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# taz.de -- Kommentar Braunkohle-Proteste: Ihr seid Helden
> RWE lässt die Waldbesetzer im Hambacher Forst aus ihren Baumhäusern
> zerren. Warum die ÖkokämpferInnen trotzdem siegen werden.
Bild: Protest gegen die Rodung
Stellen Sie sich einen alten, sehr alten Wald vor, mitten in Deutschland,
diesem durchindustrialisierten, zerstückelten Land, das von oben aussieht,
als sei auch noch die letzte Bergspitze genutzt, bewirtschaftet,
bürokratisiert.
[1][In diesem Wald stehen 300 Jahre alte Bäume], in denen Waldkäuze und
Fledermäuse leben. Eines Tages rücken Polizeihubschrauber, Bagger,
Kettensägen an und vernichten den Wald. Zurück bleibt eine Brache, ein
tiefes Loch, ein Mahnmal der Zerstörung.
Das ist es, was zurzeit am Hambacher Forst geschieht. Der Energiekonzern
RWE vernichtet ihn, um die Braunkohle darunter wegzubaggern und Strom zu
erzeugen. [2][Seit Jahren besetzen immer wieder AktivistInnen den Wald],
sie leben in Baumhäusern, um die Natur zu retten.
Das Verwaltungsgericht in Köln hat zuletzt eine Klage des Bundes für Umwelt
und Naturschutz (BUND) [3][in erster Instanz abgewiesen], der Tagebau darf
weitergeführt werden. Also setzt die Polizei seit heute die Eigentumsrechte
von RWE durch – und räumt. Dem Konzern gehört der Wald de jure. Obwohl die
AktivistInnen ihren Kampf verlieren, sind sie tragische Helden.
## Kein naiver Reflex
Diese Ansicht ist kein naiver Reflex aufgrund einfacher
Freund-Feind-Schemen: Da der böse Konzern und die brutale Staatsmacht, dort
die tapferen FreiheitskämpferInnen, die auch noch, wie einst Robin Hood, im
Wald leben. Die Bilder, die sie schaffen, sind tatsächlich so einfach – wer
noch nicht gänzlich von Zynismus oder Fatalismus zerfressen ist und einen
Hauch Empathie für die Umwelt empfindet, den darf es ruhig schütteln wie
Idefix, wenn Bäume fallen, oder sagen wir: wenn sie sterben.
Doch leider ist diese Bildsprache auch abgenutzt. In Brasilien brennt der
Regenwald, in Australien sterben die Korallen, die Meere sind vermüllt, bei
der Flut an Bildern zerfledderter Natur und atemloser Skandale ist die
Konkurrenz für 70 Hektar Wald in Nordrhein-Westfalen um öffentliche
Aufmerksamkeit viel zu groß.
Aber das macht nichts. Was die Ökobewegung schon immer stark gemacht hat,
ist, dass sie zäh und ausdauernd ist und die Umweltsündergesellschaft von
innen zerfrisst wie ein Borkenkäfer die Eiche. Sie besteht aus JuristInnen,
PolitikerInnen, DemonstrantInnen, WissenschaftlerInnen, NGOs, sogar aus
Investoren und Unternehmen.
Und sie besteht zu einem kleinen Teil aus irren Radikalen, die sich nicht
um Widersprüche oder verkopfte Metadiskussionen kümmern, sondern einfach:
machen. Sie sind in bestem Sinne verbohrt und teilweise militant, weil sie
Sachbeschädigungen in Kauf nehmen. Sie nehmen in Kauf, kriminalisiert,
traumatisiert oder verletzt zu werden oder zu Geld- und Gefängnisstrafen
verurteilt zu werden. Seit Jahren, immer wieder.
## Die Polizei räumt
Wie immer wird es nach den Räumungen Schuldzuweisungen geben. RWE wird
sagen, Mitarbeiter seien angegriffen worden, die Polizei wird verletzte
Beamte melden. Die BaumbesetzerInnen werden weggetragen und -gezerrt, mit
Pfefferspray in den Augen und vielleicht mit Verletzungen von
Schlagstöcken. Ist es das wert?
Ja, das ist es, weil es eine Auseinandersetzung um die richtige Sache ist.
Die Bilder der Räumungen werden zwar, wenn überhaupt, nur kurz über unsere
Smartphone und Fernseher huschen, was sie wichtig macht ist ihre Permanenz.
Sie erzeugen eine Art gesellschaftliche Autosuggestion – Braunkohle,
Klimawandel, Zivilisation bedroht, Braunkohle, Klimawandel, Zivilisation
bedroht kaputt, Braunkohle, Klimawandel, Braunkohle, Klimawandel,
Zivilisation bedroht, Braunkohle, Klimawandel, Zivilisation bedroht,
Braunkohle, Klimawandel, Zivilisation kaputt.
Niemand dirigiert die Ökobewegung, sie ist einfach da – und die Radikalen
übernahmen schon immer einen wichtigen Teil in diesem Konzert. Die
Paukenschläge, wenn spektakulär blockiert (egal ob Castor oder Kohle) und
als Reaktion empört wird, und dazwischen das permanente Magengrummeln, das
eine überfressene Gesellschaft braucht, um sich endlich zu mäßigen.
## Die Rodung ist famoser Schwachsinn
Es geht nicht darum, RWE als Konzern zu verteufeln. Er agiert innerhalb
einer veralteten gesellschaftlichen Übereinkunft, nach der die Natur des
Menschen Untertan ist. Doch 2017 einen wertvollen Wald zu roden, ist
famoser Schwachsinn. Braunkohlekraftwerke müssen in Deutschland vom Netz,
darauf haben sich kürzlich in den Jamaika-Sondierungen sogar Union und FDP
eingelassen.
Deutschland hat mit seiner Energiewende weltweite Öko-PR betrieben:
Industrieland und Klimaziele, das geht zusammen. Jetzt drohen wir unsere
Klimaziele bis 2020 zu verfehlen – und wer gelegentlich ausländische Presse
liest, der weiß, dass die Welt auf das deutsche Energiewendeexperiment
schaut. Ohne ein schnelles Aus für die Braunkohle wird aus den deutschen
Windrädern und Solardächern ein Symbol des Scheiterns: Über hundert
Milliarden investiert und trotzdem die CO2-Ziele verfehlt.
Die, die in den nächsten Tagen im Hambacher Forst geräumt werden, sind
deshalb Helden. Ihre Ziele sind moralisch geboten, sie sind die Ziele
unseres Landes und seit dem Pariser Klimaabkommen auch die der
Weltgemeinschaft. Mehr Legitimation für Blockaden und zivilen Widerstand
gibt es nicht – nur keine Gewalt gegen Menschen, das muss oberste Prämisse
bleiben.
Insofern verlieren die AktivistInnen vielleicht einen Kampf um 70 Hektar
Wald, aber verlieren kann man eine moralisch richtige Sache nicht. Liebe
WaldbesetzerInnen, würde es euch nicht geben, dann müssten andere euren Job
machen. Allerdings gibt es wenige, die den Mut zu einem solchen Widerstand
haben. Deshalb seid ihr unersetzlich.
27 Nov 2017
## LINKS
[1] /Die-Braunkohle-und-der-Hambacher-Forst/!5013329
[2] /Aktivistin-ueber-Hambacher-Forst/!5463164
[3] /Gerichtsurteil-nach-BUND-Klage/!5466230
## AUTOREN
Ingo Arzt
## TAGS
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