# taz.de -- Kolumne Henningway: Palermo statt Pisa | |
> Seit Jahren nehmen deutsche Schüler*innen international am | |
> Schulleistungswettbewerb teil. Sport, Musik und Kunst sind aber auch | |
> wichtig. | |
Bild: Naturwissenschaften einmal anders, nicht an Pisa orientiert: Kinder einer… | |
Das Leben besteht aus Missverständnissen und relativen Wahrheiten. Ich bin | |
immer davon ausgegangen, dass die Pisa-Studie so heißt, weil der Ort Pisa | |
in Norditalien Namenspate für die Genese der Idee eines internationalen | |
Bildungsvergleichs gewesen ist. Das hätte gut gepasst: das wohlgeordnete, | |
rationalen Gesetzen folgende norditalienische Pisa (okay, der schiefe Turm) | |
als Pate eines speziellen Leistungssports in der Bildung. | |
PISA ist vielmehr das Kürzel für „Programme for International Student | |
Assessment“ und bewertet als Pisa-Studie international Schülerleistungen in | |
den Naturwissenschaften, der Mathematik und im Lesen. Es geht hierbei, so | |
heißt es, nicht um stumpfes Abfragen von Wissen, sondern um die jeweiligen | |
Fähigkeiten und Fertigkeiten und um das Verständnis davon. | |
Was auch immer das in der konkreten Umsetzung in China (hohes Ranking), | |
Brasilien (niedriges Ranking) oder in Deutschland (wird besser!) heißt, ein | |
sehr wirkungsmächtiges Narrativ für Schülerbildung ist da ins Leben gerufen | |
worden. Als ob es um Goldmedaillen ginge, wird seit dem Jahr 2000 eifrig | |
skaliert, dokumentiert und verglichen. | |
## Me-Myself-and-I | |
Ganz in diesem Sinne können wir in Zukunft noch zielstrebiger | |
Unternehmensgesetze des Controllings wie Netze über unser Tun und das | |
unserer Kinder werfen und uns noch gewissenhafter in der Praxis des | |
Me-Myself-and-I üben. Wie wäre es aber, wenn wir uns stattdessen etwas | |
mehr auf das Miteinander, auf die Gelassenheit und die Haltung | |
konzentrieren würden? Wie messen wir Kompetenzen in diesen „Fächern“? Und | |
wie skalieren wir Kategorien wie Zufriedenheit oder gar das Glücklichsein? | |
Kompetenzen kommen ins Spiel, wenn jemand etwas draufhat. Im Spielsport | |
erwirbt man Fähigkeiten und Fertigkeiten, die es gilt, im Spiel | |
einzusetzen. Idealerweise merkt einer recht schnell, wie schön und | |
attraktiv es ist, ein Spiel ein wenig mehr zu können und mit erhobenen | |
Haupt einen Extrapass zu spielen. Und lernt freiwillig weiter, um die | |
Feinheiten des Spiels kennenzulernen. Welch unfassbarer Wert entsteht da | |
eigentlich in diesem Prozess! Für den Einzelnen und das Miteinander. Im | |
Spiel und darüber hinaus. | |
Eines der Zentren Süditaliens, des Mezzogiorno, ist die sizilianische Stadt | |
Palermo. Ein lebendiger wie romantischer Ort ist das, ein wenig chaotisch | |
und laut geht es dort zu. Genau da würde ich symbolisch all das verorten | |
wollen, was die Pisa-Studie nicht erfasst: das Spiel, den Spaß, die | |
Kreativität und die Leichtigkeit. Hier sind die Spieler zu Hause, so wie | |
die Musiker, die Tänzer, die Schauspieler und die Künstler. | |
## Sport, Musik und Kunst | |
Was würde eine Palermo-Studie untersuchen? Wofür könnte das Kürzel PALERMO | |
stehen? Das noch zu entdeckende PALERMO lädt die Bildungsinstitutionen | |
sowie die internationalen Leuchttürme des Sports, der Musik und der Kunst | |
dazu ein, einen offenen und offensiven Dialog genau darüber zu führen. | |
Was tun Orte der Kultur in ihrer Stadt oder Region dafür, dass die | |
Schulfächer Sport, Musik und Kunst mehr Raum und mehr gesellschaftliche | |
Anerkennung bekommen? Und wie verbinden und verbünden sich die Bildungsorte | |
mit den Profisportvereinen, Theatern, Opern und Museen und ihren | |
jeweiligen Genrepartnern? | |
Im Augenblick sind alle noch recht ungeübt im strategischen Miteinander. | |
Jeder verteidigt das eigene Wenige im Wettbewerb um staatliche Brotkrümel, | |
statt gemeinsam Lobbyismus für PALERMO zu betreiben, für die Werte von | |
Sport, Musik und Kunst. Eine Palermo-Studie stünde der Welt sehr gut zu | |
Gesicht. | |
14 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Henning Harnisch | |
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