# taz.de -- Widerstand im Nationalsozialismus: Die stillen Helden | |
> Mit einem Festakt eröffnet die Gedenkstätte Deutscher Widerstand ihre | |
> erweiterte Sonderausstellung über die Hilfe für verfolgte Juden im | |
> Nationalsozialismus. | |
Bild: In der Gedenkstätte Stille Helden, die den Widerstand gegen die Judenver… | |
Das Inventar eines Museums mag so anschaulich sein, wie es will, es bleibt | |
doch tote Materie, seien es nun ausgestellte Gemälde, Fotos oder | |
Suppenteller. Wann ist es schon einmal geschehen, dass all diese | |
Gegenstände lebendig werden, dass sie erzählen, lachen, gestikulieren und | |
sich unbändig darüber freuen, nun selbst im Museum zu stehen? | |
In dieser Woche gab es eine solch seltene Ausnahme. | |
Denn da wurde mit einem Festakt die erweiterte Dauerausstellung in der | |
Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstraße über „stille | |
Helden“ eröffnet. Stille Helden, das ist der Begriff für Menschen, die sich | |
uneigennützig für verfolgte Juden während des Nationalsozialismus | |
eingesetzt haben, die ihnen Lebensmittel zuschoben, ein Obdach gaben und | |
sie vor der Deportation versteckten, meist ohne später groß Aufhebens um | |
ihre damals gefährliche Solidarität zu machen. Eine bitter notwendige | |
Erinnerung in Zeiten eines wieder auflebenden Antisemitismus. | |
Oben im 3. Stock der Gedenkstätte kann man die Schicksale derjenigen, die | |
sich für ihre Nachbarn einsetzten, nachvollziehen. Die Ausstellung | |
präsentiert mit Bildern, Dokumenten und alltäglichen Gegenständen die | |
Hilfen für die versteckten „Illegalen“. Rund 5.000 Juden, davon mehr als | |
1.700 in Berlin, gelang es deutschlandweit so zu überleben, in | |
Kellerlöchern, in der Mansarde, aber auch getarnt als angebliche „arische“ | |
Verwandte im Besuchszimmer, bei Gefahren immer wieder das Quartier | |
wechselnd. Geschätzte 20.000 Helfer waren notwendig, um dieses Überleben zu | |
ermöglichen. | |
Es waren viel zu wenige. Etwa 160.000 deutsche Juden sind von den Nazis | |
ermordet worden. | |
## Was bringt einen dazu zu helfen? | |
Unten im großen Saal des Erdgeschosses des gegenüberliegenden Hotels hält | |
die Dramaturgin und Theaterautorin Nele Hertling am Dienstag den | |
Festvortrag. Die weißhaarige Dame erinnert an ihre Eltern Cornelia und | |
Hanning Schröder, die 1944 ein verfolgtes Ehepaar aufnahmen. Dabei war die | |
schützende Familie selbst verfolgt, weil Mutter Cornelia einer jüdischen | |
Familie entstammte. Man habe „das Bild eines normalen Lebens demonstriert“, | |
berichtet Hertling, und sich dabei auch noch vor einem einquartierten | |
Wehrmachtsoffizier in Acht nehmen müssen. Und sie stellt die alles | |
entscheidende Frage: „Was bringt den Einzelnen dazu zu helfen?“ | |
Als Zehnjährige, erzählt Nele Hertling anschließend, habe sie von der | |
Aktion damals gar nichts mitbekommen. Das wäre auch viel zu gefährlich | |
gewesen“, sagt sie, denn ein Kind kann sich leicht verplappern. | |
Gegenüber im dritten Stock steht hinter Glas das Nähkästchen von Ilse | |
Rewald ausgestellt, die die Schröders damals zusammen mit ihrem Mann Werner | |
gerettet haben. Ein unscheinbarer weißer Kasten mit drei geöffneten | |
Fächern. Doch aus dem obersten Fach lugt der „Judenstern“ von Ilse Rewald | |
hervor, den sie 1943 abgenommen hatte, um unterzutauchen. Dort liegt auch | |
ein unscheinbares Stoffband, darauf notiert die wichtigsten Adressen | |
während ihrer Zeit im Untergrund. Das Band hatte sie damals in ihrem | |
Rocksaum eingenäht. Auf der Stellwand neben dem Nähkästchen ist ein Foto | |
