# taz.de -- Bäume pflanzen nach dem Syrienkrieg: Wasserversorgung als Druckmit… | |
> Der Krieg hat in Syrien auch die Natur zerstört. Junge Leute pflanzen im | |
> Norden nun Bäume – aber die Türkei kontrolliert das Wasser. | |
Bild: Einheimische und Freiwillige ackern vor der zivilen Akademie in Rojava | |
CARUDI taz | So weit das Auge reicht, erstrecken sich Weizenfelder im | |
Umland von Derik, einer Kleinstadt im äußersten Nordosten Syriens. Für | |
einige Monate im Jahr färben sie sich goldgelb, die meiste Zeit aber liegt | |
die Erde brach da, braun bis zum Horizont. Die Landbevölkerung Rojavas, wie | |
der Norden Syriens von der mehrheitlich kurdischen Bevölkerung genannt | |
wird, lebt vom Weizen. Früher war die Region die Kornkammer Syriens, dafür | |
wurde Wald gerodet und der Gemüseanbau untersagt. Die Menschen von Rojava | |
haben den IS aus dem Norden Syriens vertrieben, jetzt stehen sie vor den | |
Schäden, die jahrzehntelange Diktatur und jahrelanger Krieg verursacht | |
haben. | |
Weizenmonokulturen haben den Wald verschluckt und die Wasserreserven | |
aufgezehrt. Wegen des verunreinigten Wassers leiden gerade Kinder oft unter | |
Durchfall. Die für die Bevölkerung Rojavas so wichtige Landwirtschaft | |
leidet unter der Trockenheit. Nun soll es bald wieder Wald geben, Rojava | |
soll wieder grün werden – das hat sich ein Zusammenschluss von Linken aus | |
verschiedenen Ländern vorgenommen. In diesem Jahr wollen sie, gemeinsam mit | |
den Selbstverwaltungsorganisationen vor Ort, unter dem Slogan „Make Rojava | |
Green Again“ 50.000 Stecklinge hochziehen und damit Stadt und Land | |
aufforsten, etwa mit Feigen- Pfirsich- und Granatapfelbäumen. | |
Östlich von Derik baut die Internationalistische Kommune von Rojava nahe | |
der türkisch-syrischen Grenze seit einigen Monaten eine zivile Akademie | |
auf, momentan stehen vor allem Rohbauten. 2012 jagte die Bevölkerung | |
Rojavas erst das Assad-Regime davon und befreite dann immer größere Gebiete | |
von der Besetzung durch Daesh, wie der IS hier heißt. | |
Seitdem zieht es Linke, Abenteurer und Journalist*innen in die Region, sie | |
fasziniert der Aufbau von basisdemokratischen Strukturen und Kooperativen. | |
Nicht wenige der Besucher sind in Rojava geblieben. Alessandra ist eine von | |
ihnen. Die junge Italienerin hat vor eineinhalb Jahren extra ihr | |
Biologiestudium in Mailand geschmissen. „Der Aufbau von basisdemokratischen | |
Kommunen und Räten inmitten des Krieges hat mich und viele andere | |
fasziniert, deshalb sind wir hier. Wir wollen die Debatten um | |
internationale Solidarität praktisch werden lassen“, sagt Alessandra, die | |
seit einigen Monaten beim Aufbau der Akademie hilft. Sie wollte selbst mit | |
anpacken. | |
Die Akademie soll Menschen wie Alessandra Sprache, Kultur und Geschichte | |
der Region verständlich machen. Und ihnen das ideologische Grundgerüst der | |
kurdischen Freiheitsbewegung erklären, das auf der Emanzipation von Frauen | |
und auf basisdemokratischer Selbstverwaltung von Stadtteilen, Straßenzügen | |
und Dörfern basiert, die hier Kommunen genannt werden. | |
## Staudämme lassen Flüsse austrocknen | |
„Als wir hier ankamen und die brennenden Müllberge und die Ölseen gesehen | |
haben, wussten wir, was zu tun ist“, sagt Alessandra. „Neben der ständigen | |
militärischen Bedrohung durch Dschihadisten und Erdoğan ist die zerstörte | |
Natur hier eines der größten Probleme.“ Hinter dem Rohbau der Akademie | |
werden in einer Baumschule Tausende Stecklinge hochgezogen und später zum | |
Selbstkostenpreis verkauft. Und das ist nur der erste Schritt. Während des | |
Mittagessens wird im Küchenzelt vor der Baustelle der Akademie auch über | |
Recyclingmethoden, Solarkraft und Kompostierung diskutiert. Letztlich gehe | |
es darum, erklärt Alessandra, dass die Kommunen eine ökologische Energie- | |
und Lebensmittelversorgung, sowie ein funktionierendes Abfallsystem | |
aufbauen. | |
Wie sehr die ökologischen Probleme von Rojava mit politischen | |
Auseinandersetzungen zusammenhängen, wird beim Thema Wasser deutlich: Die | |
