| # taz.de -- Die Leiterin des Magie-Museums im Interview: „Ich glaube an magis… | |
| > Auguste Gischler lebt seit 20 Jahren in Berlin. Sie war Tänzerin im | |
| > Friedrichstadt-Palast und auf dem Traumschiff und gründete das Magische | |
| > Museum in Mitte. | |
| Bild: Auguste Gischler in ihrem Museum in Berlin-Mitte | |
| Frau Gischler, Sie betreiben seit drei Jahren ein magisches Museum. Ich | |
| hatte ehrlich gesagt eine etwas esoterischere Person erwartet. | |
| Mit wehenden Haaren und langen Gewändern? | |
| So in der Art, ja. | |
| Tatsächlich kommen viele Besucher und fragen, ob ich heilen kann oder | |
| Karten lesen. Aber so bin ich gar nicht. Ich bin niemand, der auf die Suche | |
| geht. Ich bin eher Beobachterin und nehme die Dinge, die kommen. | |
| Glauben Sie denn tatsächlich an Magie? | |
| Ja, und ich glaube, dass sie gar nicht so etwas Großes ist, sondern ganz | |
| nah an unserem Leben. Zum Beispiel glaube ich an etwas, das man magische | |
| Zufälle nennen könnte. So bin ich auch nach Berlin gekommen. Eigentlich | |
| wären wir gar nicht hier … | |
| Erzählen Sie! | |
| Mein Mann und ich hatten in den Niederlanden eine Tanzcompany, mit der | |
| alles ganz plötzlich zu Ende gegangen ist. Ich war 28 Jahre alt und wir | |
| standen vor dem Nichts, auf der Straße. Aber wir hatten noch einen | |
| Tanzauftrag in Köln. Und dann hat mein Mann gesagt: Ach komm, wir besuchen | |
| Berlin – ich war damals noch nie in Berlin gewesen. Wir sind dann auch zum | |
| Friedrichstadt-Palast und wollten schauen, ob es da eine Show gibt. Gab es | |
| aber nicht, und da sind wir zum Hintereingang und haben einen Mann gefragt, | |
| wieso es denn keine Show gebe, wir seien Tänzer und extra gekommen. Aber | |
| unser Deutsch war so schlecht, er hat wohl nur Tänzer verstanden und gleich | |
| den Direktor gerufen: Hey, hier sind zwei, die wollen vortanzen. Und dann | |
| sagte der: Ach, kommt mal morgen zum Training. | |
| Und dann? | |
| Am nächsten Tag 10 Uhr haben wir vorgetanzt und beide einen Vertrag | |
| bekommen. | |
| Warum sind Sie Tänzerin geworden? | |
| Mein Vater ist immer so viel gereist, das wollte ich auch. Und was macht | |
| man da? Einen reichen Mann heiraten oder Artistin werden, habe ich gedacht. | |
| Und dann kam wieder ein Zufall: Eine Schulfreundin von mir wollte unbedingt | |
| zum Tanzunterricht, aber ihre Mutter konnte sie nicht immer fahren. Also | |
| hat sie meine Mutter gefragt, ob ich nicht auch Lust hätte und sie sich die | |
| Fahrten aufteilen könnten. Irgendwann kam einer von der Balletthochschule | |
| und hat gefragt, ob ich dort vortanzen möchte. Da war ich elf. | |
| Das war also eine ganz klassische Tanzausbildung? | |
| Ja, klassisches Ballett. Ich habe anschließend auch in einer klassischen | |
| Company getanzt. | |
| Der Friedrichstadtpalast ist dann aber schon etwas anderes … | |
| Ich bin mit achtzehn zu der klassischen Company gegangen, und das war alles | |
| so streng: So und so müssen du und dein Tanz aussehen. Für mich hatte das | |
| eine negative Atmosphäre. Ich war dann bei einer Freundin, die Jazz getanzt | |
| hat, und dachte: Wow, das ist doch was, das ist Tanz! So bin ich schon in | |
| den Niederlanden zum Showtanz gekommen. Wir haben dann viel auf Galashows, | |
| mit Akrobaten und Musikern gearbeitet, sind um die ganze Welt gereist. Ich | |
| fand das toll. Aber das war dann schon Entertainment, klar. | |
| Der Beruf der Tänzerin ist verknüpft mit dem Wissen, dass man das nicht | |
| ewig machen kann. | |
| Genau so kam es zu dem Museum. Den Plan haben wir schon seit 20 Jahren. Das | |
| war unsere Idee für den Ausstieg. | |
| Und was ist die Idee des Museums? | |
| Das ist kein Museum zum Stillsitzen und Herumstehen. Hier gibt es Dinge zum | |
| Anfassen und zum Mitmachen. Spiele, kleine Zaubereien. Und alle zeigen: Es | |
| gibt nicht nur das Rationale. Es gibt immer wieder Dinge, die sich nicht so | |
| leicht erklären lassen. Eins und eins ist manchmal nicht einfach zwei. | |
