# taz.de -- SPD und Sozialdemokratie in Europa: Von den Freunden lernen | |
> Die Sozialdemokratie ist in der Krise: Was sich die SPD von den | |
> europäischen Schwesterparteien abschauen könnte. Fünf taz-Autoren haben | |
> sich in Europa umgehört. | |
Bild: Nur eine Krise? Oder steht der Zusammenbruch bevor? Die Sozialdemokratie … | |
Hoch schwingt der Arbeiter die Hacke über seinen Kopf. Die Sehnen spannen | |
sich unter dem roten Hemd. Beherzt geht er der Schlangenbrut zu Leibe, die | |
an seinen Beinen emporkriechen will. Allerlei Ungemach, dargestellt durch | |
bedrohliche Reptilien: „Hungersnot“, „Kriegsleid“, „Kapitalismus“, | |
„Lebensmittelwucher“. Darunter steht ein Aufruf, die Sociaal-Democratische | |
Arbeiderspartij zu wählen. | |
Ein Nachdruck des fast hundert Jahre alten Wahlplakats hängt in einer | |
Sitzecke im Büro der Partij van de Arbeid (PvdA). Tradition steht bei den | |
niederländischen Sozialdemokraten wieder hoch im Kurs. Die Ärmel wollen sie | |
hochkrempeln, in den Kampf ziehen gegen die Übel ihrer Zeit. Und gegen ihre | |
eigenen: Identitätskrise, Entfremdung von der Basis, Wahldesaster. | |
Vor neun Monaten stürzte die PvdA bei den Parlamentswahlen ab. Weniger als | |
6 Prozent. 2012 war sie mit 25 Prozent noch fast stärkste Partei geworden. | |
Das Desaster war die Quittung für die Koalition mit der marktliberalen VVD | |
von Premier Mark Rutte. Die PvdA hatte, um die Wirtschaftskrise zu | |
überwinden, Sparpolitik und Kürzungen der Sozialausgaben mitgetragen. So | |
wurden die stolzen Sozialdemokraten zu einer Kleinpartei, zerrieben | |
zwischen Rechtspopulisten und Jesse Klavers frischen „GroenLinks“, die | |
Multikulti mit klassischem Sozialstaat mixen. | |
Der Blick auf die Trümmer der PvdA müsste den SPD-Genossen zu denken geben. | |
Denn die deutschen und die niederländischen Sozialdemokraten ähneln sich. | |
Beide wurzelten tief in der Arbeiterbewegung und wandelten sich zu | |
proeuropäischen Mitteparteien der Bildungaufsteiger. Die aktuelle Parallele | |
ist deutlich: erst Mitregieren als Juniorpartner einer | |
liberal-konservativen Partei, danach der Niedergang. Das Debakel in Den | |
Haag zeigt, was der SPD blühen kann. | |
In der kommenden Woche wird die SPD auf ihrem Parteitag beraten: Große | |
Koalition? Oder besser Merkel eine Minderheitsregierung anbieten? | |
## Sozialdemokratie vor dem Zusammenbruch | |
Die Sozialdemokratie in Europa ist nicht mehr nur im Krisenmodus, sie | |
nähert sich mancherorts dem Zusammenbruch. Nicht nur in den Niederlanden, | |
auch in Frankreich und Griechenland wurden die altehrwürdigen Parteien | |
pulverisiert. Die Symptome sind überall ähnlich: Die Aufsteigergeneration | |
hat die Verbindungen zu ihrer Herkunft gekappt. Wo es ärmlich und | |
ungemütlich zugeht, im Mannheimer Norden, den Vororten von Rotterdam oder | |
den Randbezirken von Wien, laufen frühere Stammwähler zu den | |
Rechtspopulisten über. Die Parteiapparate schauen hilflos zu. Die | |
Abgehängten und das Dienstleistungsproletariat setzen nicht mehr auf die | |
saturierten Sozialdemokraten. Und die erfolgreichen, jungen | |
Globalisierungsgewinner finden Sozialdemokratie voll 20. Jahrhundert. | |
Überall nur Niedergang? Nicht ganz. Amaya Viar, 23, Kunststudentin, sitzt | |
in ihrem Lieblingscafé in Hackney im Osten Londons, wo Shabby Chic auf | |
exzellentes Essen trifft. Die welligen Haare hat sie sich nach oben | |
