# taz.de -- Ein transkontinentaler Markenstreit: And the Winner is… Steinway! | |
> Steinway heißen die berühmtesten Flügel der Welt. Ihre Geschichte ist die | |
> einer erfolgreichen Auswanderung: von Seesen im Harz über Braunschweig | |
> nach New York. | |
Bild: Instrument mit umkämpfter Geschichte: Ein Flügel von Grotrian-Steinweg … | |
BREMEN taz | Migration ist kein einseitiger Vorgang. Sie etabliert | |
Beziehungen über Grenzen und Ozeane hinweg, vom neuen ins alte Heimatland | |
und umgekehrt. Manche sind belastbar, manche labil – und andere einfach nur | |
lästig: Am 10. Januar 1975 verhandelt der U.S. Court of Appeals in letzter | |
Instanz über eine solche Beziehung. | |
Genau genommen geht es um einen transatlantischen Streit der damals bereits | |
seit über 100 Jahren mal lodert, mal schwelt. Es ist ein Streit in der | |
Klavierbranche, aber keiner nur „for music lovers“, stellt der Vorsitzende | |
Richter William H. Timbers [1][in seiner schriftlichen Ausführung des | |
Urteils fest]: „kein Fall für Musikliebhaber“. Und „statt der lieblichen | |
Klänge, die man von Konzertflügeln erwartet“ bringe er „die misstönenden | |
Noten einer Kakophonie“ hervor. Es geht um Marken- und Wettbewerbsrecht: | |
Das Berufungsgerichts befreit die damals noch familiär geprägte Steinway AG | |
von einer eher zähen Verbindung mit ihrem ehemaligen deutschen Partner. | |
Das Verfahren war der letzte Versuch des Braunschweiger | |
Familienunternehmens Grotrian-Steinweg, unter seinem eigenen Namen auch in | |
den Vereinigten Staaten Klaviere zu verkaufen. Das Berufungsgericht | |
bestätigte aber nur, dass die Niedersachsen dadurch die Rechte der lange | |
etablierten Marke Steinway & Sons verletzten – so wie das Bezirksgericht | |
New York-Südwest es 1973 erkannt hatte. Das hätte die Deutschen am liebsten | |
zu empfindlichen Geldstrafen [2][verdonnert]: Alle von Grotrian seit 1952 | |
auf dem US-Markt erzielten Profite wären abzuführen gewesen, plus | |
Schadenersatz in noch zu ermittelnder Höhe. | |
Dass Grotrian-Steinweg auf seinen Namen verzichten muss, könnte auf den | |
ersten Blick wie eine schrille Blüte des in Europa gern skeptisch beäugten | |
amerikanischen Justizsystems wirken. Das Gegenteil ist wahr: Das Gericht | |
hat die Folgen einer bizarren historischen deutschen Patent- und | |
Markenrechtsregelung korrigiert. | |
Zwar wird hier im 19. Jahrhundert die missbräuchliche Verwendung | |
inländischer Fabrikanten-Namen als Betrug bestraft; ungeschützt bleiben | |
jedoch Namen von im Ausland ansässigen Unternehmen – selbst wenn die | |
Inhaber aus dem Gebiet des Deutschen Zollvereins stammten: Dem | |
Harzstädtchen Seesen, wo der Tischler und Instrumentenbauer Heinrich | |
Engelhard Steinweg seine Werkstatt hatte und seine ersten Klaviere baute, | |
hat dessen Sohn William bei einem Besuch einen Kurpark spendiert. Der | |
dortige Oberamtsrichter nimmt am 9. September 1892 „1000 Mk for proposed | |
Park, 500 for Harzverein of Seesen, 1000 for Schönemark for the Poor of | |
Seesen“ entgegen, so [3][protokolliert] es Williams Tagebuch. | |
## In Seesen huldigt man der Familie mit einem Denkmal | |
Als ihm am 20. eine Harzdelegation in Berlin eine herrliche Urkunde | |
überreicht, die ihn zum Ehrenmitglied des Bürgervereins erklärt, gibt’s | |
