# taz.de -- Die Wahrheit: Wer Angst hat, läuft | |
> „Ich weiß, dass ich ein ängstlicher Beifahrer bin, doch gegen Freunde | |
> darf man kein Mitfahrverbot verhängen.“ Der Freund antwortete gnadenlos: | |
> „Doch.“ | |
Aribert fluchte. Auf Gott, auf die Welt, aber vor allem auf den Fahrer des | |
Autos vor uns. Wir befanden uns auf der schmalen Küstenstraße im Westen | |
Irlands, links ging es steil hinunter ins Meer. Aribert wollte mich zum | |
Bahnhof nach Galway fahren, wir hatten es nicht eilig. Dachte ich | |
jedenfalls. Aribert war anderer Meinung. | |
Der Wagen vor uns eierte ständig über den Mittelstreifen, doch Aribert | |
überholte ihn hupend an einer unübersichtlichen Stelle. Ich quiekte vor | |
Angst. Da tauchte schon das nächste lahme Auto vor uns auf. So ging das bis | |
Galway. Ich war fix und fertig. Aribert erklärte mir, dass er mich nie | |
wieder in seinem Auto mitnehmen würde. Ich weiß, dass ich ein ängstlicher | |
Beifahrer bin. Ich wandte ein, dass man gegen Freunde trotzdem kein | |
Mitfahrverbot verhänge, aber er antwortete gnadenlos: „Doch.“ | |
Seitdem muss ich mit dem Bus fahren, wenn ich zum Bahnhof nach Galway | |
möchte. Das ist bedauerlich, da es erstens so viel kostet wie ein | |
Charterflug nach Berlin, und zweitens sind die Bus- und Eisenbahnfahrpläne | |
nicht koordiniert, sodass man den Zug nach Dublin um wenige Minuten | |
verpasst und zwei Stunden auf den nächsten warten muss. | |
Hinzu kommt, dass die Webseite von „Bus Eireann“ zu dem Stümperhaftesten | |
gehört, was das Netz zu bieten hat. Wenn man die Anfangs- und | |
Endhaltestelle der Buslinie nicht weiß, ist man aufgeschmissen, | |
Zwischenstopps kennt die Seite nicht. So kann man auch keinen Fahrschein | |
online kaufen, wenn man nicht für die gesamte Strecke zahlen will. | |
Obendrein ist der Bus unzuverlässig. Manchmal kommt er gar nicht. Diesmal | |
habe ich Glück, er ist nur eine Viertelstunde verspätet, was bei der | |
Wartezeit in Galway zu verschmerzen ist. Ich setze mich in die erste Reihe | |
neben eine Frau, die den Busfahrer kennt und ständig mit ihm schnattert. | |
Ich weise sie auf das Schild hin, das es verbietet, unterwegs mit dem | |
Fahrer zu sprechen. „Ach was“, meint sie, „er kennt die Strecke doch im | |
Schlaf.“ | |
Die Zeitanzeige hinter dem Fahrersitz flackert wie das elektrische ewige | |
Licht, das in den Häusern älterer Iren brennt. Zudem zeigt die Uhr noch | |
Sommerzeit an. Das aber ist das geringste Problem. Jetzt kommt uns nämlich | |
ein anderer Bus entgegen. Den muss der Fahrer sehen, warum bremst er nicht | |
ab, die Straße ist für zwei Busse doch viel zu schmal! Schon schlagen die | |
Büsche an mein Fenster, ich schreie vor Schreck, aber wider Erwarten kommen | |
wir um Haaresbreite an dem anderen Bus vorbei. | |
Plötzlich zieht dichter Nebel auf. Ob er die Nebelscheinwerfer | |
eingeschaltet habe, frage ich den Busfahrer. Den Blick, den ich dafür | |
ernte, kenne ich: Es ist der gleiche, den Aribert mir zugeworfen hat, bevor | |
er mir die rote Karte zeigte. Ich beiße die Zähne zusammen und halte bis | |
Galway meinen Schnabel. | |
Vorgestern hat Aribert seinen 70. Geburtstag gefeiert, aber von Altersmilde | |
keine Spur. Ich solle mir zu meinem eine Monatskarte wünschen, höhnte er. | |
8 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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