Bauern in der Region waren seit jeher auf das Wasser aus den Flüssen | |
angewiesen, die aus dem Norden, aus der Türkei, in Richtung Rojava fließen. | |
Doch seit die AKP-Regierung riesige Staudammprojekte wie das in Hasankeyf | |
vorantreibt, sind nicht wenige Flüsse ausgetrocknet. | |
Eigentlich ist in Verträgen zwischen der syrischen Regierung in Damaskus | |
und dem türkischen Staat geregelt, wie viel Wasser abgezwackt werden darf – | |
doch seit der Revolution in Rojava ist das hinfällig, heißt es seitens der | |
Kantonverwaltung in Cizîrê. Der türkische Staat benutze die | |
Wasserversorgung als Druckmittel gegen die demokratische Bewegung in | |
Rojava. In den vergangenen Jahren ist der Wasserpegel des Euphrat in der | |
Region Kobane um mehrere Meter gesunken. Weil infolge des Klimawandels im | |
Winter immer öfter der Regen ausbleibt und die Temperaturen im Sommer auf | |
über 50 Grad klettern, werden immer mehr Landstriche zu Steppen und Wüsten. | |
Am Ortsrand von Carudi, einem kleinen Dorf in der Nähe der | |
Internationalistischen Akademie, ragen Tausende Baumstümpfe aus der Erde. | |
Auch hier hat das syrische Regime in den Jahren vor der Revolution | |
systematisch den Wald roden lassen. Südlich von Carudi hat das Komitee für | |
Naturschutz des Kantons Cizîrê, des westlichsten der sechs Kantone Rojavas, | |
an einem See ein Naturschutzgebiet ausgewiesen. Auch hier will die | |
Internationalistische Kommune die Wiederaufforstung unterstützen. | |
Alle paar Wochen kommt Alessandra nach Carudi, bereitet die Aufforstung vor | |
und kommt mit den Leuten ins Gespräch. Bis vor wenigen Jahren gehörte dem | |
Muxtar das Dorf. So nennt man hier die Großgrundbesitzer, die oft mit dem | |
Assad-Regime zusammenarbeiteten oder eingesetzt wurden. „Er hat immer | |
gesagt, dass ihm die Felder, die Steine und auch die Luft gehören“, | |
erinnert sich Berfin, eine ältere Frau aus dem Dorf. Verkauften die | |
Dorfbewohner etwas – Holz oder Lebensmittel etwa –, mussten sie einen Teil | |
des Gewinns an den Muxtar abgeben. Die Wasserquelle im Dorf habe er für | |
seine private Baumwollplantage genutzt, weswegen ein Teil der Bäume am | |
Ortsrand vertrocknet sei. | |
## Verpestung durch Luftangriffe | |
Als die Bevölkerung Nordsyriens im Juni 2012 aufbegehrte und die Autonomie | |
ausrief, begannen die Menschen in Carudi, die Anweisungen des Muxtar zu | |
ignorieren, und kollektivierten Nutztiere und Äcker. „Jahrzehntelang hat | |
das Regime von Damaskus aus Misstrauen unter den Leuten gesät“, erklärt | |
Berfin und schenkt den Gästen Tee ein. „Jetzt versuchen wir, wieder ein | |
gemeinschaftliches Leben aufzubauen, in dem die Menschen zusammenhalten, | |
auch hier im Dorf.“ Seit der Revolution baue man gemeinsam Gemüse an und | |
ziehe Kühe groß. | |
Carudi ist ein idyllischer Ort. Die Zerstörung scheint hier weit entfernt | |
zu sein – doch in den Köpfen der Menschen ist der Krieg allgegenwärtig. | |
Sechs junge Leute aus Carudi sind im Kampf gegen Daesh getötet worden. Der | |
Krieg hat Menschenleben gekostet und auch große Teile der Natur Syriens | |
schwer belastet. „Kriegsschäden werden in Toten, Verwundeten oder | |
zerstörten Gebäuden gemessen“, sagt Alessandra, „über die zerstörte Nat… | |
wird meistens nichts berichtet.“ | |
Um Luftangriffe zu behindern zündet der IS auf seinem Rückzug Ölfelder an, | |
der Rauch enthielt Schwefeldioxid, Stickstoffoxide und Kohlenmonoxid. Hinzu | |
kommen krebserregende Schwermetalle wie Cadmium, Chrom und Blei. Auch die | |
Luftschläge der von den USA geführten Anti-IS-Allianz führen zur | |
Verpestung ganzer Landstriche, sagt man hier. Laut Presseberichten setzten | |
die USA etwa in Mossul weißen Phosphor ein. | |
Alessandra wird wütend: „Politiker aus aller Welt diskutieren seit Jahren, | |
wie man mit Syrien verfahren soll“, sagt sie. „Eine Lösung finden sie | |
nicht.“ Dann muss sie schmunzeln: „Die sollen lieber mal hierherkommen und | |
mit uns Bäume pflanzen.“ | |
6 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Anselm Schindler | |
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