noch mal 1.000 Nachschlag. In Seesen huldigt man der weltberühmten Familie | |
seither mit einem Denkmal, ein Café und ein Brauhaus haben sich nach ihr | |
benannt, das örtliche Museum zeigt ihren Werdegang. Ein Wanderweg führt die | |
rund 15 Kilometer vom Geburtsort Wolfshagen hierher, und eine eigene | |
Festhalle, wo der örtliche Steinway-Verein Konzerte veranstaltet, hat man | |
dort auch. | |
Die früheren Spuren in der Heimat fallen dürftig aus: In welchem Haus in | |
der Jacobsonstraße Steinweg 1836 sein erstes Klavier gezimmert hat – keine | |
Ahnung. Wahrscheinlich ist es abgerissen. Und selbstredend findet sich | |
keine Familiengrabstelle in Wolfshagen; keins von Heinrich Steinwegs elf | |
Geschwistern hat die Jugend im Armenhaus überlebt. Die Mutter war 1810 an | |
einer „Brustkrankheit“ gestorben, der Vater, ein verarmter Köhler, ist 1811 | |
wohl [4][verhungert], oder was das Kirchenbuch sonst mit dem Begriff | |
„Auszehrung“ meint. Solche Leute werden anonym bestattet. | |
Selten hat es wohl eine planvollere Emigration gegeben, als den Umzug von | |
Heinrich Engelhard Steinweg nebst Frau und Kindern nach Amerika: 1849 wird | |
Karl, der zweite Sohn vorgeschickt, soll die Lage in den Staaten sondieren | |
– und entkommt so zugleich dem Militärdienst. Ein Jahr später folgt die | |
übrige Familie – bis auf Theodor, den ältesten: Der übernimmt das | |
Stammwerk. | |
## Die neue Firmenzentrale entsteht in Braunschweig | |
Er vergrößert die Manufaktur, verlegt sie, um den Absatz zu erleichtern, | |
nach Wolfenbüttel. Dort tut er sich 1858 mit Friedrich Grotrian zusammen, | |
der mit fast 30 Jahren Klavierbau-Erfahrung aus Moskau zurück gekehrt ist. | |
Gemeinsam erwerben die zwei ein schickes Bürgerhaus in Braunschweig – die | |
neue Firmenzentrale. Als dann seine Brüder Heinrich und Karl im März 1865 | |
kurz hintereinander sterben, wird Theodor Steinweg in New York gebraucht. | |
Er verkauft seine Unternehmensanteile an Friedrich Grotrians Sohn, seinen | |
Kompagnon. | |
In den USA werden lange vor der Ankunft der Steinwegs andere Klaviere | |
gebaut als in Europa, bessere, robustere: Das Klima ist rauer, und es geht | |
nicht darum, irgendeinen Kleinpotentaten-Hof mit zarten Tönen zu bezirpen, | |
sondern dem Volk Musik zu bringen: Seit 1825 Jahren bosselt man dort | |
deshalb an der Entwicklung eines Metallrahmens rum, der die Stimmung auch | |
unter extremen Temperaturen hält und klanglich den entstehenden großen | |
Sälen gewachsen ist. | |
Die Konkurrenz ist groß: „Der Pianoforte-Fabriken und Magazine sind so | |
viele hier, dass jedes neue Etablissement, deren freilich immer wieder | |
auftauchen, einen schweren Stand hat“, schreibt die Niederrheinische | |
Musik-Zeitung über die amerikanischen Zustände. „Die meisten Fabricanten | |
sind Deutsche.“ Was ein Nachteil ist: „Many dealers are practicing a | |
stupenduous fraud by selling cheap German instruments“, warnen | |
zeitgenössische Experten. | |
## Markterkundung als Angestellte | |
Betrügerische billige, deutsche Instrumente aber: Damit wollten die | |
Steinwegs nicht in Verbindung gebracht werden. Also erkunden sie den Markt | |
ab 1850 zunächst als Angestellte bei den renommierten Klavierbauern der | |
Stadt, bei Bacon & Raven und vor allem bei Robert und William Nunn, die | |
