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# taz.de -- Potsdam wächst enorm schnell: Eine Stadt mit Wachstumsschmerzen
> Viel Konfliktstoff in Brandenburgs Landeshauptstadt: Die Mieten steigen.
> Beim Neubau zeichnen sich Konflikte mit Unesco-Welterbestatus ab. Die
> Infrastruktur hinkt hinterher.
Bild: Die Welterbekommission hat sicher auch das Schloss Sanssouci im Blick
Potsdam ist mit derzeit rund 176.000 Einwohnern die zweitkleinste
Landeshauptstadt in Deutschland. Doch das wird sich bald ändern. Wächst die
beschauliche alte Residenzstadt so weiter wie zuletzt, dürfte sie im
nächsten Jahr Saarbrücken an Einwohnern übertreffen. Angesichts von
Zugewinnen in den Jahren 2016 und 2017 von jeweils mehr als 4.000
Einwohnern dürfen die Statistiker im Rathaus wohl bald eine Kerbe in ihre
Schreibtische schnitzen.
Wie schnell Potsdam wächst, hat sich das Rathaus nun schriftlich geben
lassen: Die neueste Bevölkerungsprognose des Statistikamts verspricht der
Stadt im Jahr 2035 sogar 220.000 Einwohner. Das wäre ein Viertel mehr als
jetzt.
So manche Alteingesessenen und sogar Potsdamer, die erst nach der
Wiedervereinigung zugezogen sind, stöhnen angesichts solcher Vorhersagen
auf. Sie meinen ihr Potsdam nicht mehr wiederzuerkennen. Überall Menschen.
Zum Vergleich: 1999, als Potsdams Bevölkerungszahl ihren Tiefststand nach
der Wiedervereinigung erreichte, hatte die Stadt knapp 129.000 Einwohner.
Schrumpfende Städte in den ostdeutschen Weiten hätten gern die Potsdamer
Sorgen. Doch das Wachstum bringt handfeste Probleme mit sich und kostet
eine Menge Geld – Stichwort Infrastruktur: Straßenbahnen und Busse sind im
Berufsverkehr so voll, dass häufig keiner mehr einsteigen kann. Es fehlt an
Schulplätzen, Sportanlagen und Kitas.
## Ein neuer Stadtteil
Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) schlug deshalb jüngst vor, auf dem
früheren Kasernengelände Krampnitz mehr Wohnungen als bisher vorgesehen zu
errichten. Dort, an der Bundesstraße 2, die Potsdam mit Spandau verbindet,
sollen im kommenden Jahr die Bauarbeiten beginnen. Vorgesehen ist ein neuer
Stadtteil aus restaurierten, denkmalgeschützten Gebäuden und Neubauten.
Erste Planungen für 3.800 Einwohner wurden schon 2017 auf rund 7.000
erweitert. Doch reichen wird das bei weitem nicht. Außerdem gibt es nur
eine Straße Richtung Innenstadt, und die komplizierten Planungen für eine
Tramstrecke haben erst begonnen.
Tatsächlich wird in Potsdam schon jetzt viel gebaut. Man sieht es an den
Kränen im Stadtbild. Und in der Statistik: Im Jahr 2016 wurden mehr als
1.600 Neubauwohnungen fertiggestellt. Bezogen auf 1.000 Einwohner kamen
damit 9,4 neue Wohnungen auf den Markt. Deutschlandweit war Potsdam damit
eine von nur neun Landkreisen und kreisfreien Städten, die auf mehr als
acht Wohnungen pro 1.000 Einwohner kamen. Berlin schaffte im Vergleich dazu
nicht mal die Hälfte.
„Potsdam bewältigt den Zuzug besser als Berlin“, sagte Maren Kern vom
Vorstand des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) im
vergangenen Jahr bei der Vorstellung des BBU-Jahresberichts. In dem Verband
sind alle großen kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsgesellschaften
organisiert.
In Potsdam habe man früher auf die wachsende Nachfrage nach Wohnraum
reagiert, Baugebiete ausgewiesen und Planungen vorangetrieben, so Kern.
Wirkung zeige nun auch, dass die kommunale Wohnungswirtschaft schon vor
Jahren mit einem Neubauprogramm begonnen habe.
