| # taz.de -- Historikerin über die Firma Pelikan im NS: „Hakenkreuze retuschi… | |
| > Die Historikerin Annemone Christians soll die Firmengeschichte des | |
| > hannoverschen Schreibwaren-Herstellers Pelikan aufarbeiten. | |
| Bild: Aufmarsch von Pelikan-Mitarbeiter*innen im Jahr 1938 | |
| taz: Frau Christians, an was denken Sie, wenn Sie heute einen | |
| Pelikan-Füller zur Hand nehmen? | |
| Annemone Christians: Das löst in mir eine positive Erinnerung aus, weil ich | |
| damit Schreiben gelernt habe. | |
| Wer Dr. Oetker-Produkte anrührt oder sich ein Hugo Boss-Hemd kauft, hat es | |
| ebenfalls mit Produkten von Unternehmen zu tun, die sich lange sehr schwer | |
| mit der Aufarbeitung ihrer NS-Vergangenheit taten. Pelikan ist allerdings | |
| noch später dran. Woran liegt das? | |
| Ein Grund ist, dass der Bereich der Zwangsarbeit bei Pelikan in Teilen | |
| schon erforscht worden war. Damit war wohl aus Unternehmenssicht eines der | |
| heißesten Eisen bereits angefasst. | |
| Haben Sie bei Ihren historischen Forschungen, mit denen Sie das Unternehmen | |
| nun beauftragt hat, weitere gefunden? | |
| Überraschend war für mich das große Ausmaß, in dem Pelikan in die | |
| Kriegswirtschaft eingebunden war. Pelikan produzierte unter anderem | |
| Patronen- und Granathülsen, deswegen ist meine Studie unter dem Titel | |
| „Tinte und Blech“ erschienen. | |
| Musste, damit das passiert, mit Claudio Esteban Seleguan erst jemand den | |
| Vorstandsvorsitz der Pelikan AG übernehmen, der selbst aus einer | |
| Verfolgten-Familie stammt? | |
| Herr Seleguan, ein Urenkel des jüdischen Conti-Chefs Siegmund Seligmann, | |
| hat die Aufarbeitung natürlich gefördert. Ausschlaggebend war jedoch, denke | |
| ich, ein Anstoß von Außen: die sehr engagiert geführte Diskussion um eine | |
| Umbenennung der Fritz-Beindorff-Allee. Da musste und wollte das Unternehmen | |
| aktiv werden und hat das Institut für Zeitgeschichte mit der Studie | |
| beauftragt. | |
| Und was haben Sie zu Beindorff, dem damaligen Pelikan-Chef, herausgefunden? | |
| Beindorff war ein überzeugter Bewunderer von Adolf Hitler, vor allem von | |
| dessen Wirtschaftspolitik, zugleich ein sozial und kulturell sehr | |
| engagierter Unternehmer, der explizit avantgardistische Künstler | |
| unterstützte. Kurt Schwitters zum Beispiel beauftragte er mit der | |
| Gestaltung von Werbeplakaten, auch El Lissitzky. Dokumentiert ist zudem, | |
| dass Beindorff Klaus Seligmann half, als jüdischer Flüchtling in Buenos | |
| Aires Fuß zu fassen. | |
| Das ist für die Firmenüberlieferung auch deswegen relevant, weil dessen | |
| Sohn der schon erwähnte heutige Vorstandsvorsitzende von Pelikan ist. Aber | |
| wie ging die Firma damals mit ihren jüdischen Mitarbeitern um? | |
| Das hat mich auch sehr interessiert, weil es ja durchaus Unterschiede dabei | |
| gab, wie schnell Firmen ihre jüdischen Mitarbeiter entlassen haben. Aber | |
| leider konnte ich dazu in den noch vorhandenen Firmenakten überhaupt nichts | |
| finden. Solche Lücken gehören zu den frustrierenden Erfahrungen bei der | |
| Pelikan-Studie. | |
| Haben Sie den Eindruck, dass Akten absichtlich vernichtet worden sind? | |
| Das kann ich nicht definitiv sagen, es gibt ja auch Verluste bei Umzügen | |
| und anderen Gelegenheiten. Aber der Umstand, dass die Lücken insbesondere | |
| in den 1930er- und 1940er-Jahren liegen, ist nicht zu übersehen. | |
| Interessant war der Fund des Bildes von einer großen Firmenfeier, das in | |
| zweifacher Ausfertigung existiert. Einmal mit opulentem Hakenkreuz-Schmuck | |
| und dann in einer Unternehmenschronik aus der Nachkriegszeit, aus der die | |
| Hakenkreuze akribisch heraus retuschiert worden sind. | |
| Angesichts der Lücken in den Quellen ist es nach Ansicht von Fritz | |
| Beindorff junior, dem Urenkel des Patriarchen, nicht möglich, zu einer | |
| „Verurteilung“ Beindorffs wegen dessen Rolle in der NS-Zeit zu kommen. | |
| Deswegen sei es auch „völlig unangemessen“, die Beindorff-Allee | |
| umzubenennen. Können Sie diese Schlussfolgerung nachvollziehen? | |
| Den Wunsch eines Nachkommens, das familiäre Erbe nicht beschädigt zu sehen, | |
| kann ich durchaus nachvollziehen. Allerdings sind die Lücken in der | |
| Überlieferung durchaus nicht so groß, dass man nichts Belastendes über | |
| Beindorffs Rolle sagen könnte. Man muss davon ausgehen, dass er über die | |
| zum Teil schlimmen Umstände Bescheid wusste, unter denen die Zwangsarbeiter | |
| und Zwangsarbeiterinnen – in ihrer Mehrheit polnische und ukrainische | |
| Frauen – in seinen Werken arbeiten mussten. | |
| Beindorff junior vertritt öffentlich die Ansicht, dass „die meisten Firmen“ | |
| Zwangsarbeiter hatten und sogenannte Arbeitserziehungslager (AEL) | |
| betrieben. | |
| Für Hannover sind nur zwei dieser besonders harten Lagerarten, die AEL, | |
| nachgewiesen – beide lagen auf einem Gelände der Pelikanwerke. Über die | |
| Zustände dort gibt es drastische Zeitzeugenberichte. Nach dem Krieg betonte | |
| das Unternehmen jedoch, dass seine AEL nicht, wie es sonst überwiegend der | |
| Fall war, unter Gestapo-Aufsicht standen, sondern von eigenen Leuten | |
| bewacht wurden. | |
| Stimmt das? | |
| Es lässt sich nachweisen, dass einer der Lagerführer ein Firmenmitarbeiter | |
| war. Und es sind Stellenanzeigen belegt, mit denen Pelikan nach | |
| Wachpersonal suchte. | |
| Hat Beindorff ein ehrendes Gedenken verdient? | |
| Das ist eine Entscheidung, die in der Konkretion der Straßenbenennung | |
| politisch getroffen werden muss – und auf die ich selbst sehr gespannt bin. | |
| 13 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Henning Bleyl | |
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