gesteckt, sie trägt dezentes Make-up. Sie ist hier aufgewachsen. Das | |
Viertel war arm, seit Längerem rollt die Gentrifizierungswelle. „Meine | |
Mutter ist Französin, mein Vater Spanier, und ich fühle mich als | |
Europäerin“, sagt Viar. Das sei im Brexit-Großbritannien schon ein | |
politisches Statement, bemerkt sie mit sanftem Lächeln. Ihre Mutter zog sie | |
allein groß, das war nicht einfach für die schlecht bezahlte Lehrerin. | |
Heute lebt Viar noch immer bei ihrer Mutter: „Ich würde gern selbstständig | |
leben, aber es geht nun mal nicht“, sagt sie. Eine eigene Wohnung in London | |
ist für sie unerschwinglich. | |
Für Politik hat sie sich nie interessiert. Bis vor zwei Jahren Labour einen | |
neuen Chef suchte. „Da gab es einen exzentrischen Kandidaten, der gegen | |
Atomwaffen war, prinzipientreu und die Verstaatlichung der Eisenbahn | |
forderte“, erzählt sie. | |
Jeremy Corbyn wurde gewählt. Und Viar staunte. Politiker hatte sie bis | |
dahin für Leute gehalten, „die alles Mögliche versprechen und nach Wahlen | |
alles vergessen“. So wie die Liberaldemokraten, die vor den Wahlen 2010 | |
versprachen, dass die Studiengebühren nicht erhöht würden. Danach regierten | |
sie mit den konservativen Tories und machten genau das Gegenteil. Viars | |
Studium kostet sie nun 9.000 Pfund pro Jahr. Das Geld bekommt sie zwar vom | |
Staat, aber als Darlehen. Wenn sie fertig ist, wird sie 50.000 Pfund | |
Schulden haben. Viel Geld. | |
Auch deshalb ist Viar vor ein paar Monaten Labour beigetreten. Weil Jeremy | |
Corbyn Studiengebühren und Sparpolitik abschaffen will. Die habe, so sieht | |
es die Studentin, nicht nur sozial Schwachen geschadet, sondern auch den | |
Kunstsektor, in dem sie arbeiten will, ausgetrocknet. Geld fehlt auch den | |
Schulen – dort, wo ihre Mutter arbeitet. Manches sieht sie auch an Corbyn | |
skeptisch, etwa seine unklare Haltung zur EU vor dem Brexit-Referendum. Und | |
wenn der Labour-Chef vom Weltfrieden redet, scheint Viar das ein allzu | |
„idealistisches Ziel“. | |
## Mischung aus Christian Ströbele und Rudolf Dressler | |
Erstaunlich aber ist, dass der 68-jährige Corbyn, der seit 1983 im | |
Unterhaus sitzt, bei Jüngeren so gut ankommt. Das ist ein Grund für seinen | |
Überraschungserfolg bei den Wahlen 2017, als Labour nur knapp hinter den | |
Tories landete und 40 Prozent bekam – 10 Prozent mehr als 2015. Dabei war | |
der neue Star jahrzehntelang krasser Außenseiter gewesen. Als er wegen | |
eines missglückten taktischen Manövers seiner Gegner Labour-Chef wurde, | |
bekämpfte ihn fast die gesamte Parteielite. Viele prophezeiten der Partei | |
den Untergang, allen voran Ex-Premier Tony Blair, der davon abriet, Labour | |
zu wählen. | |
Corbyn als Labour-Chef – das ist so, als wäre eine Mischung aus Christian | |
Ströbele und Rudolf Dressler erst SPD-Chef geworden und dann beinahe noch | |
Kanzler. Warum hat der bespöttelte Traditionssozialist, der im Unterhaus | |
mehr als 500-mal gegen die eigene Fraktion stimmte, plötzlich Erfolg? | |
Das eiserne Gesetz, dass Labour nur in der Mitte Wahlen gewinnt, gilt nicht | |
mehr. Die konservative Denkfabrik Legatum stellte bei einer Umfrage fest, | |
dass die Briten – auch die konservativen – für die Verstaatlichung der Bahn | |
und anderer Unternehmen sind und sogar mehr Steuern zahlen würden, um das | |
nationale Gesundheitssystem auf Vordermann zu bringen. Bei „Kapitalismus“ | |
