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# taz.de -- Kolumne Henningway: Die Stadt als Sportpark
> Kniebeugen in der Öffentlichkeit sind peinlich. Der Architekt Jan Giehl
> gestaltet Städte für Fußgänger, Radfahrer und Sporttreibende um.
Bild: „In Deutschland sehe ich keine Senioren in der Öffentlichkeit so selbs…
Meiner Familie ist es immer sehr peinlich, wenn ich in der Öffentlichkeit
meine Kniebeugen mache. In China, sage ich, machen das alle. Dort sind es
sogar vornehmlich die Alten, die aktiv sind: Gymnastik, Tanz oder Tai-Chi,
zu jeder Tageszeit und überall. Allein oder in der Gruppe stellen sie sich
und ihr Tun den (imaginären) Blicken der anderen aus, vor Wohnanlagen, in
Parks oder auf öffentlichen Plätzen.
Wie schön das aussieht, wie routiniert sie ihre Körper in Schwung bringen
und halten! In Deutschland sehe ich keine Senioren in der Öffentlichkeit so
selbstbewusst mit Grandezza turnen oder tanzen. Warum eigentlich nicht?
Wir denken unseren Sport in kulturellen Mustern und Konventionen. Wir
packen unsere Sporttasche, um zum Sport zu gehen, oder wir joggen durch den
Park. Das ist legitimiert. Doch geht einer zu Fuß quer durch die Stadt die
zehn Kilometer nach Hause, anstatt sich mit den anderen in die Öffentlichen
zu stopfen, dann wird er komisch angeguckt – ein irrer Stadtwanderer!
## Handlungsraum für Bewegung und Spiel
Ganz schön wirksam, diese Gewohnheitsmuster des Sports. Sie gilt es zu
durchschauen und durchbrechen! Räumliche Einladungen helfen dabei ungemein,
dass mehr Menschen über Schwellen zu einem anderen In-der-Stadt-Sein gehen.
Warum denken und entwickeln wir nicht gleich eine ganze Stadt als Sportpark
und schaffen somit einen neuen Handlungsraum für Bewegung und Spiel? Monte
Carlo rüstet sich für ein Autorennen einmal im Jahr zu einer Rennbahn um
und jede Großstadt trägt ihren Marathon aus.
Doch um diese sportliche Wandlung der Städte für ein paar Tage geht es mir
nicht: Hier soll die Rede von einer dauerhaften sportlichen Metamorphose
der Städte sein, die den Alltag der Menschen betrifft. Wie sähe diese Stadt
aus?
Der dänische Architekt und Städteplaner Jan Gehl sitzt seit den sechziger
Jahren an der Idee und der Umsetzung davon. Er nennt seine
Forschungsprojekte nicht Sportpark, meint jedoch dasselbe, wenn er Bücher
schreibt, die programmatisch „Städte für Menschen“ oder „Leben zwischen
Häusern“ heißen.
## Ein besserer Ort für Fußgänger und Radfahrer
Unter anderen war er federführend daran beteiligt, Kopenhagen und Melbourne
zu den lebens- und liebenswertesten Großstädten dieser Welt umzugestalten.
Es geht ihm und seinem Team immer um die gleiche Ausgangsfrage: Wie kann
aus jedweder Stadt ein besserer Ort für Fußgänger und Radfahrer werden, und
wie können dadurch Städte lebenswerter werden?
Der menschliche Maßstab ist sein stadtplanerischer Maßstab – verrückt
genug, dass das gesagt werden muss –, und so argumentiert er folgerichtig
mit der menschlichen Schrittgeschwindigkeit von 5km/h gegen Verkehrsplanung
rund ums Auto, die die Menschen von den Straßen verscheucht. Wie werden,
fragt er, „die Menschen in Bewegung gesetzt?“ Etwa durch Fahrradachsen,
welche die Peripherie mit dem Zentrum verbinden; oder durch Gehwege, die
Orte und Parks verknüpfen. Das setzt die Stadt in Richtung Zukunft in
Bewegung.
Im prosaischen Jetzt wandern wir auf Bürgersteigen, die im Nichts enden,
oder radeln schüchtern auf Autostraßen in die Peripherie der Städte.
Respektive wir gehen oder fahren wohl eher in die umgekehrte Richtung, aus
der Peripherie ins unbezahlbare Museum der Innenstadt hinein.
Ich denke dabei an selbstbewusste chinesische Senioren, die noch in jeder
Stadtwüste nonchalant ihre Körper schwingen. Und denke an Jan Gehls Bücher,
die den Kopf öffnen und, ja, definitiv nicht jedes Stadtproblem lösen
können. Aber eigentlich frage ich mich, warum der 81-jährige Gehl, der
wirklich auf der ganzen Welt aktiv war und ist, noch nie in Deutschland
mitgemischt hat?
14 Feb 2018
## AUTOREN
Henning Harnisch
## TAGS
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Geist
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Stadtentwicklung Hamburg
Architektur
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