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# taz.de -- Kolumne Henningway: Ich pfeife, also bin ich
> Im Spiel soll Fluss entstehen. Das ist die Hauptaufgabe eines
> Schiedsrichters. Christoph Schröder hat ein schönes Buch darüber
> geschrieben.
Bild: Basketball-Bundesliga: Alba Berlin spielt in der Fraport Arena in Frankfu…
Ich pfeife. Also bin ich.
Ich pfeife. Ich schreibe diesen sehr kurzen Satz und gucke ihn mir von
allen Seiten an. Ich pfeife. Wie klingt das denn? Aktiv klingt es. Und
manch einer sieht mich nun zwitschernd, eine Melodie auf den Lippen, durch
die Welt laufen. Das meine ich aber nicht. Ich pfeife, also bin ich, darum
geht es. Ich bin Schiedsrichter.
Mehrmals im Jahr packe ich morgens meine Pfeife und mache mich auf den Weg,
in einer Schulturnhalle ein Turnier der Grundschulliga zu pfeifen. Das
macht Spaß, wirklich! Mal gibt es ein Foul oder einen Schrittfehler zu
pfeifen, ganz viel lasse ich durchgehen, quatsche mit Spielern, Lehrern und
Trainern und sehe die Kernaufgabe meines Tuns darin, dass sich ein Fluss im
Spiel entwickelt und alle etwas davon haben. Am Ende klatschen wir uns ab.
## Welt aus Regeln, Macht und Autorität
Ich bin über eine Schwelle gegangen. Wer Schiedsrichter werden will, muss
über viele dieser (kulturellen) Schwellen gehen. Immer tiefer hinein in
eine Welt aus Regeln, Macht und Autorität. So dachte ich. Wer fühlt sich
davon angezogen? Fragte ich mich. Eine Welt aus Grautönen. Es fängt schon
mit dem Wort Schiedsrichter an. Manch Begriffe kriegt man nicht mehr
neutralisiert oder gar ins positive gedreht.
Ich bin einer von den Menschen, der etwas und die Ausmaße davon erst dann
richtig realisiert, wenn er es selber tut. Was wusste ich denn schon von
Schiedsrichtern? Bis dato nicht viel. Wo kaufen die ihre Pfeifen? Warum
geht es da modisch so zu? Und warum sind sie, je höher sie pfeifen, so
ultra slimfit wie moderne Manager und ziehen schweigend ihre Rollköfferchen
samt Geheimauftrag durch die Gegend? Seitdem ich selber pfeife, ist mir
einiges klar geworden. Und seitdem ich ein bestimmtes Buch gelesen habe
ebenso.
„Ich pfeife!“, so heißt zu Recht mit Ausrufezeichen der Titel eines Buches
von Christoph Schröder. Der Autor, Literaturkritiker von Beruf, pfeift seit
Jahrzehnten Fußballspiele im hessischen Amateurbereich. Schröder ist im
Gegensatz zu mir ein echter Schiedsrichter, über alle Schwellen ist er
gegangen, ausgebildet und lizensiert vom Verband. Er gibt der Tätigkeit mit
Pfeife eine subjektive Stimme mit phänomenologischer Substanz.
## „Verliebt in ungewöhnliche Sportplätze“
Er schreibt darüber, wie er Schiedsrichter geworden ist, wie er sich auf
Spiele vorbereitet (ausgetüftelte Rituale!), was er im Laufe seiner
Karriere auf den Plätzen und drumherum so alles erleben durfte. Und er
schreibt wie unterschiedlich doch Fußballplätze sein können und was das für
ihn bedeutet: „Ich bin verliebt in ungewöhnliche Sportplätze. In ihre Lage,
in die Art und Weise, wie sie in, neben, an oder über einen Dorf plaziert
sind, in die Kuriosität ihrer Beschaffenheit, in die Eigenheit ihrer
Spieloberflächen, in die Besonderheit ihrer Ausmaße, in die Art und Weise,
wie sie in die Umgebung hineingesetzt sind.“
Dies ist ein wunderbares Buch, weil es vieler solcher Stellen gibt, weil es
klug und humorvoll geschrieben ist, und weil man durch die Lektüre eine
Menge über ein Thema lernen kann, das literarisch bisher eher im Abseits
stand.
Schiedsrichter sind die Hüter der Regeln. Doch sind sie nicht in Wahrheit
die edlen Hüter des Spiels? Achten sie nicht darauf, dass es läuft, dass es
alles so läuft, wie das Spiel es haben will? Geschätzt nullkommaeins
Prozent der Schiedsrichter ist in einer anderen Welt unterwegs: eine Welt
der Extreme und des Profisports, inklusive der Rollköfferchen. Um die geht
es nicht. Es geht um die, die Spiele jenseits der großen Bühne leiten. Sie
sollen sich unbedingt angesprochen fühlen, wenn ich sage: Ihr lieben
Pfeifen, wir brauchen unbedingt ein neues Wort für das, was ihr da
löblicherweise im Sinne der Gesellschaft tut.
17 May 2018
## AUTOREN
Henning Harnisch
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Henning Harnisch
Schiedsrichter
Henning Harnisch
Henning Harnisch
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Henning Harnisch
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