# taz.de -- Zeugenaussagen bei G20-Prozessen: „Besonderer Service“ für die… | |
> Zur Vorbereitung auf G20-Prozesse konnten Polizisten ihre jeweilige | |
> Zeugenaussage nachlesen. Anwälte sprechen von einem „Aussagekomplott“. | |
Bild: Wasserwerfer der Polizei sind bei einer G20-Demo in Hamburg im Einsatz | |
BERLIN taz | Ob ein Angeklagter verurteilt wird oder nicht, hängt meistens | |
an den Zeug*innen, die ihn belasten: Alles steht und fällt mit deren | |
Glaubwürdigkeit. Deshalb sollen sie möglichst unbeeinflusst schildern, was | |
sie erlebt haben – so sieht es die Strafprozessordnung vor. | |
Wenn sich Zeug*innen hingegen absprechen, um ihre Aussagen aufeinander | |
abzustimmen, wird es schwierig für das Gericht, die Wahrheit zu ermitteln. | |
So könnte es auf einem hessischen Kommissariat passiert sein. Ein Beamter | |
der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE), die beim G20-Gipfel in | |
Hamburg im Einsatz war, habe sich vor Gericht verplappert, berichten | |
Prozessbeobachter*innen. | |
Nach ihren Schilderungen habe der BFE-Beamte im Prozess gegen einen | |
russischen G20-Angeklagten gesagt, zur Vorbereitung auf den Termin in einen | |
Ordner geguckt zu haben, in dem alle Vernehmungsprotokolle, Zeugenaussagen, | |
Vorladungen und Anweisungen im Zusammenhang mit dem G20-Einsatz gesammelt | |
würden – einsehbar für alle Polizist*innen der Dienststelle. Der Ordner | |
befinde sich frei zugänglich in einem Schrank. | |
Ein zweiter Beamter der gleichen Einheit habe ausgesagt, dass er sich | |
zusätzlich einen eigenen Ordner angelegt habe. Darin sammele er Dokumente | |
wie die Gerichtsvorladung, den Kontakt zur Zeugenbetreuung und das | |
Protokoll seiner Vernehmung. Letztere habe er sich aus dem Ordner der | |
Dienststelle herauskopiert. Den Privatordner habe er unter seinen Kollegen | |
herumgereicht, ein weiterer Kollege habe noch sein Vernehmungsprotokoll | |
beigesteuert. | |
## Wie Widersprüche aufdecken? | |
Ein Gerichtssprecher bestätigte der taz die Angaben, allerdings mit einer | |
Einschränkung: Demnach existieren zwar beide Ordner, allerdings sei der | |
„Sachbearbeitungsordner“, der auf dem Kommissariat steht, nicht frei für | |
alle zugänglich. Nach Dienstvorschrift habe nur der Chef Zugang und lasse | |
die Beamt*innen in Einzelfällen an den Ordner, damit sie ihre eigene | |
Zeugenaussage noch mal lesen könnten, bevor sie vor Gericht aussagten. | |
Allein, dass die Polizist*innen ihre eigenen Aussagen noch mal lesen | |
dürfen, nennt der Anwalt Matthias Wisbar vom Republikanischen Anwältinnen- | |
und Anwälteverein einen „besonderen Service“, den nur Polizeizeug*innen | |
erhalten. „Diese privilegierte Stellung von Polizeizeugen ist höchst | |
ärgerlich“, sagte er. „Wenn Polizisten dann auch noch gegenseitig ihre | |
Aussagen lesen, um sich vorzubereiten, kann man von einem Aussagekomplott | |
sprechen.“ | |
Auch der Anwalt des Angeklagten, Alexander Kienzle, ärgert sich: „Wie | |
sollen wir jetzt die Widersprüche und die Erinnerungslücken in den | |
Zeugenaussagen aufdecken?“, fragt er. „Die gesamten Bemühungen des | |
Gerichts, den wahren Sachverhalt zu ermitteln, werden durch die Polizei | |
torpediert.“ | |
Innenministerium und Polizei in Hessen wollten gegenüber der taz keine | |
Angaben machen: „Zum laufenden Verfahren äußern wir uns nicht“, sagte ein | |
Pressesprecher. | |
## Der angeklagte Konstantin P. | |
Die Prozessbeobachter*innen, die den Vorfall öffentlich machten, sehen sich | |
nun in ihrer Arbeit bestätigt: „Es ist mehr als deutlich, dass eine | |
umfassende Aufklärung der Ereignisse um den G20-Gipfel unerlässlich ist. | |
Von offizieller Seite scheint dies nicht gewünscht, schlimmer noch, es | |
drängt sich der Eindruck auf, dass sie aktiv behindert wird.“ Zu diesem | |
Zweck haben die Aktivist*innen einen „Außerparlamentarischen | |
Untersuchungsausschuss“ gegründet. | |
Für den russischen Angeklagten Konstantin P. ist es nicht das erste Mal, | |
dass die Verhandlung gegen ihn Schlagzeilen macht. Ihm wird vorgeworfen, | |
bei den G20-Protesten Flaschen auf Polizist*innen geworfen zu haben. Bis | |
zu seiner Freilassung Mitte November saß er über vier Monate in | |
Untersuchungshaft. | |
Ebenfalls im November war bekannt geworden, dass ein Vertreter des | |
[1][russischen Konsulats den Prozess] beobachtete. An sich nichts | |
Ungewöhnliches bei ausländischen Angeklagten – allerdings geht es dabei | |
normalerweise um Unterstützung der Angeklagten, wohingegen P. Repressionen | |
befürchtete. Sein Verteidiger beantragte den Ausschluss des | |
Konsularmitarbeiters, aber der Richter lehnte den Antrag ab. Nachdem | |
Zuschauer*innen den russischen Staatsvertreter aus dem Saal drängten, ließ | |
dieser sich jedoch nicht wieder im Prozess blicken. | |
19 Dec 2017 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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