# taz.de -- Studie "Reemtsma auf der Krim": Die Hamburger Kriegs-Profiteure | |
> Die Historiker Karl Heinz Roth und Jan-Peter Abraham gehen in ihrer | |
> Studie "Reemtsma auf der Krim" dem Zusammenhang von Tabakproduktion und | |
> Zwangsarbeit nach. Die Reaktion der Erben ist gespalten. | |
Bild: Einbringen der Tabaksetzlinge auf einer ehemaligen Tabaksowchose bei Simf… | |
HAMBURG taz | Auf Seite 459 ist es geschafft. Das Buch liegt zugeschlagen | |
da- und lädt wie jedes gute dazu ein, noch einmal von vorne zu beginnen, | |
damit sich der beim Lesen nach und nach gewonnene Erkenntnisgewinn | |
vertieft. Und dann sind da ja auch noch die 111 Seiten mit Fußnoten, | |
Literaturhinweisen und Archivangaben, denen man sich widmen könnte. | |
Und das bei einem vordergründig so trocken klingenden Titel: "Reemtsma auf | |
der Krim - Tabakproduktion und Zwangsarbeit unter der deutschen | |
Besatzungsherrschaft 1941-1944" ist die komplexe und fundierte Analyse des | |
Ineinandergreifens von militärischer Okkupation und nationalsozialistischer | |
Vernichtungspolitik - und der kühlen Strategie eines | |
Wirtschaftsunternehmens, das von beidem profitieren will. | |
Zwölf Jahre haben die beiden Historiker Karl Heinz Roth und Jan-Peter | |
Abraham an ihrer Studie gearbeitet. Ihre Aussagen belegen sie akribisch | |
durch interne Gutachten aus dem Reemtsma-Haus, durch Planungsunterlagen der | |
Wirtschaftsgruppe Ost und durch Befragungen von Zeitzeugen vor Ort. | |
Begonnen haben die Autoren das Projekt mit einer Vorstudie zur Geschichte | |
des ReemtsmaKonzerns. Doch die wäre so umfangreich geworden, dass sie den | |
Rahmen gesprengt hätte, sagt Karl Heinz Roth. "Also haben wir darauf | |
gewartet, dass andere Publikationen kamen und die kamen auch, haben aber | |
unseren Ansprüchen nicht genügt." | |
Roth und Abraham konzentrierten sich schließlich auf die Geschichte des | |
Reemtsma-Konzerns im Zweiten Weltkrieg - und verknüpften sie mit der | |
Okkupationsgeschichte. "Wir haben uns zwischendurch immer wieder die Frage | |
gestellt, ist der Fall Reemtsma singulär oder ließe sich die Geschichte | |
auch anhand anderer Unternehmen erzählen und aufdecken?", sagt Roth. | |
Die Frage erledigte sich durch die Quellenlage, die Roth im Falle Reemtsma | |
als "optimal" bezeichnet. "Es war ganz erstaunlich zu sehen, mit welcher | |
Konsequenz Reemtsma vorgegangen ist", sagt er. | |
Kaum ist die Wehrmacht 1941 auf die Krim vorgerückt, schickt die | |
Reemtsma-Zentrale in Hamburg Bahrenfeld ein kleines Team auf die Halbinsel | |
im Schwarzen Meer: Es soll sondieren, in welchen Zustand sich die | |
Tabakfelder, die Fermentierungsanlagen und Zigarettenfabriken nach dem | |
Abzug der Sowjettruppen befinden - und wie die Produktion möglichst schnell | |
wieder in Gang gebracht werden kann. | |
Von der Krim aus - und dem bald zu erobernden Kaukasus mit seinen scheinbar | |
endlosen Tabakfeldern - soll nicht nur das deutsche Reich, sondern bald | |
ganz Europa mit Zigaretten und Tabak versorgt werden. Eine durchgehende | |
Autobahn von der Hauptstadt Berlin bis auf die Krim wird geplant, die | |
Bauarbeiten beginnen. | |
Der Eroberungszug wurde ideologisch durch die Legende fundamentiert, auf | |
der Krim habe sich in Vorzeiten ein mächtiges Gotenreich erhoben, auf dem | |
es aufzubauen gelte. Archäologen beginnen mit Ausgrabungen, um zu suchen, | |