## Zu wenige Sozialwohnungen
Dennoch steigen die Mieten in Potsdam rasant. Bei Neuvermietungen sind
mittlerweile Angebote um 12 Euro kalt pro Quadratmeter keine Seltenheit. Es
fehlt vor allem an günstigen Wohnungen. Die ersten Sozialwohnungen nach dem
von der rot-roten Landesregierung nach Jahren der Pause wieder aufgelegten
Förderprogramm werden erst in diesem Jahr fertig. Doch die Zahl der
Wohnberechtigungsscheine ist schon von 2012 bis 2016 um 1.000 auf 4.252 pro
Jahr gestiegen, die Zahl der vermittelten Sozialwohnungen nur um 178 auf
877. Das geht aus dem im Januar vorgelegten Wohnungsmarktbericht der
Stadtverwaltung hervor.
„In Potsdam wird viel gebaut“, sagt auch Potsdams Sozialdezernent Mike
Schubert (SPD). Es seien nur nicht die richtigen Wohnungen. Im vergangenen
Jahr beschlossen die Stadtverordneten deshalb das sogenannte Potsdamer
Baulandmodell. Bei Projekten auf neuem Bauland sollen Bauherren demnach für
bis zu 20 Prozent Sozialwohnungen sorgen. Schubert fordert dabei künftig
noch restriktiver vorzugehen. Möglicherweise kann er das bald umsetzen. Im
September wird ein neuer Oberbürgermeister gewählt – und Schubert werden
als Kandidaten der SPD bisher gute Chancen zugesprochen. Amtsinhaber Jann
Jakobs tritt nach 16 Jahren Regentschaft nicht mehr an.
Außerdem hat das Rathaus nun die aktive Liegenschaftspolitik
wiederentdeckt. Für jährlich eine Million Euro sollen Grundstücke angekauft
werden. Denn eigene Flächen besitzt Potsdam kaum noch. Jahrelang wurden
Grundstücke verkauft, um die klamme Stadtkasse zu sanieren.
Problematisch für den Neubau ist zudem, dass die Flächen für den
Wohnungsbau wegen des Unesco-Welterbestatus von Potsdams Schlössern und
Gärten beschränkt sind. Konflikte mit der dafür zuständigen
Schlösserstiftung zeichnen sich ab. Erstes Beispiel: Am Park Babelsberg
will ein Investor rund 300 Wohnungen hochziehen. Die Stadtverwaltung findet
das gut, weil 30 Sozialwohnungen dabei wären. Die Schlösserstiftung sieht
die Aussicht verschandelt. Kostbare Sichtachsen aus dem Welterbepark würden
zugebaut.
## Welterbekommission schaut auf Potsdam
Der Fall sorgte für einen Eklat im Bauausschuss. Stadtplanungschef und
Vertreter von Schlösserstiftung und Landesdenkmalamt bezichtigten sich
öffentlich der Lüge. Die Stadtverordneten stimmten trotzdem zu. Auch sie
wollen mehrheitlich die Wohnungen. Bleiben die Fronten auch beim
Satzungsbeschluss für den Bebauungsplan verhärtet, muss am Ende die
Kulturministerin Martina Münch (SPD) den Streit entscheiden. Ungefährlich
ist das nicht: Die Welterbekommission Icomos ist schon auf den Fall
aufmerksam geworden.
Die Bevölkerungsprognose bringt auch die finanziell ambitionierte
Schulplanung der Stadt durcheinander. Ohnehin läuft derzeit ein
Neubauprogramm für eine Viertel Milliarde Euro. Wie die zuständige
Dezernentin Noosha Aubel vergangene Woche verkündete, wird das aber nicht
reichen. Fünf weitere Schulen besonders im schnell wachsenden Norden der
Stadt müssen her. Das könnte bis zu 85 Millionen Euro zusätzlich kosten.
Nun werden Standorte gesucht. Offenbar hat man im Rathaus dazugelernt: Die
letzten Neubauten plante man so spät, dass sie nicht rechtzeitig fertig
wurden und jahrelang provisorische Container genutzt werden mussten.
Mit langfristiger Planung könnte die Stadt Hängepartien wie derzeit im an
Berlin grenzenden Stadtteil Babelsberg vermeiden. Dort fehlt eine
Grundschule. Die Babelsberger hatten mehr Kinder bekommen als das Rathaus
erwartet hatte. Als einziges öffentliches Grundstück im Einzugsbereich der
Schule fiel die Wahl der Verwaltung auf einen Sportplatz. Die dort
trainierenden Fußballvereine sind alles andere als begeistert, dass ihnen
eine Ersatzfläche am Stadtrand angeboten wird.
Die Entscheidung wurde erst mal vertagt: Im Wahljahr wäre sie ein zu heißes
Eisen.
8 Feb 2018
## AUTOREN
Marco Zschieck
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