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# taz.de -- Montagsinterview Comiczeichnerin Ulli Lust: „Ich fühle mich wohl…
> Ulli Lust spricht über ihre Wiener Punkvergangenheit, Frauen in der
> Comicszene und überrascht damit, dass sie die Mütter vom Prenzlauer Berg
> in Schutz nimmt.
Bild: Die Comic-Zeichnerin Ulli Lust
taz: Frau Lust, im Arbeitszimmer einer Comiczeichnerin haben wir ein
großzügiges Zeichenbrett erwartet – stattdessen sitzen wir an einem
gewöhnlichen Küchentisch. Machen wir uns ein falsches Bild von Ihrem
Arbeitsalltag?
Ulli Lust: Ich zeichne auf Papier, das nicht sehr groß ist, die Arbeit soll
am Ende ja als Buch gedruckt werden und nicht in der Galerie hängen. Bücher
wiederum sollen an die Größe der menschlichen Hand angepasst sein. Mein
typischer Tag verläuft so: Ich schlafe lang, das ist der Vorzug des
Prekariats. Um 11, 12 fange ich an zu arbeiten. Vormittags ist der Strich
am konzentriertesten, ideal für Reinzeichnungen. Um vier oder fünf ein
Nickerchen, bisschen Yoga, essen, spazieren gehen. Am Abend mache ich
Vorzeichnungen mit Bleistift, die ich am nächsten Tag am Leuchttisch auf
Papier durchpause.
Hört sich etwas eintönig an.
Ideal ist ein Tag, an dem ich nicht reden muss, es kann schon mal
vorkommen, dass ich zwei Tage keine E-Mails lese. Zum Glück habe ich kaum
Jobs, wo es auf eine schnelle Antwort ankommt. Ich konzentriere mich
zunehmend auf längere Arbeiten: Momentan sitze ich an einem Buch, für das
ich zwei Jahre brauchen werde.
Macht Ihnen die Einsamkeit nichts aus?
Im Gegenteil, ich bin sehr gern allein. Ich habe mir diesen Beruf
ausgesucht, weil man introvertiert arbeiten kann. Die Vorstellungskraft
funktioniert besser, wenn ich nicht kommuniziere. Manchmal fahre ich aufs
Land und spreche eine Woche mit niemandem. Dann fällt es mir viel leichter,
Dinge zu visualisieren. Und Visualisierung ist ja die Hauptaufgabe, noch
vor dem Zeichnen.
Sie sind bekannt für genau beobachtete Alltagsszenen – dient Ihr täglicher
Spaziergang der Materialsammlung?
Ja, das Schweigen geht beim Spazierengehen mit einem gewissen Voyeurismus
einher. Ich sage nichts und höre umso genauer zu, was andere reden.
Aufmerksamkeit für das Alltagsgeschehen ist die Basis meiner Arbeit.
Besonders aufmerksam betrachten Sie den Helmholtzplatz, an dem Sie seit
1997 wohnen und dem Sie die Langzeitstudie „Berlin Helmholtzplatz 1998 +
2004“ widmeten. Wie sehen Sie die Veränderung?
Ich wohne seit einigen Jahren in einer sanierten Wohnung und habe großen
Gefallen an der Zentralheizung gefunden. Den sanierten Häusern fehlen die
Lebensspuren, aber ich bin zuversichtlich, dass sich bald wieder welche
einstellen. Zum Zeichnen suche ich ohnehin keine malerischen Motive. Ich
möchte Alltägliches, etwas, das einem so gewöhnlich scheint, dass man es
gar nicht mehr sieht, auf dem Blatt in ein magisches Objekt zu verwandeln.
Die drei alten Damen, die auf einem Bild über die Straße laufen, wirken wie
aus einer anderen Zeit – gibt es die hier noch?
Tatsächlich sieht man kaum noch alte Menschen hier. Ich hatte mal Besuch
von Freunden aus Wien, die nach einem Spaziergang fragten: Wo habt ihr eure
ganzen Alten versteckt? Ich glaube, die sind alle in der Herbstlaube – ein
Seniorentreff in der Dunckerstraße, wo ich früher gewohnt habe. Die haben
immer gekichert im Garten. Und ich habe mich beschwert, wenn sie Lärm
gemacht haben (lacht).
Der Helmholtzplatz gilt vielen als Paradebeispiel von Gentrifizierung. Was
sagen Sie dazu?
Wandel ruft immer Kritik hervor. Tatsache ist aber auch, dass sich viele
ostdeutsche Städte diese Art von Gentrifizierung wünschen würden. Ich kann
mir schlimmere Arten von Transformation vorstellen, als die, die hier
passiert ist. Ich war vorher in einer anderen Wohnung, als die saniert
wurde, bekam ich eine zugeteilt, die genauso billig ist. Das war gut
abgefedert, es gab Bürgerämter, die die Interessen der Bewohner vertraten.
Allerdings muss man sehen, dass viele der politischen Instrumente, die
diese gute Abfederung gewährleistet haben, mittlerweile abgebaut sind.
