# taz.de -- Kommentar Verschleppter U-Bahn-Prozess: Köln ist das schlimmere Be… | |
> Neun Jahre hat es gedauert, bis ein Prozess zum Kölner U-Bahn-Baudesaster | |
> beginnen kann. Wie kann das sein? Es ist halt „typisch Köln“. | |
Bild: Köln ist so diffus, da versteckt sich selbst der Dom im Nebel | |
Ah, Sie denken, in Berlin regiert die Wurschtigkeit. [1][Da kennen Sie Köln | |
nicht]. Wie sonst ist zu verstehen, dass es neun Jahre dauerte, bis der | |
Prozess gegen die Verantwortlichen, die den Kölner U-Bahn-Bau zum Desaster | |
verkommen ließen, vor dem Kölner Landgericht beginnt? | |
Zur Erinnerung, weil es so lange her ist: 2009 stürzte das Kölner | |
Stadtarchiv ein beim Bau der daneben geplanten U-Bahn. Massiv waren | |
Messprotokolle der Schlitzwände gefälscht und für die Statik relevante | |
Eisenteile der sogenannten Bewehrungskörbe geklaut und verscherbelt worden. | |
Zwei Menschen wurden beim Einsturz in den Tod gerissen. | |
Immerhin, könnte man sagen, wird der Prozess endlich eröffnet. Nur, jetzt | |
hat man gerade mal ein Jahr Zeit, den Prozess zu Ende zu führen, denn 2019 | |
ist der Einsturz verjährt. | |
„Typisch Köln“, rufen die Leute. Erst ist man zu doof, eine U-Bahn zu | |
bauen, dann bekommt es die Staatsanwaltschaft zu lange nicht hin, ein | |
Gutachten in Auftrag zu geben, das aussagekräftig genug ist, um darauf | |
einen Prozess zu begründen. Und jetzt müsste alles sehr schnell gehen. Das | |
wird es vermutlich nicht. Und wenn es tatsächlich nichts wird, dann ist das | |
„typisch Köln“. | |
Wer sich fragt, was Typisch-Köln ist, dem sei gesagt, es ist wie | |
Typisch-Berlin, nur mit mehr Narzissmus und rührseliger Selbstverliebtheit. | |
## Stolz auf den Mist, den man baut | |
Berlin hat eine Dauerbaustelle anstelle eines Großflughafens, eine | |
Kanzler-U-Bahn ohne Anschluss, ein Kongress-Zentrum mit Asbest, einen | |
funktionierenden Flughafen (Tegel), dessen Betriebsgenehmigung widerrufen | |
ist, der aber läuft, weil die Rechtslage fröhlich gedehnt wird, ein | |
löchriges Gefängnis und ein schlechtes Gewissen ob all dieser Missstände. | |
Aber in Köln ist man noch stolz auf den Mist, den man baut, und verweist | |
dann gern auf die zweitausendjährige Geschichte der Stadt. Was so lange | |
funktioniert, muss gut sein. | |
Wenn in Köln über Projekte, die in den Sand gesetzt wurden, berichtet wird, | |
dann treibt das niemandem die Schamröte ins Gesicht, stattdessen erstellt | |
man ein Ranking. Die „Top Ten der verhunzten Projekte“ listete das | |
Boulevardblatt Express auf. Man hat nichts, aber darauf ist man stolz. Da | |
ist eine Feuerwache, die dreimal so viel kostet wie geplant – typisch Köln. | |
Da ist eine alte Mülldeponie, die vor Jahren als neuer Landeplatz für | |
Rettungshubschrauber ausgewählt wurde, nur dass der Berg mittlerweile droht | |
abzurutschen, weil die Statik nicht sorgfältig geprüft wurde – typisch | |
Köln. Die Renovierung des Kölner Schauspiels und der Oper wiederum musste | |
2015 drei Monate vor der Wiedereröffnung abgesagt werden. Über Monate waren | |
niemandem eklatante Baumängel aufgefallen – typisch Köln. Die Neueröffnung | |
ist momentan für 2023 geplant, die Kosten sind von 250 auf 570 Millionen | |
Euro gestiegen. | |
## Eine „neue Fehlerkultur“ | |
Die Aufzählung lässt sich beliebig verlängern. Eine „neue Fehlerkultur“ … | |
Kölns Verwaltung hatte Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker bei ihrer | |
Wahl 2015 versprochen. Viel ist davon bislang noch nicht zu spüren. Solange | |
die Politik den Unsinn der Verwaltung korrigieren muss, hat sie weniger | |
Zeit, konstruktiv in die Zukunft zu denken. | |
Noch ein Beispiel gewünscht? Als vor ein paar Wochen ein paar Kunsträume in | |
der Fußgängerpassage am Verkehrsknotenpunkt Ebertplatz aufgrund von | |
Marihuana-Dealern in rechten Medien zur „No-go-Zone“ erklärt wurde, nahm | |