1821 aus London gekommen waren. Nachdem sie 1824 ihr Geschäft eröffnet | |
hatten, schreibt Daniel Spillane in seiner „History of American Piano“ | |
(1890), „übertrafen sie sehr bald alle Klavierbauer New Yorks“. | |
Nach drei Jahren ist den Steinwegs klar, was sie erreichen wollen, und wie. | |
Sie kündigen und lassen ihren Namen anglisieren. Steinway & Sons, das | |
Unternehmen das bald schon eine Millionenschwere Aktiengesellschaft sein | |
wird (und heute einem Hedgefonds gehört), beginnt als süße kleine Family | |
Limited Partnership. Und rollt die Szene auf: 12 Klaviere im ersten Jahr | |
des Bestehens, 49 im zweiten und 112 im dritten; das 20.000 Instrument wird | |
1869 mit einer Parade gefeiert. | |
Den Laden der Nunn-Brüder übernehmen die Steinways 1854, er wird bald ums | |
Nachbarhaus erweitert, zwei Jahre später wird ein Umzug in die Mercer | |
Street nötig, 1860 lässt man gleich an der 4th Avenue die eigene Fabrik | |
errichten, die größte der Welt, mit vier Dampfmaschinen. Zehn Jahre später | |
legt man eine eigene Siedlung an, mit eigener Gießerei und Arbeiterhäusern | |
im Stadtteil Astoria, benannt nach Johann Jakob Astor aus Walldorf im | |
Schwarzwald, 1783 als Flötenbauer nach Amerika gekommen und als Pelzhändler | |
zeitweise reichster Mann der Welt. | |
## Die Weltausstellung 1867 bedeutet den Durchbruch | |
Spätestens die Weltausstellung 1867 in Paris bedeutet auch in Europa den | |
Durchbruch: Im akklamierten Zentrum der Zivilisation krönt eine Jury die | |
US-Grand Pianos zum Non Plus Ultra. Nur Chickering aus Boston scheint noch | |
annähernd in derselben Liga zu spielen, wie Steinway. Deren Klaviere | |
verbinden bereits damals einen Volleisenrahmen mit brandneuen Tools wie | |
einer Agraffen-Halterung der – für den besseren Klang – fächerförmig | |
angeordneten Saiten, spezialbefilzten Hämmerchen und einer neuen | |
spielfreudigen Patentmechanik zu einem völlig einzigartigen Soundsystem: | |
Der Prototyp des System Steinway, der erste moderne Konzertflügel. „The | |
piano is an american invention“, hat Henry Z. Steinway 1999 geschrieben, | |
das letzte Familienmitglied, das die Geschicke des Konzerns gelenkt hat. | |
Eine Provokation: Das erste Klavier gebaut hatte ja schließlich Bartolomeo | |
Cristofori 1716 in Padua. Aber hat es mit dem heutigen Instrument mehr | |
gemein, als der von Philipp Reis gebaut elektrische | |
Naturdarm-Fernsprechapparat mit dem iPhone 8? | |
Dessen Hersteller Apple aber ähnelt Steinway in manchem: „Die Vorherrschaft | |
von Steinway im 20. Jahrhundert“, schreibt Musikhistoriker Robert Winter, | |
„ist ebenso viel Produkt brillanter Werbung wie der technischen | |
Neuerungen.“ | |
Der Kampf auf diesem Feld wird nicht nur mit delirierenden | |
Advertisement-Postkarten, mit teuren Zeitungsanzeigen, mit | |
Star-Testimonials und bald auch mit Exklusivkontrakten vergleichbar den | |
Ausstatterverträgen heutiger SpitzensportlerInnen ausgetragen. Mitunter | |
gibt es Bestechungen, mitunter auch physische Gewalt. Mit dem Erfolg des | |
Produkts und mit dem Ruhm wächst auch die Aggressivität beim Schutz des | |
eigenen Namens: In den USA muss man sich einer ganzen Flut von Verkäufern | |
erwehren, die Billiginstrumente mit Fantasiebezeichnungen annoncieren: | |