Prenzlauer Berg ist kein Sanierungsgebiet mehr und auch das
Quartiersmanagement gibt es nicht mehr. Wir werden sehen, wohin sich der
Bezirk entwickelt. Nebenbei bemerkt: Diese Polemik gegen die Mütter vom
Prenzlauer Berg finde ich ganz untergriffig!
Sie meinen die Mediendebatte, in der die „Latte-macchiato-Mütter“ vom
Prenzlauer Berg wegen ihres konservativen Lebensmodells kritisiert werden?
Mich erschreckt, wie derzeit auf diese Mütter eingeprügelt wird. Klar sind
manche vielleicht etwas naiv. Aber Kinder großzuziehen ist eine wahnsinnige
Arbeit. Und über Mütter herzuziehen ist nun wirklich das Leichteste auf der
Welt. Ich will die Mütter hier mal in Schutz nehmen. Als sich
herausgestellt hat, dass zu viele Schulen abgewickelt worden sind, haben
nicht alle nur geheult, sondern alternative Schulen gegründet. Also, die
schlechtesten jungen Menschen sind das nicht.
Aber Sie machen sich auch ein bisschen lustig in Ihren Comics. Ein Kind
sagt: „Ach nö, Mama, nicht schon wieder ins Café!
Manchmal muss ich lachen, da haben sie sich super liberale Lebensläufe
zurechtgelegt. Und da stehen sie dann und müssen autoritär mit ihren
Kindern schimpfen. Aber so zu tun, als wären das alles verwöhnte
Yuppie-Mütter, die ihre Lords in 1.000-Euro-Buggys spazieren führen, das
ist doch sehr verkürzt.
Sie haben mit Anfang 40 einen 25-jährigen Sohn. In Ihrem Kiez sieht man
viele Frauen Ihres Alters mit Zweijährigen an der Hand. Was empfinden Sie
da?
Sie tun mir ein bisschen leid. Sie haben noch diese zwanzig Jahre Arbeit
vor sich: Es ist natürlich schön, Kinder zu haben. Aber auch eine
anstrengende, undankbare Arbeit ohne Erfolgsgarantie. Ich selbst war eine
Wochenendmutter, mein Sohn hat immer nur in den Ferien bei mir gewohnt. Ich
ziehe den Hut vor allen Vollzeitmüttern und -vätern.
Wir entdeckten in Ihren Bildern eine gewisse Boshaftigkeit. Entlarven Sie
die Leute oder entlarven die sich selbst?
Ich hoffe, eine gewisse Menschenzugeneigtheit zu besitzen, auf der ich
aufbauen und auch mal böse sein kann. Ich zeichne gerade eine Modekolumne,
in der ich Trends kommentiere. Da haben wir zum Beispiel diesen Mann …
… bei dem der Bauch unter dem modischen Shirt spannt …
… der fühlt sich toll, ist aber für sich schon Satire. Oder diese Frau, die
eine eigentlich ganz blöde Hose anhat, sich aber wahnsinnig schön und cool
fühlt. Beide sind nach der neuesten Mode gekleidet. Daneben eine stark
übergewichtige Frau mit einer Jacke, auf der steht: „Wild and Hot“. Die ist
allein schon ein Witz. In meiner Kolumne kann ich sie aber nicht zeigen,
weil die beiden Schönen daneben über sie ohnehin schon die Nase rümpfen.
Ich mache hier nur Witze über die Schönen.
Ihr Comic-Roman „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ handelt
viel von Ihnen selbst: Zwei minderjährige Wiener Punkerinnen, die ohne
einen Cent nach Italien durchbrennen. Eine davon waren Sie. Mit dem Buch
erlangten Sie internationale Bekanntheit, wie fühlt sich das an?
Wahnsinnig erleichternd. Ich habe mich erst spät dem Comic zugewandt, es
war mir nie klar, ob ich es hinkriegen würde, eine Existenzberechtigung als
Comiczeichnerin zu erlangen. Jetzt habe ich sie! Meine Arbeit ist nicht
mehr Selbstverwirklichung – ich habe das Gefühl, dass sie auch für andere
einen Nutzen hat.
Ihre Reiseerlebnisse sind sehr persönlich. Und teilweise drastisch:
Bedrohung, Drogen, Vergewaltigung … Wie waren die Reaktionen in Ihrem
Umfeld?
Erstaunlich positiv. Meine Eltern haben das Buch nicht gelesen, auf meine
Bitte hin. Ich habe ihnen die Stellen gezeigt, in denen sie selbst
vorkommen und erklärt, was drumherum passiert. Meine Mutter meinte dann:
„Ich habs einmal durchgemacht, das reicht. Ich muss das kein zweites Mal
lesen.“ Dann hat sie gelächelt, den Arm um meinen Sohn gelegt und gesagt:
„Es ist ja nochmal alles gut gegangen.“
Im Hauptteil der Geschichte, brennen Sie mit Ihrer Freundin über die grüne
Grenze nach Italien durch, Sie nehmen Drogen, geraten dann noch in die
Fänge der Mafia.
