunger auf Reibekuchen verspüren. | |
Beim Einsteigen in die Mercedes-Limousine wundern wir uns kurz über das | |
deutsche Nummernschild, aber Kaczyński lächelt entschuldigend: Man sei bei | |
all dem Wirbel um Holocaust-Gesetz und Anti-Polen-Propaganda noch gar | |
nicht dazu gekommen, die Fahrgestellnummer zu schleifen und das Kennzeichen | |
auszuwechseln. Das würde aber selbstverständlich umgehend nachgeholt. | |
## Halt in eisiger Kirche | |
Nach einem kurzen Halt in einer eisigen Kirche, wo wir gemeinsam mit | |
Kaczyński eine halbe Stunde mit den Kniescheiben auf dem kalten | |
Steinfußboden vor einer Marienstatue herumrutschen, gibt es erst einmal | |
einen „kleinen, leichten Begrüßungsimbiss“, wie der PiS-Chef | |
freudestrahlend ankündigt: mit Rinderbraten gepökeltes Eisbein im | |
Speckmantel in einer klumpigen Sahne-Fleischsauce. | |
Im Hintergrund trägt eine über eine kleine Bühne hinkende, faltige, | |
zahnlose Sängerin uns zu Ehren den alten Millöcker-Gassenhauer „Der Polin | |
Reiz bleibt unerreicht“ aus dem „Bettelstudenten“ vor. Wir müssen wohl | |
etwas verwundert dreingeschaut haben, denn Kaczyński erläutert: „Die | |
jungen, hübschen Frauen sind halt gerade alle in Westeuropa – arbeiten.“ | |
Zum Nachtisch gibt es noch ein paar Krakauer und Kabanos auf die Hand zum | |
Mitnehmen, aber dann ist es auch erst einmal genug mit der polnischen | |
Lebensfreude, nun wird es Zeit für das journalistische Programm. | |
Wir fahren in ein großes Gebäude vor den Toren von Warschau. Dort empfängt | |
uns der polnische Anti-Propaganda-Beauftragte Lech Heyduda und führt uns | |
durch die Hallen: Zehntausende ausgedruckte Mails, Postkarten, Briefe – die | |
überall gestapelt herumstehenden Körbe und Kisten quellen über vor | |
Meldungen von Auslandspolen über antipolnische Äußerungen, der Raum sieht | |
so chaotisch und vermüllt aus wie nach jahrelanger polnischer Wirtschaft. | |
„Wir lesen hier antipolnische Äußerungen im Akkord!“, klagt Heyduda, | |
greift in einen der Stapel und zieht ein zufälliges Schreiben heraus: | |
„Neulich ging ich mit meinen Freundinnen an der Straße spazieren“, klagt | |
etwa Olga W. aus Neubrandenburg, „da hielt ein älterer Mann und fragte nach | |
dem Preis. Als ich gesagt habe: siebzig ohne Kondom, hat er gesagt, mit | |
einer Polin würde er es doch niemals ohne Gummi machen. Das hat meinen | |
Patriotismus sehr verletzt.“ | |
Wir schauen betroffen zu Boden, während Heyduda den nächsten Brief in die | |
Hand nimmt. Natalia aus Aachen, eine Hausangestellte zur Betreuung eines | |
vollpflegebedürftigen Unternehmers, klagt, als sie nach drei Monaten um ein | |
freies Wochenende gebeten habe, wurde ihr von der Dame des Hauses gesagt, | |
beim nächsten Mal nehme sie lieber eine Rumänin, die würden nicht dauernd | |
überzogene Ansprüche stellen. So geht es Brief für Brief weiter: Ein | |
Maurer, der nach erledigtem Job wegen Schwarzarbeit angezeigt wurde, ein | |
Gärtner, der arge Beleidigungen ertragen musste, nur weil er sich einige | |
Werkzeuge beim Auftraggeber „ausgeborgt“ hatte, eine Krankenschwester, der | |
vom Chefarzt nach dem Blowjob die Bonusprämie verweigert wurde. | |
„Sie sehen“, sagt Kaczyński, „unser Vorgehen dient dazu, Missstände zu | |
dokumentieren. Nur dafür haben wir dieses schöne Konzentrationslager hier | |
eingerichtet.“ – „Konzentrationslager?“, fragen wir verwundert. „Keine | |
Angst, das dürfen Sie ruhig schreiben, ohne dass wir sie für drei Jahre ins | |
Gefängnis stecken“, erläutert er lachend, „hier werden eben alle Meldungen | |
über antipolnische Äußerungen konzentriert.“ | |
## Verbrechen der Nazi-Zeit | |
Ob denn diese Bezeichnung nicht gerade extra verboten worden sei, fragen | |