denken die meisten Briten an „habgierig“, „selbstsüchtig“ und „korru… | |
stellte Legatum betrübt fest. | |
Corbyns Programm passt exakt zu dieser Stimmung. Er will die Steuern für | |
Superreiche erhöhen und den Sozialstaat renovieren. Kunststudentin Viar | |
sagt: „Corbyn strahlt etwas Verlässliches aus, wie eine Art Großvater, auf | |
dessen Erfahrung man sich stützen kann.“ Diesen Enthusiasmus teilt sie mit | |
vielen Altersgenossen. Zehntausende Junge sind in die Partei eingetreten. | |
Labour wuchs von 200.000 auf rund 550.000 Mitglieder. Vergleichbares gab es | |
in Deutschland nur Anfang der 70er Jahre, als Hunderttausende Jüngere in | |
der „Willy wählen“-Euphorie die SPD enterten und nach links rückten. | |
In Großbritannien haben Millionen Jüngere Corbyn gewählt. Bei der | |
Brexit-Abstimmung wählten nur 43 Prozent der unter 35-Jährigen – bei der | |
Parlamentswahl im Juni waren es 72 Prozent. Und fast zwei Drittel machten | |
ihr Kreuz bei Corbyn. | |
Und es gibt einen regelrechten Kult um den linken Chef. Beim letzten | |
Parteitag riefen die Labour-Unterstützer minutenlang im Chor: „Oh, Jeremy | |
Corbyn!“ Einige Delegierte trugen Strumpfhosen, auf denen Corbyns Gesicht | |
gedruckt war. | |
## Das Neue braucht den Bruch mit dem Alten | |
Amaya Viar ist keine Politaktvistin geworden. Sie will vor allem ihr | |
Studium durchziehen. Aber sie hat einen Traum, den viele ihrer Generation | |
teilen. „Ich will gute Schulen, ein Gesundheitssystem für alle, faire | |
Renten für Leute wie meine Mutter, billigeres Wohnen, solche Dinge eben. Es | |
muss keine Revolution sein“, sagt sie. „Es muss nur fairer sein, hier in | |
Hackney und überall.“ | |
Kann die SPD vom Aufschwung der Linken im Königreich etwas lernen? Manche | |
bestimmt. Etwa SPD-Mann Thomas Oppermann. Der kanzelte Jeremy Corbyn noch | |
ein paar Wochen vor Labours Fastwahlsieg als „Altlinken“ ab, der die Partei | |
in „eine katastrophale Niederlage“ führe. Diese Niederlage erlebte | |
allerdings Oppermanns SPD am 24. September. | |
Also muss die SPD nur weiter nach links rücken – dann wird alles gut? Das | |
ist zu einfach. Eine schlichte Blaupause für die SPD ist Corbyns Erfolg | |
nicht. Denn der basiert auch auf dem Mehrheitswahlrecht und auf der | |
besonderen Lage nach der Brexit-Entscheidung. Deshalb konnte Labour | |
verschiedene Milieus an sich binden: radikale Aktivisten, die hierzulande | |
Linkspartei-Fans wären, ebenso wie linksliberale Proeuropäer, die | |
hierzulande grün wählen. Und: Die soziale Kluft ist in Großbritannien | |
tiefer als in Deutschland. Der reiche Südosten blüht, der Rest des Landes | |
nicht. Die reichsten tausend Briten verdienten 2016 14 Prozent mehr als im | |
Vorjahr. | |
Doch Corbyn hat gezeigt, dass man urbane Hipster und traditionelle | |
Arbeitermilieus erreichen kann, die weltoffene Kunststudentin in London und | |
den Pro-Brexit-Malocher in Wales. Auch ehemalige Traditionswähler, die | |
zuvor in Scharen zu der rechtspopulistischen Anti-EU-Partei Ukip | |
abgewandert waren, kehrten nach dem Brexit zu Corbyn zurück. | |
Labours Wiederaufstieg zeigt deshalb etwas, was für die SPD interessant | |
ist. Das Neue braucht den Bruch mit dem Alten, mit Blair und Schröder. | |
Bewegung gibt es nur, wenn die Beharrungskraft der alten Parteieliten | |
überwunden wird. | |
## SPÖler müssen sich einiges anhören | |
In Österreich ließ die Große Koalition, das ewige Bündnis von SPÖ und ÖVP, | |
