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# taz.de -- Gedenkstätte Sachsenhausen: Oranienburg sucht den Königsweg
> Weil immer mehr BesucherInnen in die Gedenkstätte Sachsenhausen kommen,
> würden einige AnwohnerInnen gern deren Eingang verlegen
Bild: Einige Anwohner Oranienburgs schlugen vor, die Busse über das ehemalige …
Dass wachsender Tourismus nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in der
Provinz zum Problem werden kann, ist derzeit im beschaulichen Oranienburg
zu beobachten. Der Anlass für den seit Monaten in der
45.000-Einwohner-Stadt schwelenden Konflikt ist eigentlich erfreulich: Die
dortige Gedenkstätte Sachsenhausen konnte ihre Besucherzahlen seit 2006
nahezu verdoppeln. Rund 700.000 Menschen besuchen inzwischen jährlich das
ehemalige Konzentrationslager. Das Problem ist nur: Wie kommen sie dahin?
## Dutzende Reisebusse
Der Eingang zur Gedenkstätte liegt mitten in einem Wohngebiet, am Ende der
kopfsteingepflasterten Straße der Nationen. Dort brettern unter der Woche
Dutzende Reisebusse durch, erzählt Henning Schluß, der in der Straße wohnt.
Das zweite Ärgernis: Die Reisebusse warten auf dem Parkplatz am Ende der
Straße oft stundenlang mit laufendem Motor und verpesten die Luft mit
Abgasen und Lärm.
Für die GedenkstättenbesucherInnen ist etwas anderes problematisch. Etwa
die Hälfte von ihnen fährt nämlich mit dem Regionalzug oder der S-Bahn aus
Berlin kommend den Bahnhof der Kreisstadt an – und hängt dort erst mal
fest. Denn die Linie 804, der Bus der Oberhavel Verkehrsgesellschaft (OVG),
der vom Bahnhof Oranienburg die rund 2,5 Kilometer zur Gedenkstätte
Sachsenhausen fährt, kommt wochentags nur einmal die Stunde, am Wochenende
nur alle zwei. Viele TouristInnen gehen also zu Fuß.
Im Sommer reichte es einigen AnwohnerInnen, sie gründeten die Initiative
„Gedenkstätte Sachsenhausen – Gedenken im Einklang mit dem Leben“. Die
Forderung, mit der sie an die Öffentlichkeit gingen, barg politischen
Sprengsatz. Man möge doch, um die Besucherströme umzulenken, die Reise- und
Linienbusse über das ehemalige SS-Truppenlager zur Gedenkstätte leiten. Von
dort erreichen die Besucher nach rund 250 Meter das Tor mit der zynischen
KZ-Inschrift „Arbeit macht frei“. In den früheren SS-Kasernen ist heute die
Polizeifachhochschule untergebracht, drum herum gibt es viele Freiflächen.
In der Nähe, im sogenannten T-Gebäude, war früher die Verwaltung aller
Konzentrationslager, heute befinden sich dort das Finanzamt und die
Gedenkstättenstiftung.
Die Gedenkstätte selbst zeigte sich über den Vorschlag entsetzt. Der
Eingang müsse für alle Besucher bleiben, wo er ist, nämlich an der Straße
der Nationen, sagt Sprecher Horst Seferens. Von dort gelangen die Besucher
zur „Lagerstraße“, die zu dem berüchtigten Tor führt. „Der Weg richtet…
nach dem historischen Weg der Häftlinge vom Bahnhof zum Lager.“ Auch sei
der Besuch der Gedenkstätte didaktisch so aufgebaut, dass man den Rundgang
in dem dort gelegenen Besucherzentrum beginnen sollte.
So sieht es auch das Internationale Sachsenhausen-Komitee, die
Interessenvertretung der ehemaligen Häftlinge. Generalsekretär Dik de Boef
erklärte bereits im Sommer: „Das Konzept der Gedenkstätte folgt dem
historischen Weg der Häftlinge.“ Brandenburgs Kulturministerin Martina
Münch (SPD) schloss sich dem an. „Der Eingang zur Gedenkstätte ist nicht
verhandelbar“, erklärte sie.
