Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nach dem Amoklauf von Parkland: Sie nennen es Bullshit
> Die Hinterbliebenen haben sich politisiert. Ihre Sprecherin ist die
> 18-jährige Emma González. Bald könnte sie auf Präsident Trump treffen.
Bild: „Das verändert meine Zukunft“, sagte Emma González in ihrem ersten …
New York taz | Als der 19-Jährige mit dem AR-15-Sturmgewehr am Valentinstag
schießend durch ihre Schule in Parkland im Süden von Florida zog, kauerte
Emma González auf dem Boden eines Klassenzimmers. Im Gegensatz zu 14
Mitschülern und drei Lehrern hat sie überlebt. Vier Tage später steht die
18-Jährige, die in ein paar Wochen die Schule abschließt, vor einer
Demonstration auf dem Platz vor dem Gericht im benachbarten Fort
Lauderdale. „Wir werden die letzte Massenschießerei sein“, ruft sie in das
Mikrofon, „wir werden das Gesetz ändern. Damit wird die Marjory Stoneman
Douglas High School in die Geschichtsbücher eingehen.“
Emma González ist die kleinste und die jüngste Person, die auf dem Podium
steht. Sie ist umgeben von Erwachsenen und anderen Teenagern. Über ihr
Gesicht laufen Tränen. Sie kämpft gegen ein Schluchzen an. Und sie streicht
sich immer wieder nervös über den kahlgeschorenen Kopf. Aber wenn sie
spricht, wird sie so klar, als hätte sie sich jahrelang auf genau diesen
Moment vorbereitet. „Eigentlich sollten wir jetzt alle zu Hause sein und
trauern“, eröffnet sie ihre Rede, „aber wenn unser Präsident und unsere
Regierung uns nichts anderes zu bieten haben als ‚Gedanken und Gebete‘,
dann müssen wir als Opfer die Veränderung sein, die wir brauchen.“
In den folgenden elf Minuten vermeidet es Emma González sorgfältig, den
Todesschützen namentlich zu erwähnen. Stattdessen nennt sie die politisch
Verantwortlichen, die nichts unternehmen, um Kriegswaffen aus dem Handel zu
ziehen und um den Zugang zu Schusswaffenbesitz stärker zu reglementieren.
Allen voran Donald Trump, der, anstatt die Schusswaffenkontrollen zu
verschärfen, als eine seiner ersten Amtshandlungen den Zugang zu
Schusswaffen für psychisch Kranke erleichtert hat: „eine sehr dumme Idee“.
Und der nach dem Massaker an ihrer Schule ein Schwarze-Peter-Spiel begonnen
hat, in dem er abwechselnd die Demokratische Partei, den FBI und sogar die
überlebenden Schüler verantwortlich macht, aber nichts über die Waffe sagt,
die der Todesschütze, ein bekannter psychisch gestörter junger Mann, legal
gekauft hat.
„Wir sind nicht verantwortlich“, sagt Emma González. Unter Beifall erinnert
sie daran, dass die Schusswaffenlobby National Rifle Association (NRA) mehr
als 30 Millionen Dollar für die Wahl von Trump ins Weiße Haus ausgegeben
hat.
„Shame on you“ – Schande über dich, ruft sie an die Adresse von Trump und
allen anderen Politikern, die Geld von der NRA kassieren. Ihr Publikum, das
vor allem aus Schülerinnen und Schülern besteht, von denen viele vier Tage
zuvor miterlebt haben, wie Gleichaltrige getötet oder schwer verletzt
wurden, wiederholt den Satz.
## Sie gilt jetzt als „Heldin“
Dann startet Emma González ihre nächste Attacke, in der sie einige der
absurden Argumente aufzählt, die Schusswaffenfreunde benutzen. Dass das
Problem nicht die Waffen, sondern die Menschen seien. Dass Schusswaffen
„Werkzeuge“ seien, wie Messer. Und dass kein Gesetz Massenschießereien
verhindern könne. „Wir nennen das B.S.“, ruft Emma González. „B.S. steht
für „bullshit.“. Die Erwachsenen, die sie am Rednerpult einrahmen, zucken
zusammen, als sie das Wort hören. Aber das Publikum antwortet auf jedes
Argument der Schusswaffenlobby, das Emma González aufzählt: „Wir nennen es
B.S.“
Die leidenschaftliche Rede – voller Wut und zugleich voller politischem
Gestaltungswillen – trifft das Gefühl einer Generation, die sich im Stich
gelassen fühlt. Schon wenige Stunden später wird Emma González
millionenfach im Internet geklickt. Sie gilt jetzt als „Heldin“. Und manche
sehen in ihr bereits eine künftige Politikerin. Vor allen Dingen aber
klingt es, als käme endlich Bewegung in die seit Jahren verhärteten Fronten
in der Schusswaffendebatte in den USA.
