| # taz.de -- Umstrittenes Projekt für Geflüchtete: Alleine in der Schule | |
| > In einer ehemaligen Schöneberger Schule werden fast ausschließlich | |
| > jugendliche Geflüchtete unterrichtet. Was bringt das? | |
| Bild: Nominativ, Akkusativ, Dativ: Deutschstunde in einer Profilklasse | |
| Normalerweise ist es nicht besonders schwierig, als Journalistin einen | |
| Termin zu bekommen, wenn man über ein Schulprojekt schreiben möchte. Für | |
| die ehemalige Teske-Schule in Schöneberg gilt das nicht. Dort werden seit | |
| Oktober 41 Jugendliche, die meisten von ihnen Flüchtlinge aus Syrien, dem | |
| Irak und Afghanistan, in sogenannten Profilklassen vor allem im Fach | |
| Deutsch unterrichtet. | |
| Das Projekt der Senatsbildungsverwaltung ist umstritten, Vokabeln wie | |
| „Separierung“ und „Sonderbeschulung für Geflüchtete“ gingen durch die | |
| Presse. Entsprechend vorsichtig ist man inzwischen geworden. „Was wollen | |
| Sie denn da sehen?“, fragt der zuständige Schulleiter der benachbarten | |
| Hugo-Gaudig-Schule im Dezember misstrauisch, als die taz anfragt. „Lassen | |
| Sie uns doch erst einmal anfangen.“ Man möge im Januar noch einmal | |
| vorsprechen. | |
| Ein Donnerstagmorgen, Anfang Januar. Draußen fliegen Krähen und | |
| Schneeflocken in einem schwarz-weißen Wirbel vor den hohen Altbaufenstern | |
| der ehemalige Teske-Schule, die jetzt offiziell Bildungszentrum heißt. | |
| Drinnen steht mit abwaschbarem Filzstift der Satz „Ich kaufe ein Kleid“ auf | |
| ein Whiteboard geschrieben. Selbst ein paar Wochen nach Schulstart hatten | |
| noch viele Möbel gefehlt, inzwischen sind die Klassenräume eingerichtet. | |
| „Wer kann ‚Ich‘ deklinieren? Hanin?“, ruft die Lehrerin eine schmale | |
| 15-Jährige in der zweiten Reihe auf. „Subjekt, Nominativ, erster Fall, | |
| Fragewort: Wer?“, spult die junge Syrerin ab. „Sehr gut, Hanin“, lobt | |
| Lehrerin Marlene Müller-Rytlewski. | |
| Immer wieder betont Müller-Rytlewski, wie motiviert Hanin und ihre zehn | |
| MitschülerInnen seien. Tatsächlich sind vor allem die Mädchen konzentriert | |
| bei der Sache. In einem schnellen Frage-Antwort-Pingpong mit ihrer Lehrerin | |
| deklinieren sie sich durch die deutsche Grammatik. Und Müller-Rytlewskis | |
| Kollege Winrich Widera sagt später im Lehrerzimmer: „Ich erlebe die | |
| Jugendlichen hier nicht als unglücklich.“ Beide sagen: Die kleinen | |
| Lerngruppen sind unser Vorteil, ein „Schutzraum“ für die SchülerInnen. | |
| ## Schutzraum – oder Isolation? | |
| Was die beiden Lehrkräfte „Schutzraum“ nennen, ist für andere der größte | |
| Haken an dem Projekt: Hier würden junge Geflüchtete „separiert“, hatte si… | |
| zuerst der Flüchtlingsrat Berlin im vergangenen Jahr geäußert, die | |
| Ehrenamtlichen-Initiative „Schöneberg hilft“ sekundierte mit | |
| „Sonderbeschulung für Geflüchtete“. | |
| Das pädagogische Konzept sei fragwürdig, kritisierte selbst die | |
| bildungspolitische Sprecherin der SPD, Maja Lasic, ihre Parteigenossin und | |
| Bildungssenatorin Sandra Scheeres. Die Grünen-Fraktion im Bezirk | |
| Tempelhof-Schöneberg nannte die Pläne einen „Bärendienst für die | |
| Flüchtlingsintegration“. Die Bildungsgewerkschaft GEW sah das ähnlich. | |
| Die Sprecherin von Senatorin Scheeres mühte sich hernach vergeblich, dem | |
| verkorksten Start noch einen positiven Spin zu geben, und erklärte geduldig | |
| das Konzept: Es gehe darum, kaum alphabetisierten 15- bis 17-Jährigen, für | |
| die der Schulabschluss am Ende der 10. Klasse an einer normalen Schule | |
| quasi keine Option ist, ein „gezieltes Angebot“ zu machen. Es gehe um | |
| verstärkten Unterricht vor allem in Deutsch, daneben auch in Mathe und | |
| Englisch. Es gehe um Berufsqualifizierung, dafür solle es Betriebspraktika | |
| geben und eine Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur. Ziel sei, dass die | |
| Jugendlichen doch noch zumindest den Hauptschulabschluss schaffen, der in | |