Meine Mutter weiß, dass ich viel Blödsinn gemacht habe. Aber das sind
Sachen, die man über seine Tochter nicht lesen will. Mein Sohn hat das Buch
gelesen und fand es cool. Er ist auch bei meinen Eltern aufgewachsen, in
einem kleinen Dorf. Für ein Kind ist das gesund, es gibt einen stabilen
Rahmen. Aber als Jugendlichem hat es ihm gefallen, eine solche Mutter zu
haben. Die ausgebrochen ist.
Wie war es eigentlich, sich mit Anfang Vierzig ins eigene 17-jährige Ich
zurückzuversetzen?
Wahnsinnig peinlich und unangenehm – für mich als Person. Aber für mich als
Autorin war es super. Das Allerpeinlichste, das sind die lustigsten
Geschichten: Haha, schaut mal, wie blöd ich war. Selbstironie ist gut für
den Tonfall. Zugleich aber, als ich die dramatischen Situationen zeichnete,
wurde mir umso klarer, in welcher Gefahr ich damals geschwebt bin. Als
17-Jährige habe ich die Gefahr bewusst gesucht – in der Pubertät ist man ja
von Natur aus eine Borderline-Persönlichkeit. Mich hat damals die pure
Abenteuerlust getrieben. Später dachte ich: Gott, das hätte so schiefgehen
können! Zum Glück war mein Sohn ganz vernünftig, an abhauen dachte er nie.
Können Sie sich im Nachhinein noch verstehen?
Ja und nein. Im Comic überwiegen die problematischen Szenen, was vor allem
eine dramaturgische Entscheidung war. Ich kann mich auch noch an
unglaubliche Freiheitsmomente erinnern. Auch das Dramatische hatte für mich
als 17-Jährige etwas Ekstatisches – es war ja erwartbar, dass Probleme
kommen werden. Wir hatten nie damit gerechnet, nur am Strand zu sitzen und
die Füße hochzulegen.
Sie haben Ihren bislang größten Erfolg als Comiczeichnerin mit dieser sehr
persönlichen, weiblichen Geschichte erzielt. Haben Sie Angst, dadurch in
der „Frauenecke“ zu landen?
In der Frauenecke fühle ich mich sehr wohl, ich lese gern über Frauen. Ich
will mehr und größere Frauenecken!
In der Comicszene sind Sie eine von wenigen Frauen. Wie fühlen Sie sich in
der Minderheit?
Ich habe mich als Jugendliche in der Punkszene bewegt und bin es gewohnt,
mit vielen Männern zu tun zu haben. Dass die Comicszene von Männern
dominiert wurde, lag an den vorrangigen Themen: Abenteuer, Superhelden,
Kämpfe und Gewalt. Die männlichen Kollegen haben uns Frauen jedenfalls mit
offenen Armen empfangen, wahrscheinlich war ihnen selbst schon langweilig.
Wir Autorinnen erweitern das inhaltliche Spektrum ganz enorm.
„Comics sind doch Kinderkram“: Haben Sie mit solchen Vorurteilen noch zu
kämpfen?
Es wird besser. Man muss bedenken, dass Comic ein relativ junges Medium
ist, knapp über 100 Jahre. Es ist eine noch jüngere Erscheinung, die
sequenzielle Bilderzählung für Inhalte zu nutzen, die man auch auf dem
„normalen Buchmarkt“ finden könnte. Wir befinden uns in einer Pionierphase
und ich profitiere davon. Man hat das Gefühl, zur kulturellen Entwicklung
beitragen zu können. Wenn es nur um Superhelden und harmloses Entertainment
ginge – also jene Themen, die laut Klischee besonders für den Comic
geeignet sind -, ich würde keine Comics machen.
A propos Kultur: Wie halten Sie es als Exilösterreicherin eigentlich mit
Ihrem Heimatland?
Abgesehen vom Essen vermisse ich nichts. Ich fühl mich hier
österreichischer, als ich mich in Österreich gefühlt habe. Weil man hier
immer erklären muss, dass man nicht böse und zynisch ist, sondern nur
witzig sein möchte. Die österreichische Art, über alles herzuziehen,
inklusive dieser kleinen masochistischen Anwandlungen, fällt mir hier erst
richtig auf.
Zurück wollten Sie nie?
Nein, ich fühle mich in Berlin sehr, sehr wohl. Ich bin richtig aufgelebt,
als ich mit 28 hierher kam. Eigentlich wollte ich nur ein halbes Jahr
bleiben, aber die Stadt hat mir so gutgetan, dass ich geblieben bin. Berlin
hat eine sehr anregende, aufgeschlossene Atmosphäre, seit der Große
Kurfürst die ganzen Ketzer und Revoluzzer hergebracht hat.
Und irgendwann werden Sie selbst eine alte Dame vom Helmholtzplatz.
Das fände ich super. Ich kann mir gut vorstellen, hier zu bleiben, ich mag
diese Ecke sehr. Wenn ich aus Wien komme, vom Bahnhof, und die Stargarder
Straße hochgehe, bin ich glücklich.
27 Sep 2010
## AUTOREN
Nina Apin
Kirsten Reinhardt
## TAGS
Ulli Lust
Autobiographischer Comic
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