| Was war Ihre erste Berührung mit Magie? | |
| Meine Großmutter kam aus Afrika. Sie ist mit zwölf Jahren allein in die | |
| Niederlande gekommen zu einer Tante und hat die afrikanische Magie | |
| mitgebracht. Sie ist zur Wahrsagerin gegangen, hat an Vorhersagen geglaubt, | |
| auch im Leben meines Vaters spielte das eine Rolle. Der Vater meiner Mutter | |
| war Hausarzt, und wenn jemand mit einer Warze zu ihm kam, dann hat er | |
| gesagt: „Geh zu dieser Frau, die bespricht das und dann geht die weg.“ Ich | |
| bin aufgewachsen in einem alten Haus voll mit skurrilen Sachen von meiner | |
| Großmutter, die magische Kräfte haben sollen. Und mit Geschichten über | |
| Dinge, die man nicht endgültig erklären kann. | |
| Erzählen Sie mir eine. | |
| Mein Vater war im zweiten Weltkrieg in der Schweiz gelandet und hatte dort | |
| einen Mann kennengelernt, der Hypnose konnte. Der hat die deutschen | |
| Soldaten hypnotisiert und so sie beide gerettet. Mein Vater hat ihn dann | |
| gefragt, warum er denn nicht auch Hitler hypnotisiere, wenn er das doch so | |
| gut könne. Und da hat der Mann geantwortet: „Der hat die gleichen Kräfte | |
| wie ich.“ Ja, das war eine der Geschichten, mit denen ich groß geworden | |
| bin. | |
| Das heißt, Magie spielte in Ihrer Familie eine große Rolle. | |
| Nicht so, wie das heute bei manchen esoterischen Menschen der Fall ist. Wir | |
| hatten viel Familie und Freunde in der ganzen Welt: Indonesien, Libanon, | |
| mein Vater war auch viel in Indien unterwegs. Und alle brachten ihre Magie | |
| mit. Wenn mal wieder Menschen zu Besuch waren und meine Mutter nicht mehr | |
| wusste, ob sie jetzt nach muslimischen, jüdischen, hinduistischen oder | |
| anderen Regeln kochen sollte, dann hat sie einfach gesagt: Da ist die | |
| Küche, kocht euch, was ihr dürft. Es gab ein großes Nebeneinander, eine | |
| Selbstverständlichkeit, dass es viele Glauben gibt und die alle gut sind. | |
| Das ist hier in Deutschland nicht immer der Fall. Und auch in Sachen Magie | |
| sind viele Deutsche, na sagen wir mal: nüchterner. | |
| Die Niederländer im Grunde auch. Wir hatten mehr Kolonien und daher | |
| Einflüsse von Indonesien, Südamerika, die etwas vom alten Glauben | |
| zurückgebracht haben. Aber in ganz Europa ist durch die Zeit der | |
| Hexenverbrennung viel Magie für immer ausgelöscht worden. | |
| Nehmen Sie Anteil an den aktuellen politischen Veränderungen in | |
| Deutschland? | |
| Ich beobachte die Veränderungen in Europa, in der ganzen Welt. In Amerika | |
| habe ich das am massivsten erlebt. Da haben manche Weiße mich angeschaut | |
| und gesagt: Was willst du mit dem schwarzen Mann? Und es gab Schwarze, die | |
| haben meinen Mann angeschaut und gesagt: Was willst du mit der weißen Frau? | |
| Erst als sie hörten, dass wir aus Europa kommen, war die Akzeptanz da. Dass | |
| man sich überhaupt irgendwo zuordnen muss, zu einem Glauben, einer | |
| Hautfarbe oder was weiß ich – das ist doch Blödsinn. Ich hoffe, dass das | |
| nie jemand von meinen Kindern verlangt. Am Ende ist das auch die Idee von | |
| dem Museum hier. Wir zeigen, was es alles gibt auf der Welt. Als ein | |
| Nebeneinander, ohne Wertung. | |
| Erleben Sie denn hier magische Momente? | |
| Hier sitzen schnell verschiedene Menschen an einem Tisch: Einer aus | |
| Deutschland und aus Israel, aus dem Libanon, ein paar aus Indien und jemand | |
| aus Italien. Und alle haben gespielt, die Rätsel gelöst und am Ende | |
| zusammen gelacht. Die Schulkinder, die herkommen, erzählen, woran sie | |
| glauben und welche Feiern sie machen und dass sie immer Engel sehen, die | |
| sie aber nicht anfassen können. Und alle finden das normal. | |
| Ein bisschen wie bei Ihnen früher zu Hause. | |
| Ja, vielleicht. Ach, da fällt mir noch was ein: Es waren einmal zwei Brüder | |
| da, der eine 12, der andere 17 Jahre alt. Ich habe so ein Spiel, einen | |
| Trick. Da kann man sehen, welche Farbe jemand in eine Kiste getan hat, man | |
