# taz.de -- Ökostreber aus Asien: Das neue Klimamusterland China | |
> Das hätte vor kurzem kaum einer für möglich gehalten. Aber China, der | |
> bisherige Top-Klimasünder, mausert sich gerade zum weltgrößten | |
> Klimaretter. | |
Bild: Smog in Peking | |
Einen solchen Winter wie im vergangenen Jahr will die chinesische Führung | |
in Peking nicht noch einmal erleben. Seit Jahren ist sie darum bemüht, die | |
Luftqualität in der smoggeplagten Hauptstadt zu verbessern. Sie ließ | |
Garküchen im Stadtgebiet verbieten, hat marode Kohlekraftwerke durch | |
Anlagen mit moderner Technik austauschen lassen. Ein bisschen besser wurde | |
die Luft in der chinesischen Hauptstadt auch. Doch dann kam der eisige | |
Dezember. Die Menschen drehten ihre Heizungen auf, die Kraftwerke liefen | |
auf Hochtouren. Peking versank den gesamten Dezember über unter einer | |
dicken Smogdecke. | |
Schon erinnerten sich viele an die „Airpokalypse“ von Anfang 2013, als | |
Rekordwerte von über 800 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft gemessen | |
wurde. Das ist mehr 30 Mal so viel, was die Weltgesundheitsorganisation für | |
unbedenklich hält. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hat den | |
Umweltschutz inzwischen zur Chefsache erklärt. „Wir müssen die strengsten | |
Umweltschutzmaßnahmen umsetzen“, erklärte Xi Jinping Mitte Oktober zum | |
Auftakt des 19. Parteikongresses, dem politischen Großereignis, das nur | |
alle fünf Jahre stattfindet. Und weil seine Worte Teil der neuen | |
Parteiverfassung wurden, genießt somit auch der Klima- und Umweltschutz in | |
China künftig eine Art Verfassungsstatus. | |
„Wir wollen ein schönes Land aufbauen und zur globalen ökologischen | |
Sicherheit beitragen“, verkündete Xi. Dabei hat die chinesische Führung | |
dieses Thema noch gar nicht lange auf dem Schirm. Als 2012 die US-Botschaft | |
in Peking begann, auf ihrem Dach die Luftwerte zu messen und die Daten ins | |
Netz stellte, blockierten die chinesischen Behörden dies noch. Sie warfen | |
den USA vor, sich in die „inneren Angelegenheiten“ einzumischen. | |
## Barbara Hendricks: „Wir können uns auf China verlassen“ | |
Der 15. Weltklimagipfel 2009 in Kopenhagen scheiterte nicht zuletzt daran, | |
dass China, der größte Emittent von klimaschädlichem CO2 ist und sich | |
weigerte, sich auf verbindliche Emissionsziele festlegen zu lassen. Der | |
Durchbruch kam beim Pariser Gipfel 2015. Nun, beim derzeitigen 23. | |
Klimagipfel in Bonn, sagt Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD): | |
„Wir können uns auf China verlassen.“ Denn: Das Land werde aus ureigenem | |
Interesse vorangehen. | |
Tatsächlich gehört das Perlflussdelta in Südchina nach Angaben der Weltbank | |
zu einer der Regionen der Welt, die am meisten mit den Auswirkungen des | |
Klimawandels zu kämpfen haben. Die Gegend mit den Metropolen Hongkong, | |
Shenzhen und Guangzhou ist Chinas Werkbank und High-Tech-Hochburg zugleich, | |
außerdem eine der wirtschaftlich dynamischsten Regionen der Welt. Die | |
Weltbank vermutet, dass China schon jetzt rund 1,4 Prozent seiner | |
jährlichen Wirtschaftsleistung einbüßt, um die schweren Schäden von | |
Tropenstürmen, Überschwemmungen, Erdrutschen, Dürren und anderen | |
Katastrophen zu beheben, die unmittelbar auf den Klimawandel zurückzuführen | |
sind. | |
Also kein Wunder, dass es die chinesische Regierung ernst meint mit dem | |
Klimaschutz. Im Frühjahr dieses Jahres hatte sie für 28 Städte einen | |
sogenannten „Schlachtplan“ vorgelegt, der vorsieht, den Ausstoß von | |
Kohleemissionen allein für 2017 um rund sieben Prozent zu senken. Da bis | |
September dieses Ziel noch in weiter Ferne lag, hat sie nun für die | |
verbleibenden drei Monate zu sehr viel drastischeren Maßnahmen gegriffen. | |
Seit Anfang Oktober mussten landesweit schon mehr als 176.000 Fabriken und | |
44.000 Kohlekraftwerke zeitweise ihre Pforten schließen. Bei dieser | |
drastischen Maßnahme werden hunderttausende Arbeiter in einen viermonatigen | |
Zwangsurlaub geschickt – und zwar vom 15. November bis zum 15. März. | |
## Sechs Prozent der Rohstahlproduktion gehen verloren | |
Allein in Peking, der Nachbarstadt Tianjin und der umliegenden Provinz | |
Hebei, der am meisten verschmutzten Provinz Chinas, wurde damit die | |
Stahlproduktion auf mehr als die Hälfte gesenkt. Westliche Analysten | |
schätzen, dass aufgrund dieser Maßnahme rund sechs Prozent der jährlichen | |
Rohstahlproduktion Chinas verloren gehen werden. Hebei hatte vor einem Jahr | |
noch mehr Stahl produziert als ganz Europa und Nordamerika zusammen. | |
Zugleich investiert China wie kein anderes Land in Ökostrom. Anfang des | |
Jahres kündigte die chinesische Regierung an, bis 2020 umgerechnet rund 320 | |
Milliarden Euro für Erneuerbare Energien auszugeben. Gemessen an der | |