Steinbach, Steinberg, Steinburg, Steinmann, Steinhaus, Steinwurst, fast | |
alle nur denkbaren Kombinationen mit „Stein-“ finden sich. Es ist nur | |
ärgerlich. | |
## Billiger Braunschweiger Steinweg | |
Und dann wird man vom deutschen Alleinimporteur Franz Schott aus Frankfurt | |
auch noch auf den alten Weggefährten hingewiesen: Wilhelm Grotrian hat im | |
Braunschweiger Handelsregister zusammen mit zwei Miteigentümern die von | |
Theo Steinway erworbene Firma als „Grotrian, Helfferich und Schulz C.F. Th. | |
Steinweg Nachfolger“ eintragen lassen. Kunden sollen bei Schott nachgefragt | |
haben, warum denn der Braunschweiger Steinweg nicht einmal ein Drittel von | |
dem kostet, was er für den amerikanischen Import verlangt. | |
William Steinway, der die Führung des florierenden Unternehmens übernommen | |
hat, schickt ihm einen geharnischten Brief als Anzeigenvorlage, der | |
klarstellt, dass die Braunschweiger Firma „durchaus Nichts mit uns zu thun“ | |
habe, ja das sie „nie in irgend einer Verbindung zu oder mit uns gestanden“ | |
habe. „Der Gebrauch unseres Namens und Firma (…) in Verbindung gebracht mit | |
dem Braunschweiger Fabrikat ist ohne jede Autorisation unsererseits“, | |
behauptet er – zu Unrecht: Als Theo das Geschäft verkaufte, erlaubte er | |
auch den Namen weiterzuführen. Und als er 1876 versucht einzuklagen, dass | |
diese Lizenz auf zehn Jahre hätte beschränkt sein sollen, will sich in | |
Braunschweig niemand so recht daran erinnern. | |
Dass Steinway 1880 in Hamburg eine Fabrik für den europäischen Markt | |
eröffnet, ist sicher kein sentimentaler Akt. Und womöglich liegt es auch | |
nicht nur daran, dass Deutschland damals ein ausgemachtes Hungerlohnland | |
ist und man als generöser Patron dasteht, wenn man den Holzarbeitern eine | |
61,5 Stunden-Woche bewilligt. | |
## Die Grotrians hadern weiter mit dem Namen | |
Der Gedanke, den Markenschutz dadurch zu erhöhen, dürfte eine Rolle | |
spielen. Denn die Grotrians hören nicht auf, mit ihrem Namen zu hadern. | |
1881 lehnt das Braunschweiger Amtsgericht einen Antrag ab, die örtliche | |
Firma in „Steinweg Nachf.“ umzubenennen, 1896 verliert sie einen | |
Markenrechtsprozess, nachdem sie sie ihre Instrumente einfach nur als | |
Steinweg-Klaviere verkauft hatten. | |
Ende des Ersten Weltkriegs ist der Status der Hamburger Dependance unklar, | |
die Braunschweiger nutzen die Gunst der Stunde, und so heißen sie 2018 seit | |
100 Jahren amtlich Grotrian-Steinweg. Die damalige Begründung: Auf Englisch | |
lasse sich Grotrian nicht aussprechen. Steinweg, klar, das ist viel | |
leichter. Davon profitiert seit vergangenem Jahr Tin Yin Terence Ng aus | |
Hongkong, alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer sowohl der | |
Verwaltungs- als auch der Piano Company: Nach sechs Generationen ist heute | |
die letzte Grotrian-Nachfahrin raus. | |
6 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://law.justia.com/cases/federal/appellate-courts/F2/523/1331/384374/ | |
[2] https://law.justia.com/cases/federal/district-courts/FSupp/365/707/1414392/ | |
[3] http://americanhistory.si.edu/steinwaydiary/diary/?entry=11918&search=s… | |
[4] https://de.wikisource.org/wiki/ADB:Steinweg,_Heinrich | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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