Was in Parkland passiert ist, nachdem das Sturmgewehr verstummt war,
unterscheidet dieses Massaker von allen vorausgegangenen. Gewöhnlich treten
in den ersten Stunden und Tagen nach jedem neuen Massaker die
Lebensgeschichten von Opfern und die Bilder von trauernden Angehörigen in
den Vordergrund. Als Nächstes beginnen die Medien die Suche nach „Helden“,
die Leben gerettet haben. Dann kommen Gottesdienste. Und ganz zum Schluss
hört die Öffentlichkeit Politiker, die bei Gedenkfeiern beteuern, dass
„etwas“ getan werden müsse, damit so etwas nie wieder geschehe,
anschließend ziehen die Kamerateams ab, und das Thema verschwindet in der
Versenkung. Bis zum nächsten Massaker.
Auf diesen ritualisierten Umgang, der Massaker zu quasi unvermeidlichen
Betriebsunfällen macht, auf die ausschließlich
Human-Touch-Berichterstattung, aber kein Ruf nach politischen Konsequenzen
folgt, haben sich die Kids in Parkland nicht eingelassen. Sie sind keine
Vorschulkinder wie in Newtown, die 2013 viel zu jung waren, um für sich
selbst zu sprechen; sie sind keine streng gläubigen Christen, wie in der
schwarzen Kirche von Charleston, die nach dem Massaker von 2015 Trost im
Gebet suchten, und sie sind auch keine Country-Musik-Fans wie in Las Vegas
im vergangenen Jahr, von denen viele selbst eine Schusswaffe im
Handschuhfach ihres Jeeps haben.
## „Sie haben Blut an ihren Händen“
Die Überlebenden von Parkland sind Gymnasiasten kurz vor dem
Erwachsenwerden und kurz vor ihrer ersten Wahl, die an einer der besten
Schulen Floridas gelernt haben. Sie gehören zu einer Generation, die nach
dem Massaker von Columbine 1999 in Colorado zur Welt gekommen ist. Sie
haben nicht nur an Übungen teilgenommen, in denen sie gelernt haben, wie
sie im Falle eines „active shooter“ an ihrer Schule in Deckung gehen
können, sondern sie haben auch im Unterricht x-Mal über den Umgang mit
Schusswaffen gesprochen.
Auf gewisse Weise waren die Schüler der Marjory Stoneman Douglas High
School besser vorbereitet als alle vorausgegangenen Opfer. Sie waren auch
die Ersten, die nicht nur SMS, sondern auch Live-Berichterstattung von dem
Katastrophenort geschickt haben. Noch während die Schüsse durch die Schule
hallten, hat der 17-jährige Schülerjournalist David Hogg mit seinem
Mobiltelefon Klassenkameraden interviewt, mit denen er zusammen in einem
Schrank versteckt war. Er verstand es als sein Vermächtnis. Seine
Interviewpartner verlangten im Flüsterton verschärfte
Schusswaffenkontrollen. Ein Mädchen, das bis zum Valentinstag vorhatte,
ihren 18. Geburtstag auf einer Schießfarm zu verbringen, flüsterte in dem
Schrank reumütig, dass sie nie wieder so leichtfertig für das „Recht auf
eine Schusswaffen“ eintreten werde.
Nur Stunden nach der Evakuierung der Schule am Valentinstag erklärte David
Hogg in einem Interview mit CNN: „Dies ist die 18. Schulschießerei dieses
Jahr. Wir sind Kinder. Ihr seid die Erwachsenen. Wenn ihr nichts
unternehmt, werden solche Dinge wieder passieren.“ Gleichzeitig begannen
andere überlebende Schüler eine öffentliche Auseinandersetzung per Tweet
mit Trump und dem Kongress. „Dies muss gestoppt werden. Unternehmen Sie
etwas“, verlangten sie. Und: „Sie haben Blut an Ihren Händen.“
Emma González gab ihr erstes Interview am Tag nach dem Massaker. Schon an
dem Tag wusste sie, dass ihr Leben eine unwiderrufliche Wende genommen
hatte. „Dies verändert meine Zukunft“, sagte sie, „es wird eine große R…
in meinem Leben spielen.“ Ähnlich sieht es der 17-jährige Cameron Kasky,
der es nach dem Massaker als seine „Berufung“ versteht, seine Landsleute
von der Notwendigkeit von Schusswaffenkontrolle zu überzeugen.
## Auf dem Weg nach Tallahassee
Vor dem Massaker war Emma González im Astronomie-Club der Schule aktiv, der
im Dezember einen Wetterballon in die Atmosphäre geschickt hat. Als sie
sich im Dezember mit ihrem frisch rasierten Haar, das sie gegen den
Widerstand ihrer Eltern durchgesetzt hatte, fotografieren ließ, trug sie
eine militärgrüne Jacke mit einer „Apollo II“-Aufschrift. Sie war auch die
Präsidentin der LGBTQ-Gruppe an der Schule. In Zukunft will sie verhindern,
dass das Massaker an ihrer Schule in Vergessenheit gerät, wenn die letzten
Opfer beerdigt sind.