was sie unbedingt finden sollen. Der kommende "Gotengau" sollte mit 210.000 | |
Südtirolern besiedelt werden. | |
Die Konsequenz, mit der Reemtsma vorging, hatte auch mit der Person des | |
damaligen Firmenchefs zu tun. "Philipp F. Reemtsma war ein wirklicher | |
strategischer Kopf. Ich glaube, die strategische Systematik mit der | |
Reemtsma den Weg in den Süden der Sowjetunion gesucht hat, hat schon etwas | |
Einmaliges", sagt Roth. | |
Weil das Deutsche Reich unter Hitler mit einer Verstaatlichung der | |
Tabakindustrie drohte, war Reemtsma stärker als Oetker, Bertelsmann oder | |
die Quandt-Familie gezwungen, auf die Wünsche der Reichsregierung | |
einzugehen. "Es ging um sein Lebensprojekt", sagt Roth. Man dürfe aber auch | |
nicht vergessen, dass das Unternehmen seinen Aufstieg dem ersten Weltkrieg | |
verdankte: "Der Reemtsma-Konzern hat eine Tradition, Kriege zur Expansion | |
zu benutzen." | |
Roths und Abrahams Motivation, sich mit dem Thema zu beschäftigen, war die | |
schleppende Entschädigung von Zwangsarbeitern durch die Bundesstiftung | |
"Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" im Jahr 2000. Viele Zwangsarbeiter | |
wurden überhaupt außen vor gelassen - unter anderem diejenigen, die in | |
ihren Heimatländern zur Zwangsarbeit gezwungen worden waren. | |
Am Ende ihrer Studie erweitern Roth und Abraham daher den bisher üblichen | |
Begriff der Zwangsarbeit entscheidend: Für sie ist ein Zwangsarbeiter nicht | |
mehr allein derjenige, der mittels mehr oder weniger direktem Zwang aus den | |
besetzten Ländern ins einstige Deutsche Reich verschleppt wurde. | |
Für sie zählen auch all die Bewohner der Krim dazu, die nach dem Einmarsch | |
der deutschen Truppen und der sie begleitenden Einheiten der SS und des | |
Sicherheitsdienstes vor die Alternative gestellt wurden: Entweder sie | |
arbeiteten für Reemtsma und die deutschen Raucher auf den Tabakplantagen, | |
in den Fermentieranlagen oder den Zigarettenfabriken. Oder sie mussten | |
befürchten, nicht einmal das Minimum an Lebensmitteln zugeteilt zu bekommen | |
- und zu verhungern. | |
Als Ende April 1944 die Partisanen und die Rote Armee näher kommen und die | |
Reemtsma-Mitarbeiter zusammen mit den Einheiten der Wehrmacht abrücken, | |
hinterlassen sie eine geschundene Halbinsel: 35.000 ashkenasische Juden, | |
20.000 Kriegsgefangene, 2.000 Roma und 1.000 ehemalige Insassen | |
psychiatrischer Krankenhäuser sind getötet, 6.000 Zivilisten als Geiseln | |
oder bei Razzien ermordet worden. Außerdem wurden über 40.000 überwiegend | |
junge Menschen zur Zwangsarbeit ins Reich deportiert. Dazu kommt eine | |
schwer zu beziffernde Zahl von Hungertoten. | |
Die Erben der Familie Reemtsma haben auf unterschiedliche Weise auf das | |
Aufdecken der Firmengeschichte reagiert: Haupterbe Jan Philipp Reemtsma, | |
der das Reemtsma-Archiv uneingeschränkt für Historiker öffnete, hat über | |
seine Stiftung viele der noch lebenden, einstigen Krim-Zwangsarbeiter | |
entschädigt; mittlerweile haben sich die Erben von Alwin F. Reemtsma dem | |
angeschlossen. Hermann Hinrich Reemtsma dagegen verweigert sich: Die | |
heutige Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH habe schließlich in die | |
Bundesstiftung eingezahlt - damit sei alles abgegolten. | |
26 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
## TAGS | |
NS-Forschung | |
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