von 1948 zu sehen: Es zeigt das Ehepaar Schröder, das das Überleben des | |
jüdischen Ehepaars Rewald ermöglichte, zusammen mit ihrer Tochter Nele, die | |
gegenüber gerade den Festvortrag gehalten hat. | |
## Leben im Untergrund | |
Walter Frankenstein, in der ersten Reihe sitzend, hat Nele Hertling | |
aufmerksam zugehört. Der Mann ist mit seinen 93 Jahren extra aus Stockholm | |
angereist, um die Eröffnung der Ausstellung mitzuerleben. Frankenstein hat | |
keine Juden gerettet – er war selbst einer derjenigen, die als Verfolgter | |
im Untergrund leben mussten. Er freut sich, dass so viele Menschen – es | |
sind mehrere hundert – der Veranstaltung beiwohnen. Denn nach dem Krieg | |
waren weder die Retter noch die Geretteten sonderlich beliebt, im | |
Gegenteil. Über Jahrzehnte wurde dieser Widerstand der „kleinen Leute“ | |
ignoriert – aus gewichtigem Grund. Denn die Hilfe der „stillen Helden“ | |
demonstrierte den nun ehemaligen Volksgenossen, die in ihrer Mehrheit von | |
nichts gewusst haben wollten, dass es doch möglich gewesen wäre, mehr zu | |
tun, als nur wegzuschauen. | |
„Es wurde geschwiegen“, sagt dazu Nele Hertling, die in der angeblich so | |
antifaschistischen DDR aufwuchs, „niemand hat sich dafür interessiert.“ Im | |
Gegenteil habe es nach 1945 Anfeindungen gegen sie aus der Nachbarschaft | |
gegeben. | |
Nach dem Festakt fährt Walter Frankenstein zusammen mit seinem Sohn Uri mit | |
dem Fahrstuhl in den dritten Stock des Hauses gegenüber. Dort, in der | |
Ausstellung, bleibt er lange vor einem Bildschirm hängen, auf dem | |
multimedial die Geschichte der Rettung eines Verfolgten mit Bildern und | |
Texten dokumentiert wird. Es ist seine eigene. | |
Frankenstein, ein Mann mit weißem Haarkranz und Rollator, auf den er sich | |
stützt, ist trotz seines Alters hellwach. Er sieht die Bilder seines | |
eigenen Fotoalbums, das er damals durch die Verfolgung retten konnte: | |
seine inzwischen verstorbene Frau Leonie mit dem kleinen Uri 1944 unter | |
falschem Namen in einem brandenburgischen Dorf, Ballspiele im jüdischen | |
Auerbachschen Waisenhaus in der Schönhauser Allee in den 1930ern, wo er | |
aufgewachsen ist, die Helfer Arthur Ketzer und Arthur Katz, und der kleine | |
Sohn Michael nach seiner Ankunft in Palästina 1946. Er kam in der | |
Illegalität und unter falschem Namen auf die Welt, weshalb diese Station | |
der Ausstellung den Titel „Geburt im Versteck“ trägt. Die ganze vierköpfi… | |
Familie überlebte. Bei seinem eigenen Jugendbild entfährt es Frankenstein: | |
„Das war ja ich!“ | |
## Hilfe für Verfolgte | |
Zehn Geschichten von der Hilfe für die verfolgten Juden im Untergrund | |
werden in der Schau ausführlich gezeigt, weitere multimedial präsentiert. | |
Mehr als 900 sind in einer Datenbank dokumentiert, durch die man sich | |
klicken kann. Und die Ausstellung soll in Zukunft erweitert werden. Dann | |
werden, so der Projektleiter Johannes Tuchel, auch die Hilfen für Juden in | |
den von den Deutschen besetzten Ländern Europa in den Blick genommen. Eine | |
kleine Gruppe Wissenschaftler unternimmt dazu umfangreiche Recherchen. | |
Nele Hertling lobt die Ausstellung. Sie sei „eine sehr späte Anerkennung“ | |
derjenigen, die in der Not selbstlos geholfen haben. Und Walter | |
Frankenstein sagt: „Diese Schau ist fantastisch.“ | |
Die Gedenkstätte Stille Helden, Stauffenbergstraße 13-14, ist täglich | |
geöffnet. Der Eintritt ist frei, der Katalog zur Ausstellung kostet 10 | |
Euro. | |
17 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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