Leistung der Anlagen entstehen nach jüngsten Zahlen der Internationalen | |
Energieagentur (IEA) heute etwa 40 Prozent aller weltweit neuen | |
Öko-Strom-Kraftwerke in China. | |
2017 so viele Solaranlagen wie Deutschland insgesamt hat | |
Allein 2017 kamen so viele neue Solaranlagen dazu wie der einstige | |
Vorreiter Deutschland insgesamt gebaut hat. „Wir werden energiesparende und | |
umweltfreundliche Industrien fördern. Wir treiben die Energiewende voran, | |
hin zu sauberen und hoch effizienten Energiequelle“ – all das sind Zitate | |
von Chinas Staatschef Xi. | |
In Paris hatte China erstmals ein verbindliches Emissionsziel zugesagt und | |
versprochen, den CO2-Ausstoß spätestens ab 2030 zu senken. Inzwischen | |
zeichnet sich ab, dass China bis 2020 die Kohleemissionen um ein Fünftel | |
senken und damit sein Ziel um ein ganzes Jahrzehnt erreichen wird. | |
Diese Aussichten sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die | |
Volksrepublik derzeit nach wie vor der Klimasünder Nummer eins ist. | |
Weltweit gesehen wird immer noch rund die Hälfte aller Kohle in China | |
verbrannt, das Land ist für nahezu ein Drittel der globalen CO2-Emissionen | |
verantwortlich. | |
Das Gros der chinesischen Wirtschaft sei nach wie vor abhängig von | |
schmutzigen Industriezweigen, sagt Sarah Ladislaw, Energieexpertin beim | |
Zentrum für strategische und internationale Studien in Washington. „Beim | |
Kampf gegen den Klimawandel ist China sowohl Führer als auch Nachzügler.“ | |
16 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
## TAGS | |
China | |
UN-Klimakonferenz | |
Klima | |
Kohlekraftwerke | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
China | |
Energieversorgung | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
China | |
China | |
China | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
China | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Braunkohle | |
Mobilität | |
Xi Jinping | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kohlekraftwerke weltweit im Bau: China investiert enorm in die Kohle | |
Ein neuer Report zeigt, dass China mit hunderten Milliarden US-Dollar | |
schmutzige Kraftwerke finanziert. Es folgen Japan und Südkorea. | |
Frühjahrstagung von IWF und Weltbank: Das uneingelöste Klimaversprechen | |
Beim IWF sind neue Kredite für Griechenland auf einmal wieder ein großes | |
Thema. Es überdeckt wichtige Entscheidungen zum Klimawandel. | |
Wirtschaft in China: Das Reich der Mitte boomt wieder | |
Erstmals seit 2010 ist das Wirtschaftswachstum wieder gestiegen. Trotz | |
weiter bestehender Grundprobleme dürfte der Aufschwung 2018 anhalten. | |
Deutscher Strommix am Neujahrsmorgen: 100 Prozent Ökostrom | |
Es war ein kurzer, aber epochaler Moment am Neujahrsmorgen: Die | |
Erneuerbaren deckten den Energiebedarf Deutschlands. | |
Hohe Kosten durch Klimawandel: Eine neue Normalität | |
Naturkatastrophen wie Hurrikans kosteten Versicherer im Jahr 2017 weltweit | |
135 Milliarden US-Dollar. Auch in Deutschland häufen sich die Klimaschäden. | |
Verkehr in China: Autos mit hohem Verbrauch verboten | |
553 Automodelle dürfen in China fortan nicht mehr gebaut werden. Das soll | |
im Kampf gegen die Luftverschmutzung helfen. | |
Winter in China: Entweder Smog oder Kälte | |
Um die Luft zu verbessern, hat China zehntausende kohlebetriebene Anlagen | |
schließen lassen. Dafür frieren nun Millionen von Menschen. | |
China führt Emissionshandel ein: Der Preis für den Klimaschmutz | |
China kündigt den weltweit größten Emissionshandel an. Die Preise sollen | |
mit etwa 9,50 Euro für den Ausstoß einer Tonne CO2 über den europäischen | |
liegen. | |
Klimagipfel in Paris: Der Gipfel der teuren Versprechen | |
Beim Treffen zur Klimafinanzierung kündigen Staaten und Firmen mehr Geld | |
an. Frankreich will mal wieder das AKW Fessenheim schließen. | |
Ökologische Landwirtschaft: Frau Li bringt China bio bei | |
Bio-Lebensmittel sind in China selten. Doch Pioniere ackern beharrlich | |
daran, die Mittelschicht für Gesundes und Krummes zu begeistern. | |
Kommentar Klimaverhandlungen: Von China lernen | |
Solange die Regierung Umweltschutz als Risiko für das Wachstum sah, | |
blockierte China die Gespräche. Das hat sich zum Glück geändert. | |
Kohle-Chef Sporton zum Klimaschutz: „Kohle sollte Teil der Lösung sein“ | |
Benjamin Sporton, Chef der Welt-Kohle-Vereinigung, hofft auf den steigenden | |
Verbrauch in Asien und wirbt für neue Technologien. | |
Boom der Elektrofahrzeuge: Mentaler Kipppunkt beim E-Auto | |
Deutschland diskutiert über Diesel-Fahrverbote, schon steigt der Absatz von | |
Elektro-Kfz rasant an. Die Revolution findet allerdings in China statt. | |
Kongress von Chinas KP: Der mächtige Xi | |
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hat mehr Macht an sich gerissen | |
als seine beiden Vorgänger. Er könnte zum Mao des 21. Jahrhunderts werden. |