| # taz.de -- Ulli Lust über ihren neuen Comic: „Da schlägt das Patriarchat z… | |
| > „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“ – Comicautorin Ulli Lust | |
| > über autobiografisches Erzählen, junge Frauen, Liebe und kulturelle | |
| > Differenz. | |
| Bild: Szene aus dem besprochenen Band „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu… | |
| taz am wochenende: Woher kam Ihr Wunsch, nach „Heute ist der letzte Tag vom | |
| Rest deines Lebens“ einen weiteren autobiografischen Comic zu | |
| veröffentlichen? | |
| Ulli Lust: Das war eine ganz pragmatische Entscheidung. Ich hatte diese | |
| Geschichte zur Hand. Ich habe lange überlegt, ob ich sie machen sollte, | |
| aber mein Mann hat mir heftig zugesprochen, und so habe ich sie gemacht. | |
| (lacht) | |
| Hatten Sie nach dem großen künstlerischen und kommerziellen Erfolg von | |
| „Heute ist der letzte Tag“ nicht Sorge, mit dem neuen Band unter dem zuvor | |
| erreichten Niveau zu bleiben? | |
| Wenn ein Buch so erfolgreich ist, dann liegt beim nächsten die Messlatte | |
| sehr hoch, das ist klar. Aber das ist ein Luxusproblem. Vor „Wie ich | |
| versuchte, ein guter Mensch zu sein“ habe ich einen historischen Roman, die | |
| „Flughunde“ von Marcel Beyer, als Comic adaptiert. Das war etwas völlig | |
| anderes, und so konnte ich mit gutem Gefühl zur Autobiografie zurückkehren. | |
| Eine Autobiografie suggeriert ja immer Authentizität. Aber wer über sich | |
| schreibt, konstruiert sich dabei auch selbst. Wie ist denn nun Ihr | |
| Verhältnis zu der Comic-Figur Ulli? | |
| Dass ich aus meinem eigenen Leben schöpfe, empfinde ich zunächst einmal als | |
| Vorteil. Da kann ich in die Vollen gehen; wäre jemand anderer die | |
| Hauptfigur, müsste ich auf dessen Intimsphäre Rücksicht nehmen. Davon | |
| abgesehen: Jedes Werk, das auf dem eigenen Leben beruht, ist nie dieses | |
| Leben selbst. Es ist sozusagen ein „Leben 2.0“. Es ist eine Inszenierung, | |
| die sehr stark auf einer Auswahl bestimmter herausragender Momente beruht. | |
| Im wirklichen Leben bin ich zu der Zeit von „Wie ich versuchte, ein guter | |
| Mensch zu sein“ viel mehr am Zeichentisch und mit meiner künstlerischen | |
| Ausbildung beschäftigt gewesen, als dies im Comic zu sehen ist. | |
| Wenn man die 17-jährige Ulli aus „Heute ist der letzte Tag“ mit der | |
| 22-jährigen Ulli aus dem aktuellen Band vergleicht, dann sind das zwei | |
| recht unterschiedliche junge Frauen. Eines verbindet sie aber: Sie lassen | |
| sich mit Männern ein, von denen sie nichts Gutes zu erwarten haben. | |
| Ja, da schlägt in beiden Fällen das Patriarchat zu. (lacht) Die Missachtung | |
| meiner Autonomiewünsche – das ist in der Tat eine Kontinuität. Wobei es mit | |
| Kimata eigentlich erst ab unserer Hochzeit schlimm geworden ist; ab diesem | |
| Zeitpunkt glaubte er, über mich bestimmen zu können. | |
| Das Scheitern der Beziehung beruht nicht nur auf Charakterunterschieden, | |
| sondern auf einer kulturellen Differenz, die Sie auch zeichnerisch recht | |
| scharf herausarbeiten, etwa wenn Sie das Gesicht des wütenden Kimata wie | |
| eine bedrohliche afrikanische Maske erscheinen lassen. Das hat Ihnen den | |
| Vorwurf eingebracht, sich unfreiwillig rassistischen Stereotypen | |
| anzunähern. | |
| Ich habe versucht, so differenziert wie möglich zu erzählen, weil ich mir | |
| wohl bewusst war, dass dieser Vorwurf kommen könnte. In zeichnerischer | |
| Hinsicht behandle ich zudem alle Figuren gleich. Wenn ich starke Emotionen | |
| darstellen will, übertreibe ich gern etwas. Das will ich nicht nur | |
| realistisch abbilden, egal um welche Figur es sich handelt, egal ob sie | |
| weiß oder schwarz ist. | |
| Sie arbeiten in „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“ mit einer | |
| strengen Seitenaufteilung, fügen oft aber auch ganzseitige Bilder ein. | |
| Diese Bilder haben unterschiedliche Funktionen. Es gibt stille Bilder, etwa | |
| von Landschaften, die dem Leser während einer so langen Geschichte | |
| erlauben, etwas Atem zu schöpfen. Manche Bilder sollen primär eine Stimmung | |
| vermitteln; da ist es weniger wichtig, was sie abbilden, als das, was sie | |
| im Betrachter auslösen. Schließlich gibt es die Bilder, die etwas | |
| Dramatisches, Besonderes hervorheben wollen, das ist bei den ganzseitigen | |
| Sexszenen der Fall. | |
| Diese Szenen sind sehr viel expliziter als in „Heute ist der letzte Tag“. | |
| Sie scheinen keine Scheu davor zu haben, die Grenze zum Pornografischen zu | |
| überschreiten? | |
| Als sehr junge Frau hatte ich romantische Vorstellungen, aber noch keinen | |
| besonderen Spaß an Sex. Mit Anfang 20 war das anders geworden. Daher wollte | |
| ich in diesem Comic eine sexuell freudig aktive Frau zeigen. | |
| Würde es Sie einmal reizen, einen ausschließlich pornografischen Comic zu | |
| zeichnen? | |
| In den „Spring Poems“ habe ich das vor Jahren ja schon gemacht. Aber das | |
| waren kleinformatige, dünne Hefte. Einen umfangreichen pornografischen | |
| Comic würde ich, so gerne ich das Sujet mag, nicht zeichnen wollen. In | |
| längeren Geschichten sind mir psychologische Zusammenhänge wichtig, für die | |
| es in der reinen Pornografie keinen Platz gibt. | |
| Wird Ihr nächster Comic wieder autobiografischer Natur sein? | |
| Viele Leser wünschen sich tatsächlich, noch mehr aus meinem Leben zu | |
| erfahren. Ich hätte sogar Stoff für einen weiteren Band, aber auf den muss | |
| ich verzichten, weil ich eben nicht in die Privatsphäre bestimmter Personen | |
| eingreifen kann. Auf jeden Fall werde ich dem Dokumentarischen weiter treu | |
| bleiben – das interessiert mich einfach mehr als die reine Fiktion. | |
| 10 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Christoph Haas | |
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