| Berlin Berufsbildungsreife heißt. | |
| Aber keiner hörte mehr so richtig zu. Die Wörter „Separierung“ und | |
| „Sonderbeschulung“ waren in der Welt. | |
| Dabei ist das Konzept hinter diesen „Profilklassen“ durchaus sinnvoll. | |
| Während in den regulären Willkommensklassen – so heißen die | |
| Deutsch-Lerngruppen an den normalen Schulen – das sehr unterschiedliche | |
| Sprachniveau der SchülerInnen oft ein Problem ist, weil sich Lehrkräfte | |
| überfordert fühlen, ist hier jede der vier Gruppen in etwa auf dem gleichen | |
| Lernlevel. „Wenn jemand Fortschritte macht, können wir ihn schnell in der | |
| nächsten Gruppe fördern“, sagt Widera. | |
| ## Irgendwo hinter dem Bahnhof Südkreuz | |
| Zwei der Lehrkräfte haben eine Zusatzausbildung für die kaum | |
| alphabetisierten SchülerInnen. Auch das ist nicht immer selbstverständlich | |
| in den regulären Willkommensklassen. Es gibt eine Schulsozialarbeiterin, | |
| die sogar eine volle Stelle hat – viele normale Schulen müssen mit einer | |
| halben Stelle für zehnmal so viele Kinder auskommen. | |
| Die Frage ist nur: Warum verlegt man dieses eigentlich sehr naheliegende | |
| Konzept der kleinen Klassen und der engen Betreuung ausgerechnet in eine | |
| leerstehende Schule, irgendwo hinter dem Bahnhof Südkreuz? | |
| Zwar war die Bildungsverwaltung stets bemüht, auf die vielen | |
| „Kooperationen“ hinzuweisen, die dem Bildungszentrum Leben einhauchen | |
| sollten. Keinesfalls, so hieß es, könne hier von Isolation die Rede sein. | |
| Tatsächlich ist das Schulgebäude, ein riesiger Altbau, aber auch knapp vier | |
| Monate nach Schulstart vor allem eins: leer. Mit der bezirklichen | |
| Musikschule, die das Gebäude mit nutzt, arbeitet man noch nicht zusammen. | |
| Die Volkshochschule zieht erst Anfang Februar ein und wird mit dem | |
| Schulbetrieb nichts zu tun haben. Immerhin: Zweimal in der Woche tingeln | |
| die Jugendlichen zum Unterricht in einem Wahlfach in die nahe | |
| Gaudig-Schule, ab dem nächsten Halbjahr sollen die versprochenen | |
| Betriebspraktika starten. Die Ehrenamtlichen von „Schöneberg hilft“ geben | |
| nachmittags Nachhilfe. | |
| Dennoch ist die Frage der Kritiker berechtigt, wie sinnhaft es ist, fernab | |
| von einer Schulnormalität die Jugendlichen in genau diese reintegrieren zu | |
| wollen. | |
| ## Kaum Anfragen für die Profilklassen | |
| Das sehen offenbar auch viele SchulleiterInnen so: Der Schulaufsicht im | |
| Bezirk, der sie KandidatInnen für die Profilklassen melden können, lägen | |
| kaum Anfragen vor, heißt es auf Nachfrage aus der Senatsbildungsverwaltung. | |
| Überhaupt hätte es für den Projektstart im Oktober nur 50 Anmeldungen | |
| gegeben. | |
| Angedacht war das Projekt ursprünglich für rund 100 SchülerInnen, zehn | |
| Klassenräume sind fertig eingerichtet. Deshalb hat man wohl am Ende auch | |
| SchülerInnen wie Hanin aufgenommen, deren Deutschniveau beeindruckend ist, | |
| bei der man sich aber erst recht fragen muss: Was machen Jugendliche wie | |
| sie hier? | |
| Eine Arbeitsgruppe, der unter anderem die Grünen-Abgeordnete Stefanie | |
| Remlinger angehört, arbeitet derzeit an einem Pilotprojekt für | |
| Praxislerngruppen, das an etwa zehn Schulen in der Stadt Deutschunterricht | |
| mit Betriebspraktika kombinieren will. Quasi das Teske-Konzept – aber | |
| ebendort, wo auch andere Jugendliche zur Schule gehen. 500.000 Euro sind | |
| dafür bereits im Haushalt eingestellt, das finanziere etwa 16 Lerngruppen, | |
| schätzt Remlinger. | |
| An der Teske-Schule, heißt es aus der Bildungsverwaltung, seien zunächst | |
| keine weiteren Lerngruppen geplant. In zwei Jahren will der Bezirk aus der | |
| einst wegen sinkender Schülerzahlen abgewickelten Schule wieder eine ganz | |
| normale Grundschule machen. Keine Experimente mehr. | |
| 24 Jan 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Klöpper | |
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