# taz.de -- Der Berliner Wochenkommentar II: Gebt das Fahrn frei! | |
> Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes fordert, dass Schwarzfahren | |
> nicht mehr strafbar sein soll. | |
Bild: Noch muss dieser Apparat, so man fahren will, auch benutzt werden | |
Die von manchen Medien zur Staatsaffäre aufgebauschte Flucht einiger | |
Gefangener aus dem offenen Strafvollzug hatte auch ihr Gutes – zum Beispiel | |
diente sie dem Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes dazu, die | |
Öffentlichkeit an einige längst bekannte Tatsachen zu erinnern: dass dieser | |
offene Vollzug voll ist mit Schwarzfahrern, die nicht in der Lage oder | |
willens sind, die gegen sie verhängte Geldstrafe zu bezahlen. Dass die | |
Unterbringung dieser „Ersatzstrafer“ ganz schön teuer für die Allgemeinhe… | |
ist. Und dass die notorisch überlasteten Gerichte Besseres zu tun haben, | |
als Jahr für Jahr zigtausende Schwarzfahr-Fälle zu bearbeiten. | |
Jens Gnisa, der Richterbund-Vorsitzende, würde denn auch lieber die | |
sogenannte Leistungserschleichung aus dem Strafgesetzbuch streichen. Das | |
ist im Übrigen eine alte linke Forderung, und auch der grüne Justizsenator | |
Dirk Behrendt hat sie schon erhoben – zuletzt allerdings vor Antritt seines | |
aktuellen Amtes. Gegner dieser Haltung argumentieren, dass das Fahren ohne | |
Fahrschein damit zum Sonntagsspaziergang würde: Mit dem Straftatbestand | |
entfiele nämlich das sogenannte Jedermannsrecht, mutmaßliche | |
StraftäterInnen festzuhalten. Kontrolleure aber sind keine Polizisten – sie | |
müssten fortan jeden laufen lassen. | |
Wenn Gnisa nun sagt, die Verkehrsbetriebe müssten eben für bauliche | |
Zugangskontrollen zu ihren Anlagen sorgen, klingt das einerseits bestechend | |
logisch. Andererseits reicht schon ein flüchtiger Blick auf den Berliner | |
ÖPNV, um zu begreifen, dass das alles andere als einfach ist. Viele | |
zentrale U-Bahnhöfe sind so angelegt, dass eine Nachrüstung mit Barrieren, | |
wie man sie aus Paris oder London kennt, einen enormen Aufwand bedeuten | |
würde oder überhaupt nicht umsetzbar wäre. Was nicht heißt, dass man eine | |
solche Maßnahme nicht prüfen sollte. | |
Viel eleganter wäre dagegen die radikalste Lösung, die zusammen mit der | |
Piratenpartei leider wieder aus der Debatte verschwunden ist: der | |
fahrscheinlose Nahverkehr. Auch kein leichtes Unterfangen, schließlich | |
würde das die aktuellen Zuschüsse des Landes mehr als verdoppeln. Auf der | |
Habenseite stünden eine gesteigerte Attraktivität der städtischen | |
Infrastruktur, ein großer Schritt in Richtung Klimaneutralität, der Wegfall | |
umfangreicher Vertriebs- und Kontrollstrukturen, weniger Stress für die | |
Fahrgäste. Und leere Zellen in der JVA Plötzensee. | |
7 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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