Rekers Verwaltung diese Idee wörtlich: Kölns Stadtdirektor Stephan Keller | |
wollte die Passage zuschütten lassen. Nur dank beherzter Kölner | |
Lokalpolitiker wurde er gerade noch ausgebremst. | |
Bei den überwiegend ehrenamtlich tätigen Lokalpolitikern und | |
Bürgerinitiativen hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass ein „Weiter so!“ | |
schlecht für Köln ist. Die politisch Verantwortlichen müssen der Verwaltung | |
mehr auf die Finger schauen. Ein neues Tableau, auf dem sie das tun können, | |
gibt es schon: Die Verwaltung möchte gern eine weitere zentrale | |
U-Bahn-Linie bauen, die wenig positive Auswirkungen für die Fahrgäste hätte | |
und zudem sehr teuer wäre. Im Moment sieht es aber – oh Wunder – nicht so | |
aus, als würde sie dafür eine politische Mehrheit erhalten. | |
## Bloß keine Verantwortlichen benennen | |
Letztes Jahr hat der Rat der Stadt Köln sogar endlich beschlossen, seine | |
eigene Geschichte des Versagens aufzuarbeiten: den Kölner Messeskandal von | |
2003. Damals wurde entschieden, einen Teil der Kölner Messehallen vom | |
Immobilienfonds Oppenheim-Esch neu bauen zu lassen und für 30 Jahre | |
anzumieten, anstatt mit Kommunalkrediten selbst zu bauen. Für die Stadt | |
entstand ein Millionenschaden. Jetzt soll ein unabhängiger Gutachter im | |
Auftrag des Rats klären, wie es dazu kommen könnte. Beim im Herbst 2017 | |
veröffentlichten unabhängiges Gutachten über die [2][Pannen beim Opernbau] | |
war man dagegen noch nicht so weit. Da wurde noch darauf verzichtet, | |
Verantwortlichkeiten zu benennen. Die Stadtverwaltung wollte es nicht. | |
So schlecht das Image der Stadt in der Öffentlichkeit auch ist, so wenig | |
wirkt sich dies auf die Beliebtheit aus. Aktuellen Prognosen zufolge soll | |
Köln bis 2030 auf 1,2 Millionen Einwohner wachsen. Klar, man kann dort Geld | |
verdienen, selbst in der Medienbranche noch. Und: Köln eilt vor allem der | |
Ruf einer liberalen Großstadt voraus. Beim AfD-Bundesparteitag im April | |
2017 gingen 30.000 Menschen gegen die Rechtpopulisten auf die Straße, die | |
lokalen Willkommensinitiativen brachen auch durch die sexuellen Übergriffe | |
von Silvester 2015 nicht ein. | |
Vielleicht kommen die Neu-Kölner und -Kölnerinnen aber auch in der | |
Hoffnung, dass eine Stadt, deren Verwaltung sich selbst gegenüber gerne | |
nachsichtig ist, dies auch gegenüber ihren Bürgern sein wird. Sie werden | |
enttäuscht sein. Anstatt auf Kölns Beliebtheit mit adäquatem Wohnungsbau, | |
eventuell sogar mit der Erschließung eines neuen Stadtteils zu reagieren, | |
sinkt die Zahl der Baugenehmigungen. | |
## Bessere Verwaltung gesucht | |
Im Alltag dagegen macht die Verwaltung mit immer neuen Regelungen auf sich | |
aufmerksam: gegen Wildpinkeln, gegen Straßenmusik, mit einer | |
Graffiti-Taskforce und moralischen Appellen, doch ausgerechnet zum Karneval | |
nicht allzu ausgelassen zu feiern. Die Patrouillen des Ordnungsamts sollen | |
in Kürze mit Pfefferspraypistolen und Schlagstock bewaffnet werden. | |
Das ist kein Vertrauensbeweis gegenüber denen, die das Flair Kölns erst | |
produzieren: egal ob Theaterschauspieler und -spielerinnen oder Betreiber | |
einer Freenoise-Galerie, Blumenverkäuferinnen, Flaneure oder Kölschtrinker | |
mit Bierschnäuzer. Sie alle lieben ihre Stadt. Soviel Liebe hätte verdient, | |
besser verwaltet zu werden. | |
„Halt“, rufen jetzt die Schultheiss trinkenden Berlinerinnen und Berliner | |
etwas kleinlaut, „wir lieben unsere Stadt auch sehr“. – „Ach“, antwor… | |
selbstbewusst die Kölner, die mit Bierschaum um den Mund aussehen, als wäre | |
immer Karneval, „gut, dass es euch gibt. Deshalb haben wir unsere Ruhe.“ | |
15 Jan 2018 | |
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## AUTOREN | |
Christian Werthschulte | |
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