die Rechtspopulisten groß werden. Marcus Schober steht im Wildganshof, | |
einem der großen traditionellen Gemeindebauten in Wien. Mehr als 2.000 | |
Einwohner leben in dem in den 1930er Jahren errichteten sozialen | |
Wohnungsbau. Er liegt an der Grenzen zwischen Innenstadt und | |
Vorstadtbezirk. Die Einkommen sind niedrig, die Reichen und Wichtigen fern. | |
Der Wildganshof ist eine jener Gegenden, in der die rechtsradikale FPÖ mit | |
ausländerfeindlichen und sozialpopulistischen Parolen der SPÖ seit Jahren | |
zusetzt. Bei Wahlen liegen SPÖ und FPÖ hier gleichauf. | |
Schober ist Chef des SPÖ-Ortsvereins, die in Wien „Sektion“ heißen. Der | |
Wildganshof ist für Sozialdemokraten schwieriges Terrain. „Wenn man als | |
SPÖler an die Tür klopft, muss man sich schon mal anhören: ‚Schleicht’s | |
euch, Orschlöcher‘ “, sagt Schober. Und: „Wir versuchen seit zwei Jahren, | |
die Sektion wieder zu beleben.“ Mit Hoffesten, bei denen getratscht und | |
gegrillt wird – und bei denen sich Leute näherkommen, die sonst nur | |
nebeneinander herleben. „Beim ersten Fest saßen noch die alteingesessenen | |
Österreicher auf den Bierbänken, die türkischstämmigen Österreicher auf | |
Abstand auf der Wiese“, erzählt Schober. Neuerdings sitzt man | |
nebeneinander. | |
In diesem Sommer strichen SPÖ-Aktivisten, Hofbewohner und Künstler | |
vergammelte Parkbänke neu. Der „Tatort“-Darsteller Harry Krassnitzer legte | |
bei der Hausrenovierung im Blaumann Hand an. Die Präsenz der SPÖ nutzt. Oft | |
haben die Bewohner ärmerer Quartiere das Gefühl, dass sich niemand für sie | |
interessiert – Nährboden für Rechtspopulisten. | |
So versucht die SPÖ-Ortsgruppe im Wildganshof modernes „Community | |
Building“. 25 Aktive gibt es. Viele leben auch hier. Das ist wichtig. Denn | |
mal kurz vor Wahlen die Unterschicht zu agitieren bringt nicht viel. „Ich | |
erfahre auch sofort, wenn etwas nicht funktioniert, und sei es bloß, dass | |
die Mülleimer überquellen“, sagt Schober. | |
Bei der Wahl im Herbst hat sich das ausgezahlt. Die SPÖ bekam im | |
Wildganshof 36, die FPÖ nur 28 Prozent. Ein kleines Hoffnungszeichen. Denn | |
das Problem der SPÖ sind gerade die unteren Mittelschichten, die lieber | |
rechts wählen. Um die Abwanderung zur FPÖ zu stoppen, braucht die behäbige, | |
zerstrittene SPÖ schwungvolle Aktivisten vor Ort. Doch Schober ist ein | |
Einzelfall. In den Vorstädten der Metropolen, erst recht in den Dörfern | |
mangelt es an zeitgemäßem Parteileben. Vitale Jüngere, wie sie in die | |
Corbyn-Labour-Party strömen, fehlen der SPÖ, der staatsnahen | |
Regierungspartei, schon lange. | |
## Politik nah an die Leute bringen | |
Also zurück zu den Wurzeln? Sigmar Gabriel befand schon 2009, dass die SPD | |
wieder „raus ins Leben muss, wo es brodelt und gelegentlich stinkt“. Doch | |
passiert ist nichts. Das ist wenig erstaunlich. Denn die | |
sozialdemokratische Aufstiegserzählung beschreibt genau den anderen Weg: | |
Raus aus den Vierteln, wo es mies riecht, rein in klimatisierte Büros, | |
Verwaltungen, Universitäten. Aber vielleicht müssen die Sozialdemokraten, | |
bei Strafe des Untergangs, doch wieder zurück an die Basis. | |
Denn Rettung kommt wohl, wenn überhaupt, von den gesellschaftlichen Rändern | |
und von unten. „Unsere Politik muss nah bei den Leuten sein“, sagt Nelleke | |