Sie will, dass das ganze Land die Videos von den Schüssen, den Schreien und
dem Sterben im Klassenzimmer sieht: „Falls ihr das braucht, um zu
verstehen, was wir durchgemacht haben.“ Zusammen mit den anderen neuen
Aktivisten von ihrer Schule ist sie in der gerade gegründeten Kampagne
#NeverAgain aktiv. Will an den drei nationalen Demonstrationen und
„Walk-outs“ gegen Schusswaffen teilnehmen, die für März und im April
geplant sind. Und fordert die Wähler auf, zu prüfen, ob ihre Abgeordneten
Geld von der NRA kassieren. Im November, bei den Halbzeitwahlen, kann sie
selbst zum ersten Mal wählen.
Am Dienstag, direkt nach der Beerdigung einer ermordeten Mitschülerin,
werden mehrere Busse voller Schüler der Marjory Stoneman Douglas High
School ihre erste politische Reise nach Tallahassee machen. In der
Hauptstadt Floridas – einem Eldorado für Schusswaffenfreunde, wo nicht
einmal ein Waffenschein nötig ist, um eine Schusswaffe zu kaufen – wollen
sie versuchen, die Politiker ihres Bundesstaates zu gewinnen. Am Mittwoch
wird dann der Präsident Schüler und Lehrer der Schule besuchen. Emma
González ist bereit, sich mit Trump zu treffen.
20 Feb 2018
## AUTOREN
Dorothea Hahn
## TAGS
Schwerpunkt Waffen in den USA
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
USA
Emma González
NRA
Waffen
Schwerpunkt u24 taz
Donald Trump
USA
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
NRA
Pyeongchang
Amoklauf
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Florida
USA
Florida
## ARTIKEL ZUM THEMA
20 Jahre nach Columbine-Massaker: Alarm an US-Schulen
Vor dem Jahrestag des Amoklaufs riegelten die Behörden die Columbine High
School und andere Lehranstalten ab. Eine 18-Jährige hatte mit Gewalt
gedroht.
Trump bei der National Rifle Association: Knallköpfe unter sich
Trump verknüpft in seiner Rede bei der US-Waffenlobby die Verfassung mit
der Zwischenwahl. Nur Republikaner könnten ein Verbot von Schusswaffen
verhindern.
US-Schülerprotest gegen die Waffenlobby: Sie wollen leben
Diesen Samstag wollen Schüler in den ganzen USA gegen Waffen demonstrieren.
Bailey Thetford und Tae Hale sind zwei von ihnen. Hier erzählen sie, warum.
Waffenverkauf in den USA: Walmart erhöht Mindestalter
Nach dem Massaker an der Schule in Parkland zieht ein weiteres Unternehmen
Konsequenzen. Auch Trump zeigt sich entschlossen, das Mindestverkaufsalter
zu ändern.
NRA-Sprecherin Dana Loesch: Die wütende Waffenlobbyistin
Nach Trumps Amtsantritt wurde Loesch NRA-Sprecherin. Während der Präsident
den Ton im Weißen Haus verrohte, tat sie es bei der NRA.
US-Biathleten und Amoklauf in Parkland: Scharf gegen Waffen geschossen
„Warum ist das erlaubt?“, fragt der Weltmeister von 2017, Lowell Bailey.
Die US-Biathleten fordern ein Verbot halbautomatischer Sturmgewehre.
Nach Amoklauf in Parkland: Schulen in den USA verbieten Protest
Einige School Districts in den USA wollen SchülerInnen verbieten, an den
Demos der #NeverAgain-Bewegung teilzunehmen.
Nach Amoklauf an Schule in den USA: Trump schlägt Lehrer-Bewaffnung vor
Eine Woche nach Parkland spricht sich US-Präsident Donald Trump dafür aus,
dass Lehrer verdeckt Waffen tragen. Die Schüler aus Parkland äußern andere
Forderungen.
Waffen nach US-Schulmassaker: Trump will Mini-Verbot, Florida nicht
Nach dem Attentat in Parkland will der US-Präsident
Schnellfeuervorrichtungen für halbautomatische Waffen verbieten lassen. Das
Parlament in Florida hält dagegen.
Nach Schulmassaker in Parkland: 19-Jähriger legt Geständnis ab
Nach dem Mord an 17 Menschen an einer Schule in Florida hat der Schütze
Nikolas Cruz die Tat gestanden. Laut FBI kündigte er die Tat auf Youtube
an.
Amoklauf an Schule in Florida: Parkland unter Schock
Ein 19-Jähriger rennt mit Gasmaske und Schusswaffe in seine Schule. Er
tötet 17 junge Menschen und verletzt Dutzende.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.