Das mit dem historischen Weg ist aber womöglich nicht so eindeutig, wie es
zunächst scheint. Anwohner Schluß sagt, die meisten Häftlinge seien über
die heutige Hans-von-Dohnanyi-Straße, eine Parallelstraße zur Straße der
Nationen, oder sogar vom Bahnhof Sachsenhausen ins Lager gekommen. Als die
Gedenkstätte 1961 eingerichtet wurde, so Schluß, sei der Truppenteil des
alten Lagers von der NVA benutzt worden. „Daher hat man den
Gedenkstätteneingang in die ehemalige Jägerstraße gelegt, die nun Straße
der Nationen heißt.“
Oranienburgs Bürgermeister sieht das offenbar ähnlich. „Die Zuwegung zur
Gedenkstätte stellt dem Vernehmen nach eine Verlegenheitslösung aus der
DDR-Zeit dar“, schrieb er in einem Brief an den für den öffentlichen
Nahverkehr zuständigen Landrat, den Stiftungsdirektor der Gedenkstätte
sowie den AnwohnerInnen. Dem Brief hängte er drei Lösungsvorschläge an, die
aus Sicht der Stadt infrage kämen.
## Suche nach Kompromissen
Einer der Vorschläge kam bei einer AnwohnerInnenversammlung im Oktober
besonders gut an, im Protokoll des Treffens firmiert er unter
„Kompromisslösung“. Die Idee: Der 804er-Bus fährt nicht mehr durch die
Anwohnerstraße, sondern lässt die Gedenkstättenbesucher an der Hauptstraße
vorher aussteigen. Die restlichen rund 500 Meter müssten sie zu Fuß gehen.
Zusätzlich nimmt die Buslinie 805 die Besucher vom Bahnhof bis zum
Finanzamt mit. Auch die Reisebusse könnten dort ihre Gäste aussteigen
lassen und in der Nähe parken. Ein Weg könnte von dort bis zum
Besucherzentrum der Gedenkstätte führen, das nicht verlegt werden müsste.
Auch die Besucherführung über die „Lagerstraße“ bliebe unverändert.
Gedenkstättensprecher Seferens hält allerdings auch von diesem Vorschlag
nichts. „Entscheidend ist, dass die BesucherInnen dann der Sogwirkung der
Lagerstraße folgen und das Besucherzentrum links liegen lassen. Aber nur,
wenn sie sich dort mit grundlegenden Informationen versorgen, kann die
Gedenkstätte ihrem Anspruch als historischer Lernort gerecht werden.“
Außerdem sei es wichtig, so Seferens, dass der Weg der Besucher vorher
durch das Wohngebiet führe. So könnten sie empirisch erfahren, dass die
Häftlinge unter den Augen der Bevölkerung ins KZ getrieben wurden. Der
historische Weg sei zwar die Dohnanyi Straße gewesen, gibt er zu. Aber da
sie eine Sackgasse ist, stehe sie als Zufahrt nicht zur Verfügung, erklärt
der Gedenkstättensprecher. Schluß ergänzt: Die Sackgasse gebe es nur, weil
die Gedenkstätte selbst vor einigen Jahren ein Tor anbringen ließ.
Die Gedenkstätte hat ihrerseits wiederum vorgeschlagen, dass die Straße der
Nationen asphaltiert wird, der Bus öfter fährt und ein neuer Parkplatz für
die Reisebusse abseits des Wohngebietes gebaut wird. Davon wollen wiederum
die AnwohnerInnen nichts wissen: Auf der erwähnten Versammlung war niemand
für diesen Vorschlag.
Wie die Sache ausgeht, ist nicht ausgemacht, viele Interessen widersprechen
einander. Da ist etwa die Oberhavel Verkehrs Gesellschaft OVG: Sie bekommt
ihr Geld anteilig vom VBB, von einem verbesserten Angebot in Oranienburg
profitiert sie also nicht. Im Winter hatte die OVG eine Fahrgastbefragung
in der Linie 804 machen lassen. Ergebnis: Zwar gebe es viel Bedarf, aber
das Angebot decke selbst zu „Spitzenzeiten“ die Nachfrage.
Zum gegenteiligen Schluss kam ein Gutachten der Technischen Hochschule
Wildau – im Auftrag von Gedenkstätte und Kultusministerium: Die
Busverbindung sei dringend verbesserungswürdig, so die Verkehrsexperten.
Sie empfahlen keine Taktverdichtung im ÖPNV, sondern einen zusätzlichen
Bus-Shuttle direkt vom Bahnhof zur Gedenkstätte.
Angesichts der Vielzahl von Vorschlägen kam ein erstes Treffen aller
Beteiligten im Oktober bei der Kultusministerin zu keinem Ergebnis. Oder
doch: Die „verschiedene Varianten“ sollten „näher untersucht werden“.
17 Dec 2017
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Gedenkstätte
Sachsenhausen
Oranienburg
Gedenkort
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