Vedelaar, die Frau, die die ruinierte niederländischen Sozialdemokratie | |
wiederaufbauen soll. „Sie treffen mich an einem Siegestag“, sagt die | |
40-Jährige strahlend. Es gibt, selten genug, was zu Feiern. In Leeuwarden, | |
Provinz Friesland gewann die PvdA Lokalwahlen. Vielleicht ein erstes | |
Zeichen. Vedelaar, zuvor siebeneinhalb Jahre lang Sozialdezernentin in | |
Zwolle, ist seit Oktober neue Parteichefin. | |
Sie trägt kurze dunkle Haare, Brille mit dünnem Rand. Sie kommt von unten. | |
Ihr Vater war Zimmermann, ihre Mutter Saisonarbeiterin. Vedelaar hat fast | |
ihr ganzes Leben an der Peripherie gewohnt – und sich zugleich in Den Haag | |
an einem Institut für Urbanistik mit Großstadtproblemen befasst. Vielleicht | |
keine schlechte Kombination. | |
Die neue Parteichefin wirkt zugleich resolut und warm. Aus der | |
Kommunalpolitik hat sie den Fokus auf Grundbedürfnisse mitgebracht. | |
Wohnung, Arbeit, Bildung, Gesundheit, Rente, die Zukunft der Kinder – das | |
kleine Einmaleins und das große Versprechen der Sozialdemokratie. „Die | |
Leute“, sagt Vedelaar selbstkritisch, „haben sich gefragt: Ist die PvdA | |
noch für uns da, wenn wir sie brauchen?“ Den Absturz vom März sieht sie | |
weniger als einmaligen Protest gegen die Koalition mit der VVD und die | |
Sozialkürzungen denn als Resultat einer langen Entfremdung der Partei von | |
ihrer Basis. „Eigentlich dauert das schon Jahrzehnte an: genau die | |
Jahrzehnte, in denen PvdA-Politiker im Marktdenken mitgelaufen sind.“ | |
## „Jetzt retten wir die Partei“ | |
Die Zeit von drittem Weg, Neuer Mitte oder New Labour, als Sozialdemokraten | |
die neuen Liberalen zu sein glaubten, nennt man in den Niederlanden „paars“ | |
– lila – nach der Vermischung der den Regierungsparteien zugeordneten | |
Farben. Das Rot der PvdA mischte sich mit dem Blau der VVD und dem Grün der | |
Linksliberalen D66. Es war die Zeit, als der Marktgedanke Einzug in die | |
Sozialpolitik hielt. | |
Damals begann der Zerfall der PvdA-Klientel. Wer sich von der unsichtbaren | |
Hand des Marktes in die Knie gezwungen fühlte, wandte sich den Sozialisten | |
zu, andere im Zug der populistischen Revolte Pim Fortuyn und Geert Wilders. | |
Bei den letzten Wahlen profitierten auch die progressiven D66 und | |
GroenLinks von der Krise der Sozialdemokraten. Dazu kommt die neue | |
Migrantenpartei DENK, die trotz oder gerade wegen bedenklicher AKP-Nähe | |
in einem aufgeheizten identitätspolitischen Klima punkten konnte. | |
Nelleke Vedelaar will „verlorenes Vertrauen zurückgewinnen“. Kein | |
origineller Satz. Aber die Parteichefin spricht aus Erfahrung. Ihre Eltern, | |
sozialdemokratische Stammwähler, wandten sich schon vor Jahren anderen | |
linken Parteien zu. Vedelaars Richtung ist klar: nach links. Den | |
Manövrierraum dafür hat die Partei sich geschaffen. Im Frühjahr weigerte | |
sich die PvdA, als Mehrheitsbeschafferin bei der kriselnden | |
Regierungsbildung einzuspringen. Bloß nicht als totaler Wahlverlierer auch | |
noch regieren. „Das Land haben wir schon gerettet. Jetzt retten wir die | |
Partei“, so lautete die Devise von PvdA-Politiker Jeroen Dijsselbloem, | |
damals Finanzminister. | |
Das könnte für die deutschen Genossen ein Wink mit dem Zaunpfahl sein. | |
(AUTOREN: [1][ROBERT MISIK], [2][TOBIAS MÜLLER], [3][STEFAN REINECKE], | |
[4][RALF SOTSCHECK], [5][DANIEL ZYLBERSTAJN]) | |
1 Dec 2017 | |
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