| merkt das am Gewicht. Das ist aber ganz minimal, man muss den Trick kennen | |
| und die Kiste auf den Tisch legen. Ich mache das also mit dem einen Jungen | |
| und sage zu ihm: Ich schaue dir in die Augen und sehe, welche Farbe du | |
| ausgewählt hast. Und da sagt er: Ach, das kann ich auch. Er macht das dann | |
| mit seinem Bruder und die legen die Kiste nicht einmal auf den Tisch. Das | |
| kann also gar nicht gehen. Aber er hat zwanzigmal die Farbe richtig | |
| geraten. Da haben wir alle, auch die Eltern, gestaunt. | |
| Wenn Sie eine Entscheidung treffen müssen, pendeln Sie das dann aus oder | |
| legen sich die Karten? | |
| Ich glaube, das kann für Menschen gut sein, die vor einer schweren | |
| Entscheidung stehen. Das kann ein Ausweg sein. Das ist ja auch das, was | |
| Magie ausmacht: dass immer wieder etwas passiert, das du nicht vorhersehen | |
| kannst – auch wenn du denkst, du bist nur geboren worden, um arbeitslos zu | |
| sein. Plötzlich kommt einer vorbei und sagt, wir brauchen dich. Ich wünsche | |
| mir, dass die Menschen den Glauben daran ins Leben mitnehmen. Aber ich | |
| denke auch, wenn du das gerade nicht dringend brauchst, dann brauchst du | |
| nicht zu pendeln. Wir hatten mal eine Zauberin hier und ich habe sie | |
| gefragt, ob sie hier regelmäßig zaubern will. Sie meinte, sie müsse erst | |
| das Pendel fragen. Und ich dachte: Hä?! Du musst deine Entscheidungen | |
| treffen und sie auch verantworten. Da darf man meiner Meinung nach nicht zu | |
| viel auf ein Pendel geben. | |
| Spielt Magie auch beim Tanzen eine Rolle? | |
| Ich habe an der Universität der Künste unterrichtet und meinen Studenten | |
| immer mitgegeben, dass Tanzen nicht allein die Technik ist. Um etwas | |
| wirklich zum Leben zu erwecken, braucht es die Atmosphäre, die Energie, die | |
| Magie. Wenn du jeden Tag auf Spitzenschuhen tanzt, denkst du irgendwann, es | |
| geht nicht mehr. Doch dann fängt die Musik an, die Zuschauer sind da, der | |
| Vorhang geht auf und es passiert etwas, das man nicht erklären kann. Den | |
| Schmerz spürst du erst hinterher wieder. | |
| Sie sind viel gereist, kommen aus einem anderen Land, sprechen vor allem | |
| Englisch, haben Wurzeln in wieder anderen Ländern, Ihr Mann ja auch … | |
| Er ist in Südamerika aufgewachsen, in Surinam. | |
| … jetzt leben Sie in Berlin. Bleibt die Frage: Wo sind Sie zu Hause? | |
| Überall. | |
| Tatsächlich? Sehen Sie sich gar nicht als Berlinerin? | |
| Nun hat uns ja der Zufall hierhergebracht, wir wohnen hier, haben hier | |
| getanzt, unsere Kinder gehen hier zur Schule. Berlin ist eine besondere | |
| Stadt und ich bin froh, hier zu sein. Aber wenn uns der Zufall an einen | |
| anderen Platz trägt, dann ist das auch in Ordnung. | |
| 2 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Manuela Heim | |
| ## TAGS | |
| Lesestück Interview | |
| Museum | |
| Tanz | |
| Zauberer | |
| Zukunft | |
| Berlingespräch | |
| Mode | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Deutsche Meisterschaft der Zauberkunst: „Zauberer wollen Staunmomente“ | |
| Die Zauberkünstler Daniel Mayer und Toby Rudolph über jahrelanges Üben, die | |
| Kunst des Gedankenlesens und den Mangel an Zauberkünstlerinnen. | |
| Essay: Vom Nutzen der Wahrsagerei: Was kommt? | |
| Manchmal liegen alle Prognosen daneben. Etwa, als niemand kommen sah, wer | |
| Hamburgs Bürgermeister wird. In solchen Fällen wäre ein Blick in die | |
| Zukunft praktisch. | |
| Barbara John über Migration: „Die Integrationspolitik war töricht“ | |
| Sie war die erste Integrationsbeauftragte Berlins. In ihrer CDU wurde sie | |
| als „Türken-Bärbel“ belächelt, Flüchtlinge nannten sie „große Schwes… | |
| Gespräch mit einem Modedesigner: „Meine Anzüge sind sehr Berlin-typisch“ | |
| Aus abgelegter Arbeitskleidung macht Daniel Kroh tragbare Stadtmode oder | |
| Bühnenkostüme. Seine nachhaltige Arbeitsweise sieht er auch als politisches | |
| Statement. |