wir irritiert, aber Kaczyński klärt das kleine Missverständnis umgehend | |
auf. Das gelte nur im Zusammenhang mit deutschen Verbrechen der Nazi-Zeit, | |
gegen die Benutzung des Wortes an sich gebe es ja nichts einzuwenden. Außer | |
von diesen Juden und Israel wahrscheinlich, aber die hätten ja ohnehin | |
immer was zu meckern. | |
„Warum dann die ganze Aufregung?“, wollen wir wissen. Nun verfinstert sich | |
die Miene des bislang so gut gelaunten Kaczyńskis. Das neue | |
Holocaust-Gesetz verbiete lediglich zu sagen, der polnische Staat sei an | |
deutschen KZs oder Verbrechen der Deutschen gegen die Juden beteiligt | |
gewesen. Dies sei eine ungeheure Behauptung, die leider immer wieder | |
erhoben würde. So entstünde der Eindruck, die Polen hätten sich nur als | |
Trittbrettfahrer der Deutschen betätigt. Das sei jedoch falsch, schließlich | |
könnten die Polen auch auf eine lange Tradition eigener antisemitischer | |
Verbrechen verweisen. Doch die Deutschen wollten mit ihrem Schuldkomplex ja | |
immer alles für sich allein haben, klagt Kaczyński. Wir nicken | |
verständnisvoll. | |
Inzwischen sind wir wieder am Flughafen angekommen. Wir holen unsere | |
Taschen aus dem Kofferraum des Wagens, dann wollen wir uns von unserem | |
Gastgeber verabschieden. Von Kaczyński fehlt aber plötzlich jede Spur. Wir | |
fragen den Fahrer, der zuckt nur mit den Schultern. „Einfach weggegangen. | |
Polnische Verabschiedung eben.“ | |
Ach, unsere östlichen Nachbarn – ein putziges Völkchen! Bevor wir Richtung | |
Flugzeug gehen, steckt der Fahrer uns noch einen Zettel zu: „Wenn Sie mal | |
Handwerker brauchen – einfach Nummer anrufen. Ist Freund von Schwager. | |
Guter Mann, kann alles. Malern, Mauern, sogar Garten! Ganz billig. Und | |
schwarz! Einfach anrufen!“ | |
24 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Heiko Werning | |
## TAGS | |
Polen | |
Jarosław Kaczyński | |
taz.gazete | |
Polen | |
Ausländer | |
Schwerpunkt AfD | |
Schwerpunkt AfD | |
Schwerpunkt AfD | |
Alexander Dobrindt | |
Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Debatte um Patriotismus: „Wir“ und „die“, was soll das sein? | |
Manche Linke berufen sich auf ihre Liebe zur Heimat. Dabei ist es nötig, | |
ein „Wir“ zu schaffen, das sich auf Werte bezieht – und nicht auf Herkunf… | |
Kommentar Steinmeier in Polen: Ein historischer Besuch | |
Polens Präsident Andrzej Duda versucht Grundwerte gegen die rechte | |
Regierung zu verteidigen. Dabei sollte ihn sein deutscher Amtskollege | |
unterstützen. | |
Die Wahrheit: Am Verteilerkasten | |
Kleine Solidaritätsadressen in Zeiten ungehemmter Ausländerhetze und | |
sozialer Spaltung können sich schnell ins Gegenteil verkehren … | |
Heiko Werning: Gehört Katjes zu Deutschland? | |
In einem Werbespot mampft eine Hidschab tragende Frau Süßes – und die | |
Rechte dreht durch. Der Untergang des süßen Abendlandes steht bevor! | |
Die Wahrheit: Zirkustruppe erlebt ihr Damaskus | |
Eine AfD-Delegation reist in die syrische Hauptstadt und erzählt wunderbare | |
Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. | |
Die Wahrheit: Stotternder Empörungsmotor | |
Die ZDF-„heute show“ hat einen stotternden AfD-Politiker verspottet. Was | |
aber erzählt der Mann inhaltlich zum Beispiel über Flüchtlinge? | |
Die Wahrheit: In vorrevolutionären Zeiten | |
Alexander Dobrindt ruft die Revolution aus: Wenn jetzt noch die | |
Drogenbeauftragte mitzieht, ist dem Land sehr geholfen. | |
Die Wahrheit: Die Sportvereinsheimgaststätte | |
Wem Berlin mit seinen kaputten Typen, der Hässlichkeit und diesen Berlinern | |
gehörig auf die Nerven geht, der besuche eine Zentrale der Provinz. |